Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Es ist ganz egal, ob ich mir für die Autofahrt Brote schmiere oder Müsliriegel zurechtlege, ob ich zwei, drei Tafeln Schokolade kaufe oder ein Pfund Himbeeren wasche – kurz nach Beginn der Reise werde ich alles verzehrt haben, ach was, in mich reingeschaufelt, vernichtet. Als ginge die Reise nicht ans Meer oder in die Berge, sondern in eine Welt ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Hoffnung. Es gibt Menschen, die ihre Verpflegung unterwegs zelebrieren, hier ein Bissen, da ein Schluck, ach, guck mal, wie schön, der Horizont, reich mir doch mal eins von den Tramezzini. Ich bin keiner von denen.
Dabei kann ich das Reisen an sich durchaus zelebrieren. Ich mag es, früh morgens alles ins Auto zu packen, die Taschen bis unters Schiebedach zu schichten, Getränke bereitzustellen, Knabberkram im Wagen zu verteilen, dazu eine Tüte mit frischen Butterbrezen, zehnmal checken, ob die Wohnung wirklich abgesperrt ist, und dann raus in die Welt. Aber angenommen, wir fahren mit dem Auto von München nach Florenz, und angenommen, es ist alles gut eingeteilt und für sieben Stunden Fahrt berechnet – kurz vor Garmisch (oder gleich hinter Wolfratshausen) werde ich jammern, dass ich zu viel gegessen habe und dass mir schlecht ist, ich werde schwören, in Zukunft keine Schokolade mehr mitzunehmen, höchstens trockenes Brot, aber auf keinen Fall Kekse und … und natürlich wird es auch bei der nächsten Reise wieder so sein, und bei der übernächsten und immer so weiter.
Arthur Schopenhauer fand, zum »Proviant für die Lebensreise« gehöre »ein guter Vorrat von Resignation«. Für meine Familie gilt das schon auf Kurzreisen. Papa stöhnt mit vollem Bauch, alle anderen verdrehen die Augen.
Dabei gibt es so wunderbare Rezepte für unterwegs. Rezepte, die sogar nur auf Reisen funktionieren. Freunde von mir, die seit vielen Jahren in den Ferien nach Elba und wieder zurück fahren, haben folgendes Ritual perfektioniert: Sie nehmen italienisches Weißbrot, schneiden es auf, legen Parmaschinken und Mozzarella rein, gern auch Zwiebelscheiben und Oliven. Dann wickeln sie das Brot fest in Alufolie und legen es wahlweise auf die Hutablage oder vorn aufs Armaturenbrett, also mitten in die Sonne. Die Hitze staut sich, je nach Wetterlage und Klimaanlage (nicht zu forsch einstellen!) sind die Brote in etwa drei Stunden ideal gegart. Käse und Zwiebel haben das Innere wunderbar durchwirkt, die ganze Familie freut sich über eine Brotzeit, wie man sie im Herzen von Bologna kaum besser kriegen könnte. Ein Essen, das sich gewissermaßen durch die Reise selbst zubereitet. Ich traue mich aber nicht, es selbst auszuprobieren, weil ich ahne, dass ich kurz hinter dem Dreieck Starnberg das erste Brot auswickeln und verputzen würde, egal wie undurchwirkt und trocken.
Immerhin, ich habe es vor vielen Jahren mal mit der Motorblock-Idee versucht, da kommt man wenigstens nicht gleich ans Essen: Man wickelt Fleisch, Wurst oder Kartoffeln in Alufolie, im Unterschied zum Hutablage-Garen kommt das Essen aber unter die Motorhaube. Halbprofis sprechen von »Carbecue«. Dazu muss man erst mit ein paar Testfahrten die heißeste Stelle im Motorraum finden. In einem Carbecue-Kochbuch heißt es dazu: »Wenn man den Finger länger als einen kurzen Moment an einer Stelle lassen kann, ist diese nicht heiß genug.« Anders gesagt: Ich habe mir erst mal ordentlich die Finger verbrannt. Das in Alufolie gewickelte Essen habe ich dann gemäß Anleitung mit Draht festgebunden, ungefähr in der Mitte dieses ganzen Motor-Wirrwars. Beim Auswickeln habe ich mir noch mal die Finger verbrannt – aber tatsächlich: Die Wurst wurde ziemlich gut, die Kartoffel schmeckte wie die typische Grill-Folien-Kartoffel. Nur das Fleisch war zäh. Ich hätte wohl alle paar Hundert Meter rechts ranfahren und mal reinpiksen müssen.
In einem eigenen WikiHow haben findige Motorblock-Köche dankenswerterweise Rezepte nach Fahrtzeiten zusammengestellt (bei etwa 120 km/h):
Forellenfilet 100–160 km
Hähnchenbrust 100 km
Chicken Wings 200–300 km
Schweinefilet 400 km
Am Ende war es mir doch alles zu aufwendig. Ich bin eher ein Kandidat für das Rezept, auf das eine Bekannte im australischen Hinterland kam. Ihr ging auf einer langen Fahrt das Wasser aus, also kombinierte sie die eine Dose Baked Beans, die sie noch hatte, mit trockenen Instant-Ramen-Nudeln. Schmeckt besser, als es klingt! Man muss die Ramen-Nudeln zu kleinen Teilen zerbröseln, dann die Bohnendose öffnen, Brösel nach und nach zugeben, quellen lassen. Sollte mindestens von München bis Kufstein sättigen.
Oder ich probiere mal das Rezept mit dem Glätteisen. Eine Freundin hat so ein Ding, mit dem man Locken glatt ziehen kann, per Adapter kann man es auch im Auto anschließen. Sie behauptet, damit könne man hervorragend unterwegs Popcorn machen, Stück für Stück. Dazu müsse man nur die einzelnen Maiskörner zwischen die heißen Stäbe stecken. Sie gibt aber zu, das dauere ewig. Also nichts für mich.
Wahrscheinlich wäre es am besten, ich verzichte im Auto auf Essen und verlasse mich auf die Zwischenstopps. Gerade auf Fahrten in Richtung Süden geht ja nichts über den ersten Espresso auf italienischem Boden. Sich an einer echte Lavazza-Theke aufs Blech stützen und zwischen müden Fernfahrern und italienischen Familien den Zucker in die Tasse rieseln zu lassen – das ist im Grunde mein einziges würdevolles Ernährungsritual auf Reisen.
Und vielleicht probiere ich an der Raststätte eines Tages echt mal die Sache mit dem Bügeleisen. Ein Bekannter von mir schwört, er habe vor Jahren einen Mann auf einem Autobahnparkplatz gesehen, der ein Bügeleisen an eine Steckdose anschloss, es umgedreht zwischen zwei Steine klemmte, eine Pfanne auf die heiße Seite setzte und darin Eier briet. Das reizt mich wirklich. Für meine Familie bliebe alles wie immer: Sie würden die Augen verdrehen.