Pfauendämmerung allerorten. Nicht nur in der arabischen Welt, wo sie gerade einen größten Staatsmann aller Zeiten nach dem anderen loswerden, sondern auch bei uns im Westen. Nicolas Sarkozy, ein Mann mit so viel Sendungsbewusstsein, dass er sich 2004 am 200. Jahrestag der Kaiserkrönung Napoleons zum Präsidentschaftskandidaten ausrufen ließ, ist schon längst wieder auf dem Weg zum Ausgang, der Einzige, der’s noch nicht begriffen hat, ist er selbst. Silvio Berlusconi: keine Zeit mehr für die Feier seiner Virilität, auf die er sich immer viel besser verstand als auf sein Amt, jetzt muss er die Staatsfinanzen sanieren. Karl-Theodor zu Guttenberg, bis eben noch Messias: vor der üblen Nachrede nach Connecticut geflohen. Guido Westerwelle, der den Liberalismus triumphieren lassen wollte, nun ja, Guido Westerwelle. Und den Parteivorsitzenden gibt jetzt einer, der die leisen Töne so sehr bevorzugt, dass man nie weiß, was er eigentlich will. Es sieht nicht gut aus für die Führernaturen. Als hätten sich die Geführten darauf verständigt, dass Geltungsbewusstsein ein Kapitalverbrechen ist.
Hierzulande geht die Zurechtstutzung von ganz oben aus. Vermutlich, weil sie selbst keine großen Pläne hat und sich mit Klein-Klein zufriedengibt, hat die Kanzlerin in ihrer Partei alle konturierten Männer, von denen man wusste, wofür sie standen, weil sie es oft und laut sagten, systematisch kaltgestellt. Friedrich Merz, Roland Koch, Jürgen Rüttgers, Friedbert Pflüger: alle weg. Wen hat sie jetzt noch? Ronald Pofalla. Na toll. Und Norbert Röttgen, einen Mann, über den sie zu berichten wissen, dass er auf dem Fahrrad ins Amt kommt. Normalerweise haben Minister für so etwas keine Zeit, sondern betreiben auf dem Dienstlimo-Rücksitz Aktenstudium. Wenn es das ist, was die Kanzlerin wollte – lauter blasse Schmusemänner, denen man Selbstdarstellung nicht vorwerfen kann –, hat sie ihr Ziel erreicht. Und die nächste Wahl gewinnt Frank-Walter Steinmeier. Charisma? Tut uns leid, ist gerade aus.
Und die Entwicklung betrifft nicht nur die Politik. Auch in der Wirtschaft müssen sich die Alpharüden kleiner machen. Josef Ackermann wechselt in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank, das operative Geschäft teilen sich jetzt ein indischer Zahlenfuchs und Jürgen Fitschen, der als fair, zuverlässig und loyal beschrieben wird, lauter Attribute, die einem bei Ackermann nicht gleich eingefallen wären. Thomas Middelhoff: eher mit der Rehabilitierung seiner Ehre als mit Weltmarkteroberungsstrategien beschäftigt. Nur Hartmut Mehdorn darf wieder ran, vermutlich weil sein forscher Charakter der Seele Joachim Hunolds so verwandt ist, der ihm Air Berlin anvertraut. Es scheint, als wolle die deutsche Wirtschaft wieder werden, wie sie vor den Börsenfieberschüben und Spekulationsblasen lange war: sehr solide, nicht sehr sexy, ohne Managerpersönlichkeiten, die auch für die vermischten Seiten Stoff liefern könnten.
Dass die Selbstdarsteller keine Hausse mehr haben, liegt vor allem an der Baisse. Von den Vorturnern erwarten die Menschen, dass sie die angekündigten Kunststücke irgendwann auch zeigen. Darin aber haben sie alle so gründlich versagt, dass sich in der Krise bei vielen der Verdacht aufdrängt: Es waren nicht nur ökonomische Unwägbarkeiten und Marktverwerfungen, die die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds getrieben haben, sondern Charakterfehler – Selbstüberschätzung, Hochmut, Realitätsverleugnung, der Glaube, unbesiegbar zu sein, all das, was man gemeinhin Eitelkeit nennt.
Es ist im öffentlichen Leben nicht anders als bei Liebesgeschichten. Man lässt sich lange blenden, weil der Schein so schön ist, den der Blender wirft, in den man sich verguckt hat. Deswegen hört man seinen Status-Updates zu, anstatt ihn infrage zu stellen, denkt sich sogar Entschuldigungen für ihn aus, wenn sich nicht gleich erfüllt, was er verspricht, hält den Mund, man will nicht kleinlich sein. Doch irgendwann kommt der Tag, an dem einem aufgeht, das ist alles heiße Luft gewesen, und man ist stocksauer auf den Schwätzer, von dessen Selbst man sich viel zu lange belagern ließ. Und sucht sich stattdessen einen, der nicht mehr schwätzt. »Fürsorglich, treu, harmonisch«, lautet der Text in den einschlägigen Kleinanzeigen; wenn man sie liest, merkt man gleich: Hier hat mal wieder eine die Männer-Selbstgefälligkeit satt und sucht einen Kuschelkameraden statt wieder einen, der sich so toll vorkommt.
