Bald beginnen die Sommerferien und für unsere Kinder und uns eine wunderbare Zeit. Die Zeit, in der kein Wecker in aller Frühe klingelt, nicht im Halbschlaf Schulbrote geschmiert und die Notwendigkeit von Körper- und Zahnhygiene diskutiert werden müssen. Die Zeit, in der es niemanden in meiner Familien aus der Bahn wirft, wenn das Lieblings-T-shirt gerade in der Wäsche und mal wieder die Milch alle ist, weil solche kleinen alltäglichen Rückschläge ausgeschlafen nicht der Rede wert sind, unausgeschlafen aber den ganzen Tag versauen können.
Es gibt aber einen Tag im Jahr, an dem sehr frühes Aufstehen selbst für Langschläfer und Morgenmuffel wie uns das Wunderbarste auf der Welt ist: Der Tag, an dem wir vor Sonnenaufgang aufstehen, um in den Urlaub zu fahren.
Das Weckerklingeln um 4.30 Uhr ist kein Terrorgeräusch, sondern verheißungsvolles Aufbruchssignal. Das Auto ist gepackt, die Wohnung aufgeräumt, der Proviant vorbereitet, nur die Thermoskanne muss noch befüllt werden. Die Kinder schnalzen aus den Betten wie gespannte Gummibänder – kein Vergleich zu den schweren Mehlsäcken, die man zu Schulzeiten erst ausgiebig aus dem Tiefschlaf schmusen muss. Die Luft draußen ist kühl, der Himmel blass rosa, die Mondsichel noch deutlich zu sehen, und niemand außer uns scheint um diese Zeit wach zu sein. Im Grunde sieht man nur eine noch etwas ungekämmte Familie ein gerade noch TÜV-taugliches und bis unters Dach beladenes Auto besteigen, aber für uns fühlt es sich an wie ein heroischer Aufbruch ins Abenteuer. Gemeinsam wach zu sein, zu einer Zeit, zu der man normalerweise schläft, produziert ein Verschworenheitsgefühl und eine familiäre Innigkeit, die sich sonst nie auf Autofahrten einstellt.
Für eine Weile schnurren wir einfach entspannt durch die pastellige, noch dunstige Landschaft, für Hörspiele und Kindermusik ist es noch zu früh, der Proviant muss noch nicht zerpflückt werden, niemand muss dringend aufs Klo, niemand ist genervt oder hat irgendein Bedürfnis, außer, dass es jetzt endlich losgeht mit der Reise. Es ist nach all dem Stress, der in den Tagen vor den Ferien aufkommt, der erste echte Moment der Ruhe und des Friedens.
Wenn wir weiter so gut durchkommen, vergeht diese Reise wie im Flug, (den wir uns nicht leisten können)!
Jedes Jahr, wenn wir morgens um halb fünf aufstehen, um in den Urlaub in Richtung Süden zu fahren, nehme ich mir vor, das öfter zu machen: Richtig früh aufstehen. Ich könnte diese magischen Momente der Ruhe und des Friedens theoretisch jeden Tag haben. Aber ich weiß natürlich, dass daraus nichts wird, mein Biorythmus torpediert alle guten Absichten. Kaum jemanden beneide ich so sehr, wie ich freiwillige Frühaufsteher um ihre Fähigkeiten beneide. Aber auch um das Überlegenheitsgefühl, das sich einstellt, wenn man ohne Druck und vor allen anderen mit dem Tag beginnt. Für einen Augenblick bin ich die Königin der Welt – wach und bereit zu großen Taten, während die mir anvertraute Gefolgschaft friedlich und voller Vertrauen in mich auf der Rückbank döst.
Und die Straßen sind anfangs so wunderbar leer. Für eine Weile gehört sie ganz und gar uns. Wir fühlen uns so viel klüger als all die Langschläfer, die erstmal gemütlich auspennen, um sich dann nach dem Frühstück mit den ganzen anderen Verlierern in den Stau zu stellen. Ha, da sind wir schon über die Grenze und es ist noch nicht mal sieben Uhr! Wenn wir Glück haben sind wir ganz früh am Urlaubsort, viel früher als gedacht, und dann haben wir noch den ganzen Tag vor uns. Wenn wir weiter so gut durchkommen, vergeht diese Reise wie im Flug, (den wir uns nicht leisten können)!
Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem das gute Gefühl nachlässt. Wir sind nämlich gar nicht klüger als alle anderen, denn erstaunlich viele hatten die gleiche Idee wie wir und sind sehr früh aufgestanden, um in den Urlaub zu fahren. Und weil der Ferienverkehr der einen meist auch der Berufsverkehr der anderen ist, steht man irgendwann eben doch im Stau. Nach einer Weile rächt sich das frühe Aufstehen und äußert sich in gereizter Müdigkeit bei den Erwachsenen und ausgelassener Streitlust bei den Kindern. Die Thermoskanne ist längst ausgetrunken, die Snacks aufgegessen, die Handyakkus leer und irgendwo in den endlosen Weiten der Po-Ebene verpufft auch der zeitliche Vorsprung, den der frühe Start in den Urlaub eingebracht hat. Ob wir wirklich schneller ankommen, nur weil wir in aller Herrgottsfrühe aufgestanden sind? Wahrscheinlich nicht.
»Macht es wie wir«, sagen unsere Nachbarn. »Wir schlafen aus, packen in aller Ruhe ein, starten dann am frühen Abend und fahren in die Nacht hinein. Dann sind alle schon weg, die Straßen sind frei, es ist herrlich, diese gemütliche Reise in den Sonnenuntergang hinein.«
Mag sein, aber wir bleiben bei unserer Strategie, auch wenn sie nie so richtig aufgeht. Lange aufbleiben kann schließlich jeder. Früh aufstehen ist was für Könner. Selbst dann, wenn man sich nur einmal im Jahr freiwillig dazu durchringen kann.