Liebe zukünftige Lieblingsfrau,
wusstest du, dass es jetzt nichtdiskriminierende Singlepartys gibt, auf die man auch gehen darf, wenn man kein Single ist? Damit es trotzdem wie eine Singleparty funktioniert, kann man sich am Eingang ein »Statusarmband« geben lassen, als heterosexueller Single zum Beispiel ein gelbes. Ich trug also ein gelbes.
Ich hatte einen Zettel gesehen, auf dem diese Party angekündigt war, und war mir sofort zu fein dafür. So bin ich manchmal, ich denke, ich habe allen möglichen Kram nicht nötig, dazu gehören Partnervermittlungen und Single-Veranstaltungen und Fahrradhelme. Es ist idiotisch, mein Kopf ist kein bisschen stabiler als der irgendeines anderen Fahrradfahrers, und ich werde wie wahrscheinlich alle anderen Menschen auch mit den Jahren gleichzeitig merkwürdiger und anspruchsvoller – schwerer vermittelbar. Ich will viel mehr als früher, und gleichzeitig wird mein Angebot, na ja, spezieller. Die Idee, ich hätte irgendetwas nicht nötig, ist schon fast lustig arrogant. Ich meine, ich bin 42 Jahre alt und bringe zwei Kinder mit, ich bin keine imposante Erscheinung, nicht reich und der mächtige Herrscher von gar nichts. Trotzdem hatte ich das Gefühl, ich hätte es nicht nötig, so platt auf die Suche zu gehen. Ich dachte, das ist doch oberflächlicher Kram, denn um all das, was man bei so einer Veranstaltung von Menschen sieht und mitbekommt, geht es doch gar nicht.
Und dann kam ich mir so blöd vor damit, einfach zu warten, dass du plötzlich auftauchst, obwohl ich gar nichts dafür tue. Deshalb bin ich hingegangen. Aber als ich dann da war, habe ich bemerkt, woran es in Wahrheit liegt, dass ich nicht wollte. Und es ist nicht schön.
Ich glaube nicht an das Prinzip nichtdiskriminierender Singlepartys mit Statusarmbändern. Jeder hatte ein gelbes Armband um. Jeder! Man hätte es genauso gut lassen können. Dann hätten wir auch nicht alle ausgesehen wie Kühe auf einem Rindermarkt, an deren Ohrmarken man irgendwas ablesen kann. Ich stand da mit einem Bier in der Hand und überlegte, wie man es schafft, so auszusehen, als hätte man es nicht nötig, hier zu sein. Und dann fiel mir auf, warum ich den Gedanken solcher Veranstaltungen von vornherein so furchtbar fand: Ich habe nicht auf die Frauen geguckt, sondern auf die anderen Typen. Wenn du als Kuh auf den Rindermarkt gehst, bist du plötzlich ein Produkt, und du guckst nur noch auf die Konkurrenz. Das ist die Ironie: Während du im Leben versuchst, herauszufinden, wer du bist, damit du genau das sein kannst, was eben nur du bist, hast du gleichzeitig Angst, du wärst anders als alle anderen.
Ich weiß nicht, ob du jemals auf so einer Party warst, aber wenn, dann hoffe ich, du hattest Spaß. Ich weiß nicht, ob du ein Mensch bist, der »neue Leute kennenlernen« unter den Dingen ankreuzen würde, die er gern macht. Mir fällt das eher schwer. Aber ich hoffe, dir war das alles egal, und du hast getanzt und gelacht. Ich stand nur daneben und war das schlechteste Angebot, das man überhaupt machen kann.
Nach einer Viertelstunde bin ich gegangen. In der Kneipe gegenüber meiner Wohnung habe ich mich noch an den Tresen gesetzt und einen Schnaps getrunken und an dich gedacht. Wenn du da wärst, dachte ich, und wir reden könnten und lachen und uns voneinander erzählen, dann würdest du die Dinge an mir sehen, die man auf einer Viehauktion nicht erkennt. Dann würden wir tanzen gehen und bei »Crazy Horst« an der Jukebox knutschen; in einen Fotoautomaten Bilder machen, die man niemandem zeigen kann, und deshalb stolz an den Kühlschrank hängt; uns bei einem DJ auf dem Hamburger Berg »Informer« von Snow wünschen, weil das zwar ein völlig absurdes Lied ist, aber man einfach dazu tanzen muss; und dann morgens um halb fünf noch einen Döner essen, mit alles mit scharf.
Ich will das. Und zwar mit alles mit scharf. Aber vor allem mit dir.
Foto: Stephanie Pfaender