Wenn ich an der Menschheit zweifle – und das passiert immer häufiger, vielleicht liegt’s am Alter, vermutlich aber an der Zeit –, lese ich Umfragen. Aber nicht irgendwelche, sondern die mit den hypothetischen Fragen.
Wenn Sie eine syrische Familie bei sich zu Hause aufnehmen könnten, würden Sie es tun?
Wenn Sie Bundeskanzlerin wären, würden Sie die Schere zwischen arm und reich abschaffen? Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, würden Sie sich doch sicher auch Frieden, Freiheit und Gesundheit für alle Welt wünschen?
70 Prozent der Menschheit sind nämlich gut und anständig, sozial und hilfreich. Mindestens, eher sogar 94,3 Prozent. In Umfragen. Wo so ein sozialwissenschaftlicher Akademiker-Heini vor dir steht und die Augenbrauen verziehen könnte, wenn du ihm sagst, was du eigentlich denkst.
Nö, mein Hobbyraum ist für meine Märklin da.
Pff, Hauptsache, mir geht’s gut.
Och, die anderen sind mir eigentlich egal.
Was man doch mal sagen dürfen wird, das äußert sich lieber unbeobachtet. In der Wahlkabine oder im Steinwurf auf ein Ayslbewerberheim.
Gerade ist mir wieder sehr nach Verzweifeln. Und da freue ich mich an der Umfrage der Kampagne der deutschen Buchbranche. Die haben 5.000 Deutsche ab 14 Jahren nach den drei Innenstadt-Geschäften mit der schönsten Atmosphäre gefragt.
Also, der Ich-raffe-jedes-Gadget-Markt ist mein zweites Zuhause.
Wir machen die Runde Pimkies-Primark, wat anderes kommt nich’ in die Tüte.
Hä?, da gibt’s auch Buchläden? In der Shopping-Mall? Sie meinen den Laden mit den Kalendern, Stiften und Kuscheltieren am Eingang?
Doch Umfragen bestätigten: 74,3 Prozent aller Deutschen fühlen sich beim Shoppen in der Buchhandlung am wohlsten. Dann im Blumenladen (45,3 Prozent). Und dann, recht weit abgeschlagen, kommt erst das Bekleidungsgeschäft (45,2 Prozent).
Und wider alle Erfahrungen – wenn überhaupt, dann kaufen Frauen Bücher und lesen sie manchmal sogar – ist bei Männern die Buchhandlung fast genauso beliebt wie bei Frauen: 71,4 Prozent fühlen sich in der Buchhandlung wohl. Ich persönlich kann das ja sehr gut verstehen. Bei meiner Buchhändlerin ist es ruhig und kühl, ich kann stöbern und auf dem Sofa blättern und während wir über Gott und die Welt quatschen, düdelt Jazz im Hintergrund.
Der Buchkäufer und Leser, sagen die aus der Buchbranche, sei tendenziell ein konservativer Mensch. Der mag es so retro. Deswegen hätten sich doch überraschend viele kleine Buchhändler halten können. Also nicht die in den Einkaufstraßen der Innenstädte. Die Frage wäre jetzt gewesen: Wenn Sie die Atmo in der Buchhandlung so schön finden – gehen Sie denn dann auch rein? Und kaufen ein Buch? Lesen das sogar?
Meine Schwägerin, die ich mir lebhaft als Umfrage-Beantworterin in der Shoppingmall vorstellen kann, sagt, immer wenn ich ihr von meinem neuesten Buch erzähle: Aber für das Geld kann ich mir ja ’ne Pizza kaufen! In der Straßen-Umfrage würde sie das niemals zugeben.!
Foto: Caro / Michael Weber