Der Winter naht, die Libido leidet. Je schmuddeliger das Wetter, je kürzer die Tage, umso heftiger zieht es uns aufs Sofa und vor die Glotze statt ins ausgekühlte Schlafzimmer, wo wir uns zwischen klammen Laken lieben.
Ein italienischer Psychiater von der Universität Siena hat nun möglicherweise eine nebenwirkunsgfreie Lösung für dieses Problem gefunden. Er behandelte eine Gruppe von Männern, die über nachlassende Lust klagte, mit Lichttherapie. Jeden Morgen ließ er sie eine halbe Stunde lang von einer 10.000 Lux starken Lampe bestrahlen, mit dem Ergebnis, dass der Testosteronspiegel in ihrem Blut merklich anstieg und die Männer ihre Lust als höher und ihre sexuelle »Performance« als besser einschätzten. Eine Dosis Frühlingssonne kann also – selbst dann, wenn sie künstlich ist – unsere Libido steigern. Doch wie diese Erkenntnis hierzulande in den erotischen Alltag integrieren, in dem sich für gewöhnlich eine gewisse Schummrigkeit etabliert hat? Beim Sex gedämpftes Licht anlassen ist das eine, sich dabei jede Falte von einer 10.000 Lux starken Tageslichtlampe ausleuchten lassen das andere. Damit die nächsten Monate zum »Winter der Liebe« werden können, muss eine langsame Gewöhnung an neue Lichtverhältnisse stattfinden.
Abhilfe könnte vorerst die gemeinsame Lichtdusche vor dem Akt schaffen, quasi als Teil des Vorspiels. Badezimmerdesigner könnten durch geschicktes Zusammenspiel von Licht und Wasser die Illusion eines sanften Frühlingsschauers erschaffen und Paare beim gemeinsamen Duschen in die Zeit zurückversetzen, in der sie noch im Regen geknutscht haben anstatt sich darüber zu streiten, wer schon wieder den Schirm zuhause vergessen hat und wessen Idee es eigentlich war, bei diesem Wetter zu Fuß zu gehen anstatt den Bus zu nehmen.
Die ARD könnte den Tatortabspann durch eine zweiminütige Weißblende ersetzen, Abschleppkneipen an ihren Ausgängen Lichtschleusen installieren, als letzte, schnelle Testosterondusche, was den praktischen Nebeneffekt hätte, dass sich beide Parteien auch bei heftigerem Alkoholkonsum noch mal kurz vergewissern können, ob sie mit dem anderen wirklich ins Bett wollen.
»Light Lunch« könnte eine völlig neue Bedeutung bekommen, die Sonnenstudiobranche könnte wieder aus ihrem - Verzeihung! – Schattendasein erlöst werden: Endlich nicht mehr nur Garant für Falten und Hautkrebs, sondern für satte Testosteronspiegel und wetterfeste Libido! Sonnenbrillen könnten endlich ganzjährig getragen und im Sextoy-Segment vermarktet werden und wenn wir uns alle erstmal an das viele Licht und den vielen daraus resultierenden Sex gewöhnt haben, dann schrauben wir irgendwann eben doch die fette 10.000 Lux Tageslichtdusche übers Bett, scheißen auf Schummerlicht und darauf, wie wir beim Sex aussehen. Wir haben ja schließlich wieder reichlich davon.
Gut, die Energiekosten werden explodieren, Netflix wird ein paar Einbußen verzeichnen, die Rot-Licht-Branche wird sich einen neuen Namen suchen müssen, aber das alles ist zu verkraften. Letztlich erfüllt sich so nur, was Nationaldichter und Libido-Experte Johann Wolfgang von Goethe uns Deutschen noch mit auf den Weg geben wollte, als er auf dem Sterbebett in den Armen seiner geliebten Frau mit letzter Kraft »Mehr Licht!« forderte.
Illustration: Sammy Slabbinck