Für die Evolutionsgeschichte italienischer Pasta waren Fregole ein »missing link« – oder vielleicht mehr übersehen als missing. In der Paläontologie können Skelette ein »link« sein, ein Kettenglied mit denen man den evolutionären Übergang zwischen zwei Arten beweisen kann. Eigentlich ist kein Beweis mehr notwendig. Aber christliche Kreationisten gehen trotzdem noch davon aus, dass es nicht genügend Belege für die allmähliche Evolution des Menschen gäbe, weshalb Gott vor wenigen Jahrtausenden den Menschen (und den ganzen Rest) in einem großen Wurf geschaffen habe. Was das mit Fregole zu tun hat? Auch die Geschichte der Evolution italienischer Pastasorten ist umstritten: War Marco Polo tatsächlich in China? Und wenn ja, brachte er im Rucksack wirklich ein Packerl Spaghetti mit zurück nach Venezia? Wir wissen es nicht. Überzeugender erscheint mir die Geschichte der sardischen Fregole, dafür wird Nudelgries nach und nach mit Wasser verkrümelt, bis drei bis sechs Millimeter große Kugeln entstehen. Couscous wird in Nordafrika seit Menschengedenken auf die gleiche Weise verkrümelt, nur bleiben die Kügelchen kleiner. Vermutlich brachten Phönizier die Technik nach Italien (die heute jährlich ausgetragenen Couscous-Weltmeisterschaften finden in Sizilien statt), sardische Hausfrauen rollten die Kugeln etwas größer, rösteten sie im Ofen und nannten ihre Kreation »Fregola«, sardisch »Fregula« – das lateinische Wort »ferculum« bedeutet Krümel. Dem Couscous- oder Fregolateig fehlen nur ein paar Tropfen Wasser zur modernen italienischen Pasta. Fregole schmecken sehr gut, weil sie diese zusätzlichen Röstaromen haben. Man kann Suppen oder Salata mit Fregole kochen, oft werden sie wie ein Risotto zubereitet.
Kürzlich habe ich einen venezianischen Klassiker mit Fregole variiert, den Risotto all’Amarone. Das ist ein besonders edler Rotweinrisotto. Amarone gehört wie Barolo oder Brunello zu den ganz großen italienischen Weinen. Er stammt aus dem Valpolicella-Gebiet und wird aus autochthonen halbgetrockneten Trauben gekeltert. Amarone ist tiefrot, seine Aromen komplex und wuchtig. Weinprofis nennen solche Weine manchmal Kaminweine, oder sogar Kissendrücker – es ist nicht nur viel Aroma drin, sondern auch viel Alkohol (der beim Kochen weitgehend verfliegt). Wenn Sie in einem Ristorante ein Risotto all’Amarone bestellen, dürfte allerdings nur in den seltensten Fällen wirklich Amarone drin sein, die Weine sind teuer. So teuer, dass auch ich Amarone lieber zum Risotto trinke, als ihn darin zu verkochen. Zum Glück gibt es eine gute Alternative: Für den Ripasso werden einfachere Valpolicella-Weine mit Amarone-Trester ein zweites Mal fermentiert. Auch im Glas eine feine Sache, aber es tut nicht so weh, dem Risotto – oder den Fregole – eine halbe Flasche davon zu opfern.
Hier eine Variante für den Radicchio Trevisano aus dem Ofen.
Zutaten:
- 4 Zweige Thymian
- 2 Zehen Knoblauch
- 5 EL Olivenöl
- 4 Stck. Radicchio Trevisano Radicchio
- Salz, Pfeffer
- Fregole
- 2 kleine rote Zwiebeln Zwiebel
- 400 g Fregole Sarde Pasta, Nudeln
- 2 EL Olivenöl
- 350 ml Valpolicella Ripasso (Rotwein) Rotwein
- 1 l Brühe (Gemüse oder Geflügel) Brühe
- 2-3 EL kalte Butter Butter
- 80 g Mimolette-Käse Käse
1. Thymianblättchen abstreifen. Knoblauchzehen ungeschält quetschen, z. B. mit der Breitseite eines großen Messers. Mit Olivenöl begießen, ziehen lassen.
2. Den Backofen und darin ein Backblech auf der zweituntersten Schiene auf 200 Grad vorheizen (Umluft 180 Grad). Radicchio putzen, also waschen und welke Blätter entfernen. Dabei die Strünke mit einem kleinen Messer schälen. Radicchio längs halbieren – am schönsten sieht es hinterher aus, wenn Sie nur den Strunk längs halbieren und dann die beiden Hälften jeweils vorsichtig auseinanderziehen.
3. Radicchio mit der Schnittfläche nach oben auf das Blech legen, mit 3 EL Olivenöl beträufeln und mit Salz und Pfeffer würzen. 12 Minuten im Ofen braten. Wenden, mit restlichem Öl beträufeln, weitere 10 Minuten braten, noch einmal wenden und noch ein paar Minuten knusprig werden lassen.
4. Während der Radicchio brät, die Fregole vorbereiten: Die Brühe aufkochen, ausschalten. Zwiebeln abziehen und würfeln. Mit der Butter anschwitzen, Fregole zugeben, noch eine Minute weiter schwitzen lassen, dann mit dem Rotwein ablöschen. Kurz einkochen, dann die Hälfte der Brühe zugeben. Insgesamt etwa 18 Min. (oder nach Packungsanweisung) wie einen Risotto garen, ab und zu umrühren, nach und nach die Brühe zugeben. Sobald die Fregole bissfest gegart sind, vom Herd nehmen, kalte Butter in kleinen Stücken unterrühren, den Käse reiben, ebenfalls unterrühren. Kurz ziehen lassen.
5. Fregole anrichten, Radicchio auf den Fregole verteilen und servieren. Lieber jedem zwei hübsche kleine Portionen servieren, als eine zu große.