Neunundachtzig Vorschläge bekam Christian im Sommer 2003. So viele Frauen hatte das Computerprogramm einer Partnerbörse für den 48-Jährigen ermittelt. Der Physikprofessor, damals seit drei Monaten solo, litt unter dem Alleinsein und wollte möglichst schnell eine neue Partnerin finden. Sein Profil versprach »feingliedrige Hände«, in der Rubrik »Haustiere« hatte er »zwei süße freifliegende Nymphensittiche« eingetragen, sonst blieben seine Angaben aber eher vage. Nur der Ort war genau definiert: In München sollte sie schon wohnen.
Der Algorithmus der Partnerbörse hatte die gespeicherten Profile mit Christians Angaben verglichen und daraus eine Rangliste der Frauen errechnet, die am besten zu ihm passen würden. Nicht immer mit überzeugendem Ergebnis: Weit oben landete eine Dame, die sich in der Rubrik »Haustiere« einen Witz erlaubt und angegeben hatte, in ihrer Wohnung »Wollmäuse« zu halten. Ziemlich weit unten hingegen: die dunkelhaarige Dramaturgin Christiane. Dramaturgin, »das hat mich irgendwie angesprochen«, sagt Christian heute. Außerdem war ihre Postleitzahl mit seiner identisch. Ein Klick, und die Kontaktanfrage mit seinem Profil landete in Christianes Mailbox.
Bis zu dieser Nacht hatte sie ihren Account bei der Partnerbörse wochenlang ignoriert. Christiane war enttäuscht von den Männern. Mit einem Musiker hatte sie einen romantischen Briefwechsel gepflegt, doch beim Treffen im Café entpuppte der sich als »graue Maus hinterm Ofen«. Auch aus der Fernbeziehung mit einem Österreicher war nichts geworden. In ihrem Profil hatte sie sich gewünscht, dass »leidenschaftliche Dinge passieren im Leben«, doch danach sah es gerade eher nicht aus. Anders als Christian hatte sie aber keine Postleitzahl angegeben, unter der ihr Wunschpartner wohnen sollte. Wenn der Mann, »mit dem ich mich gut verstehe«, aus Brasilien oder China käme, dann solltees eben so sein.
In Christianes Mailbox befand sich dann aber kein Brasilianer – sondern Christian. »Professor, das fand ich irgendwie lustig.« Am nächsten Tag schrieb sie »Prof. Unbekannt« eine Mail. Die Antwort kam zehn Minuten später: »Also, ich wohne in der Kaiserstraße. Wir könnten Nachbarn sein, bei Ihrer Postleitzahl, stimmt das?« Kaiserstraße! Ihre Straße! Christian hatte kein Foto hochgeladen, würde sie ihn vielleicht sogar vom Sehen kennen? Minuten später die nächste Mail, diesmal mit seiner Adresse. Ihre Adresse! Plötzlich war klar: Es ist der Mann, der vor drei Monaten in jene Wohnung im Hinterhaus eingezogen war, die sie selbst gern als Büro gemietet hätte. Und auf den sie seitdem ein bisschen sauer war.
Noch wusste Christian nichts davon, Christiane hatte ihre Hausnummer nämlich nicht verraten. »Das alles war erst mal nur ein Spiel für mich.« Statt sich im Café zu treffen, das war ihr zu wenig spannend, klingelte sie eines Mittags unangemeldet bei ihm im Hinterhaus. Man fand sich sympathisch, verabredete sich fürs Kino, blieb aber beim »Sie«. Verliebt war Christiane nicht – bis zu diesem Sonntag einige Wochen später. Da konnte er nicht mit ihr ins Kino gehen, er war schon verabredet. Christiane ging allein und sah ihn nach der Vorstellung mit einer anderen. Eine riesige Enttäuschung, und sie merkte: »Etwas war in mir passiert.« Noch in der gleichen Nacht rief Christian sie an, es folgte ein intensives, intimes Gespräch. Die andere, so stellte sich heraus, war ein weiterer Vorschlag der Partnerbörse, den Christian pflichtbewusst abgearbeitet hatte.
Vier Wochen später zog Christian zu Christiane ins Vorderhaus. Vor zwei Jahren haben die beiden in Südfrankreich geheiratet.
Illustration: Ryan Todd