Die Exit-Strategie

Der Vater schwer krank, die Mutter des Lebens müde: Wie SZ-Magazin-Autor Stephan Hille auf die Geschichte von Edith und Peter Stäheli aufmerksam wurde – und ihr tragisches Ende erlebte.

Edith Stäheli mochte ihre Handtasche sehr. Also schenkte sie die Tasche einer guten Freundin und lief stattdessen tagelang mit einer Plastiktüte herum. Es war ein Akt durchdachter Organisation: So wusste sie die Tasche in guten Händen, ehe sie sich zum geplanten Termin zusammen mit ihrem Mann Peter das Leben nehmen würde.

Es ist eine Geschichte, die schwer zu begreifen, ja schwer auszuhalten ist: Peter Stäheli hat Parkinson. Er beschließt, dass er nicht erleben will, wie diese Krankheit ihn zugrunderichtet; er beschließt also zu sterben, an einem Tag, den er bestimmt, und mit einer Methode, die er wählt. Seine Frau ist gesund – doch sie fühlt sich ihm nach 49 gemeinsamen Jahren so sehr verbunden, dass sie ohne ihn ebenfalls nicht mehr leben will. Das Ehepaar Stäheli hat ein Kind, einen erwachsenen Sohn. Die Eltern teilen ihm mit, dass sie sich töten werden. Der Sohn ist aufgewühlt, traurig, verzweifelt, wütend, will seine Eltern von ihrem Entschluss abbringen, wenigstens die Mutter, doch es hilft nichts. »Ich weiß, es ist ein zutiefst egoistischer Gedanke, aber er ist von Liebe getragen«, sagt sie. »So wie Eltern ihre Kinder ziehen lassen, müssen Kinder auch ihre Eltern ziehen lassen«, sagt der Vater.

Unser Autor Stephan Hille ist eng mit dem Sohn der Stähelis befreundet. Er schrieb die Chronik eines angekündigten Todes, die letzten Monate im Leben von Edith und Peter Stäheli, die viel mit ihm sprachen, er berichtet von den letzten Treffen der Eltern mit dem Sohn und dessen zweijährigem Kind. Hille erzählt von der Ohnmacht des Sohnes, dem dieser umfassende Pragmatismus der Eltern gegenübersteht – auch ihre Trauerfeier besprechen sie mit ihm im Detail. Zugleich sieht der Sohn auch etwas Gutes darin, dass er vom Tod seiner Eltern schon vorher so genau weiß: »So haben wir die Chance, diesen Weg sehr bewusst und positiv zu Ende zu gehen.« Dann wieder plagen ihn Albträume und die Frage: Könnte er das Ruder nicht doch irgendwie herumreißen?

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Und an dem Tag, an dem die Eltern gehen wollen, kommt alles noch schlimmer als gedacht.

Wenn Sie von Suizidgedanken betroffen sind, kontaktieren Sie die Telefonseelsorge (telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

Die Eltern gehen weg

Weil er unheilbar krank ist, beschließt ein Mann zu sterben. Ohne ihn will auch seine Frau nicht leben. Unser Autor hat die letzten Monate des Paares dokumentiert - er ist ein guter Freund des Sohnes.

Foto: Caro / Wilfried Wirth