Bevor sardische Schäfer im Winter von ihren Dörfen in den Bergen herunter in die Ebenen wanderten, buken die Frauen ein wochenlang haltbares Brot für die Reise, das Pane Carasau. Die Methode lässt sich bis in die Bronzezeit zurückverfolgen, hier eine kurze, beeindruckende Dokumentation aus den 1960-er Jahren. »Carasare« heißt rösten: Sehr dünne Teigfladen wurden im Holzofen kurz gebacken, dabei blähten sie sich auf, so dass man jeden Fladen in zwei noch dünnere Fladen auftrennen konnte. Jeder dieser dünneren Fladen wurde ein zweites Mal ein paar Sekunden im Ofen mehr getrocknet als gebacken – durch diese doppelte Röstung war der Wassergehalt der Brote sehr niedrig und die Haltbarkeit hoch.
Um die sinnlichen Qualitäten der Brote ging es zwar sicher nur am Rande, trotzdem schmeckte das Brot der sardischen Schäfer superknusprig und aromatisch. Zumindest zu Beginn der langen Wanderungen, solange das Brot noch frisch war. Pane Carasau verbreitete sich in ganz Italien und – haltbares Brot lässt sich gut verschicken – auch im Ausland. Der Spitzname des Pane Carasau lautet Carta di Musica und bezieht sich übrigens auf die Geräusche der brechenden Brote. Die Zeiten halbnomadisch lebender Wanderschäfer sind vorbei, heute wird Pane Carasau auch in Sardinien eher mit Käse, Oliven oder mariniertem Gemüse zum Aperitivo gereicht – und lange halten muss es höchstens in den Regalen der Supermärkte.
Die Geschichte dieses Brotes begann mich zu interessieren, weil ich ein schönes Rezept eines US-amerikanischen Kochs mit Ihnen teilen möchte: Joshua Mc Fadden beschreibt in seinem Buch »Six Seasons« ein Brot, dass er Pane Carasau nennt. Ich wollte wissen, ob Mc Fadden ein sardisches Originalrezept verwendet (nein: keine Hefe, andere Mehlsorten, sein Fladen wird nur einmal gebacken und nicht aufgetrennt) und dann beschäftigte mich die Frage, ob es legitim ist, ein Brot nach einem berühmten Original zu benennen, auch wenn es deutlich anders gebacken wird. Darüber lässt sich auf jeden Fall diskutieren. Ai Weiwei hat eine Zeit lang bronzezeitliche Terrakottagefäße mit dem Coca-Cola-Logo umgewertet, hier wird das moderne Brot mit dem Namen eines bronzezeitlichen Kulturgutes aufgewertet.
Für mich scheint die Zeit der kulturell eingebundenen Pane-Carasau-Bäckerei inzwischen so lange vorbei zu sein, dass jede Art von modernem Pane Carasau sich mit sardischer Hirtenromantik schmückt. Der kulturelle Zusammenhang ist so weit verloren gegangen, dass man den Begriff mit neuer Bedeutung füllen kann – und die geht weniger in Richtung Schafe, als in Richtung Aperitivo. Joshuas Fladenbrot ist sehr knusprig, schön aromatisch und hält sich erstaunlich lange.
Pane Carasau: Knuspriges Fladenbrot mit Ricotta-Olivenöl-Dip
Zutaten:
- 240 Gramm Weizenvollkornmehl Weizenmehl
- 30 Gramm Roggenmehl
- 120 Gramm feiner italienischer Nudelgrieß aus Hartweizen Hartweizen
- 1,5 Teelöffel Salz (8 Gramm) Salz
- 250 ml Wasser
- 60 ml Olivenöl
- Für den Dip
- 180 Gramm Ricotta (oder Fetakäse, dann mit 2 EL Zitronensaft) Ricotta, Feta
- 1 EL Zitronensaft
- 4 EL Olivenöl
- Optional: Salzflocken, Thymian Salz, Thymian
Alle Zutaten für den Teig zu einem glatten Teig verkneten – entweder mit der Hand oder mit einem Gerät, auf jeden Fall aber in einer großen Schüssel. Den Teig auf die Arbeitsfläche legen (nicht mit Mehl bestäuben), zu einer dicken Rolle formen und in zwölf gleich große Teile schneiden. Jedes Stück mit gleichmäßigen, kreisenden Bewegungen der gewölbten Hand zur Teigkugel »schleifen«, bis die Oberfläche samtig glatt ist. Mit wenig Öl bestreichen, in einer Form mit Deckel zudecken und 30 Minuten ruhen lassen.
Den Ofen mit einem umgedrehten Backblech oder noch besser einem Pizzastein so heiß vorheizen wie es geht – 250 Grad Umluft sind gut, 280 Grad sind besser.
Einen Teigball mit den Händen flach drücken, mit dem Nudelholz zu unregelmäßigen Kreisen mit etwa 15 Zentimeter Durchmesser dünn ausrollen, mit ganz wenig Mehl bestäuben. Auf das heiße Backblech legen. Dabei kann man sich leicht verbrennen – also schön vorsichtig arbeiten, lieber soll der Teig ein paar Falten haben, wenn dafür die Hände unverletzt bleiben. Das Brot ein bis zwei Minuten backen, dann mit einer Grillzange vorsichtig wenden, noch ein paar Minuten weiter backen, bis auch die zweite Seite braun und der ganze Fladen knusprig ist. Aus dem Ofen nehmen, auf ein Gitter legen und die nächsten elf Fladen auf die gleiche Weise backen.
Für den Dip nun Ricotta, Zitronensaft und Öl in einem Universal-Zerkleinerer sehr cremig und locker mixen, dabei zwischendurch die Masse mit einem Gummischaber zusammenstreichen. Die Brote mit etwas Olivenöl beträufeln und mit Salzflocken und frisch gezupftem Thymian bestreuen. Mit dem Dip servieren.