Im Februar 1997 brach Gabriele S. aus Belzig in Brandenburg auf, angeblich um den Papst in Rom zu besuchen - und kehrte nicht zurück.
Sie verließ zwei volljährige Kinder – und eine gescheiterte Existenz: geschieden, labil und den Job im Tanklager der russischen Armee hatte sie auch verloren. Ihre Mutter meldete sie als vermisst. Zwölf Jahre blieb die heute 52-Jährige verschwunden – bis ein Spaziergänger sie vor wenigen Tagen in einem Wald bei Bern in der Schweiz entdeckte und pflichtbewusst die Polizei verständigte. Die Polizei sagt, dass Gabriele S. jahrelang durch Österreich, Italien und Frankreich gereist war, bevor sie sich etwa vor einem Jahr im Wald bei Bern einrichtete: Sie baute sich einen Unterschlupf zwischen zwei Bäumen unter einer Plastikplane und aß abgelaufene Lebensmittel. Die Polizei vermutet, dass jemand im Dorf ihr geholfen habe, an das Essen zu kommen. Als die Schweizer Polizei Gabriele S. abholte, sagte sie, dass sie nicht zu ihrer Familie möchte, sondern im Wald bleiben will. Aber das geht nicht: Ein Mensch, der vermisst wird, muss gesucht, gefunden, ausgehändigt werden. Obendrein erlauben die Behörden nicht in diesem Wald zu wohnen.
Warum eigentlich nicht?
Gabriele S. wollte ohne Hartz IV, ohne Krankenversicherung, ohne Bankkonto, ohne Pflichten, ohne Verantwortung leben. Sie war körperlich gesund, hat nicht gestohlen, fiel keinem Staat zur Last, auch ihrer Familie nicht. Bleiben die Sorgen, die sich ihre Familie um sie gemacht hat.
Und ein paar Fragen: Wenn der Wald allen gehört, warum darf man dort nicht leben? Welches Gesetz wird gebrochen, wenn jemand zwischen Bäumen haust und nicht in einer Wohnung? Wenn man niemanden stört außer die Ameisen? Warum ist es unvorstellbar, dass jemand keine Lust hat mit irgendjemandem zu reden? Warum glauben wir, dass Gabriele S. unglücklich ist und gerettet werden muss?
Sie lebte nach unseren Maßstäben menschenunwürdig, aber nach ihren war sie glücklich. Wie frei ist also die Entscheidung, frei von allen Konventionen leben zu wollen? Kann es eine Gesellschaft nur aushalten mit einem Menschen, wenn er in einer zugewiesenen Wohnung wohnt und Sozialhilfe beansprucht? Denn darauf könnte es nun hinaus laufen, wenn Gabriele S. nicht rechtzeitig wieder abhaut.
Am Mittwoch wurde sie von ihrer Schwester abgeholt und in ihre Heimat nach Brandenburg gebracht. Wenn Sie sich entscheidet dort zu bleiben, wird sie vor allem etwas an ihr altes Leben erinnern: das „Dschungelcamp“ im Fernsehen. Das hatte Gabriele S. zwölf Jahre live in ihrem Wald, aus dem sie jetzt heraus gewählt wurde. Von den Schweizer Behörden.