Wie sich der Narzissmus von Managern auf den Erfolg der von ihnen geleiteten Unternehmen auswirkt, haben die amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Donald Hambrick und Arijit Chatterjee vor fünf Jahren untersucht. Ergebnis: CEOs mit ausgeprägtem Geltungsdrang neigen häufiger als ihre sachlicheren Kollegen dazu, sich die ganz großen Vorhaben zuzutrauen, und fällen deswegen deutlich riskantere Entscheidungen – mit denen man größere Erfolge feiern, aber auch umso böser scheitern kann. Ein Paradebeispiel dafür ist der Niedergang Thomas Middelhoffs. Nacheinander hat er bei Bertelsmann und bei Karstadt keinen Stein auf dem anderen gelassen, aktionistisch Zukäufe beschlossen und strategische Neuausrichtungen auf den Weg gebracht – und ist beide Male hochkant rausgeflogen. Nach seiner Erfahrung mit Middelhoff hat der Patriarch von Bertelsmann, Reinhard Mohn, sogar einen Text über die »Eitelkeit im Leben von Managern« geschrieben, 22 Seiten Generalabrechnung (und ein wenig Selbstzerknirschung darüber, dass er bei seiner Wahl nicht genügend auf die Persönlichkeit geachtet hatte).
Die Frage ist: Wie kann man Narzissmus mit wissenschaftlichen Kriterien erfassen? Schließlich gibt es keine Manager, die sich selbst Eitelkeit attestieren. Hambrick und Chatterjee haben eine Art Ego-Index entwickelt, der sich aus insgesamt acht Faktoren zusammensetzt: wie oft der Mann an der Spitze in Interviews »ich« (statt »wir«) sagt, wie oft er sich im Jahresbericht seines Unternehmens erwähnen lässt, wie viel mehr als sein Stellvertreter er verdient und so weiter. Als die Wirtschaftszeitschrift Capital 2006 deutsche DAX-Manager diesem Selbstgefälligkeits-Check unterzog, landete auf Platz eins Werner Wenning von der Bayer AG vor Nikolaus Schweickart (Altana) und Dieter Zetsche (damals noch DaimlerChrysler).
Dass Männer, die sich mehr zutrauen, als sie sollten, häufig in Positionen kommen, in denen sie ihren Geltungsdrang auch ausleben können, hat nicht wenig mit jener Eitelkeit zu tun, die dann für Verdruss sorgt. Ihr Narzissmus verschafft ihnen so etwas wie einen psychologischen Startvorteil, sagt der amerikanische Psychologe W. Keith Campbell: »Narzissten sind gut darin, Beziehungen zu knüpfen. Sie halten immer nach Gelegenheiten Ausschau, sich breitzumachen und ihr Ego aufzupumpen.« Eitle Männer sind von ihren Fähigkeiten so berauscht, dass man sie leicht für Visionäre halten kann, so überzeugt von sich selbst, dass man dem Missverständnis erliegt, ihre Sicherheit gelte der Sache, nicht dem Selbst. Bis zu einem gewissen Grad liebt man den Menschen, der sich selbst liebt: von Selbstzweifel unberührt, versprüht er einen Tatendrang, von dem man sich schnell mitreißen lässt.
Diesen Effekt kann man in ganz anderem Zusammenhang am Erfolg des Modekochs Jamie Oliver beobachten: Der Mann, eitel genug, um sich in jedem seiner Kochbücher häufiger abbilden zu lassen als einst Erich Honecker im Neuen Deutschland, ist alles andere als ein aufregender, innovativer, virtuoser Koch; aber weil er von sich so eingenommen ist, hält man ihn für einen.
Selbst ausgewachsene Alphamänner lassen sich gelegentlich von der Selbstbegeisterung anderer infizieren, wie einst Uli Hoeneß von Jürgen Klinsmann. Eitle Männer erfüllen die Sehnsucht nach Komplexitätsreduktion: Weil sie uns vormachen, wie einfach sich die Welt biegen und besiegen lässt, wenn man nur beherzt anpackt, beginnt man selbst das Unmachbare für machbar zu halten. Einer Politikerin wie Angela Merkel, deren Handlungen oft genug nur die Kompliziertheit ihrer Lage widerspiegeln, wird deswegen nachgesagt, dass sie nicht regiere. Obwohl sie es tut, jeden Tag.
Ist es das, wonach sich die Menschen sehnen: beherzt zupackende und ichstarke Leader durch Männer zu ersetzen, die nichts riskieren? Durch Männer, die sachlich bleiben und ihr Zahlenwerk im Griff haben, wie der neue Bundesbankpräsident Jens Weidmann? Es sieht fast danach aus. Für ein paar Jahre jedenfalls. Schließlich wird niemand mehr Politiker oder Manager werden wollen, wenn man dabei seine Persönlichkeit nicht ausdrücken darf. Oder keine auffällige haben soll.
Denn keine Eitelkeit ist auch keine Lösung. Der Mann, der sich nicht selbst auf die Brust klopft, mag sozialverträglich sein, doch oft stört einen dessen Persönlichkeit nur deswegen nicht, weil er keine hat. Wer von anderen bewundert werden will, für den existieren immerhin die anderen, und sei es auch nur als Publikum.
Irgendwann, wenn der Karren mal wieder tief im Dreck steckt, wird man sich der Männer erinnern, die jetzt für ihre Hybris gescholten werden, obwohl sie doch nur Visionen hatten. Und sie werden da sein, ohne bad feelings, schließlich haben sie ja gewusst, dass es kein leichtes Los ist, besser als der Durchschnitt zu sein. Sie werden anpacken und zeigen, was sie können. Weil sie toll sind.
Foto: Lluis Artus