Eine Schar junger Models drängt sich an der Eingangstür des »Grill Royal«. Das Berliner Restaurant ist bis auf den letzten Platz ausgebucht. Ein Modedesigner bestellt für seine Entourage Beef Tatar, am Fenster zur Spree dinieren der ehemalige Botschafter in Washington und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. »Heute ist wieder mal die Hölle los«, schreit ein Fotograf über seinen Tisch, ohne zu bemerken, dass neben ihm ein hochgewachsener Mann in einem eleganten römischen Priestergewand steht und sich lässig in die Ansammlung von weltlicher Elite und Eitelkeit einfügt.
Dabei gilt dieser Monsignore Wilhelm Imkamp nicht nur dem Heiligen Vater wohlvertraut, sondern sogar als Hardliner der katholischen Kirche. Tageszeitungen vermeldeten, er sei ein aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des wegen Krankheit zurückgetretenen Kardinals und Berliner Erzbischofs Sterzinsky. Dass Imkamp sich im »Grill Royal« nicht fehl am Platz fühlt, entspricht seinem Selbstverständnis: »Der Katechismus muss in die Gesellschaft getragen werden«, sagt er, »und zwar mit klaren Worten.« Was er damit meint, hat er wenige Stunden zuvor auf einer Diskussionsveranstaltung vorgeführt. »Ohne Religion wäre die Welt besser dran«, lautete das Thema. Auf dem Podium saßen neben Imkamp als Verteidiger des Glaubens der Spiegel-Autor Matthias Matussek und der evangelische Altbischof Wolfgang Huber. Die Gegenposition vertraten etwa die Islamkritikerin Necla Kelek sowie Philipp Möller, Sprecher einer Atheisten-Stiftung. Moderator der Veranstaltung mit dem Titel Disput Berlin: der ehemalige Spiegel-Chef Stefan Aust.
»Wenn Sie Ihr Leben lang gläubig waren und dann nach dem Tod feststellen, dass es keinen Gott gibt, haben Sie nichts verloren«, sprach Imkamp zum erlesenen Publikum. »Wenn Sie aber ohne Glauben gelebt haben und feststellen müssen, dass es Gott doch gibt, sind Sie ganz schön im Eimer.« Da lachten und applaudierten auch die Religionsskeptiker. Dann ging Imkamp zur Attacke über, was er für seine Pflicht hält, »Priester sollen keine intellektuellen Kuscheltiere sein«. Der 30-jährige Atheist Philipp Möller hatte das Judentum als »primitive Hirtenkultur« bezeichnet und als »Aberglauben«. Imkamp entgegnete: »Gerade in Berlin kann man doch nicht von einem kindisch-jüdischen Aberglauben reden.« Im Glauben sei er überzeugter Semit. »Die Judenverfolger, das sind Sie!«, beschimpfte er Möller. Es folgten Buhrufe, ein kleiner Tumult, wie er in der Talkshow-erprobten Gesellschaft kaum mehr vorstellbar schien.
Prälat Imkamp polemisiert und polarisiert, wohl auch deshalb bringt er es auf eine Medienpräsenz, die nur der Papst übertrifft oder der skandalumwitterte Walter Mixa. Mal sitzt Imkamp in Maischbergers Talkrunde, mal besucht ihn Henryk M. Broder samt Kamerateam für seine Deutschland-Safari im Ersten, gerade hat Arte angerufen und will ein eigenes Sendekonzept mit ihm diskutieren. Er verurteilt den ökumenischen Kirchentag als »Parteitag des Zeitgeistes«, lehnt die Zulassung der Frau zum Priestertum ab, weil alle Apostel Männer gewesen seien, er stellt selbst die Heilige Inquisition als Befreiungsbewegung dar, der Innovationen des Rechtssystems wie der Pflichtverteidiger zu verdanken seien. In einer Fernsehsendung meinte daraufhin ein Mitdiskutant, dann möge Rom doch wenigstens den auf dem Scheiterhaufen verbrannten Kirchenkritiker aus dem Dominikanerorden Giordano Bruno freisprechen. Imkamp argumentiert nicht etwa, dass dies im Jahr 2000 längst passiert war, sondern: »Ich sage es nur ungern, man soll ja die eigene Firma nicht beschmutzen, aber der Mann war ein Pädophiler.«
Einmal bezeichnete sich Imkamp selbst als »Lautsprecher Gottes«. Das bereut er heute, weil ihm das als Anmaßung ausgelegt wurde. Dabei trifft der Begriff die Kommunikationsfreudigkeit des Prälaten recht genau. Er unterhält ein eigenes Facebook-Profil und verbreitet seine Thesen und Predigten, wie etwa jene, in der er die »Bildzeitungs-Miezen« mit Maria Magdalena vergleicht, über Interviews und Aussendungen unter seinen Anhängern. Er findet die Pressearbeit der Kirche »manchmal fatal, weil sie nicht anecken möchte, sich einer Clerical Correctness unterwirft. Bei mir wissen die Leute, wenn sie aus der Predigt kommen, wenigstens wogegen sie sind. Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich sogar Werbespots für den lieben Gott schalten«. Einwände, ob Public Relations das geeignete Mittel für einen Seelsorger sei, lässt er nicht gelten. »Seelsorge ist Public Relations! Schon Paulus war ein ausgesprochenes PR-Genie.« Dass ausgerechnet ein Erzkonservativer mit den Mitteln der modernen Medien am besten umzugehen weiß, lässt gerade die Modernisierer in der Kirche verzweifeln – und zu Imkamps schärfsten Feinden werden.
An hohen kirchlichen Feiertagen kommen Zehntausende Gläubige nach Maria Vesperbild. Obwohl der kleine Ort im Bistum Augsburg keinen Märtyrer, sondern lediglich eine Marienstatue zu bieten hat, ist er einer der meistbesuchten Wallfahrtsorte Deutschlands. Die einzige Erscheinung, die es hier gibt, ist Prälat Imkamp selbst: Morgens hält er eine stille Messe, bei der lang gekniet wird und er die sakralen Formeln der Eucharistie in schönem römischen Latein vorträgt, das so leidenschaftlich klingt wie ein Liebeslied von Adriano Celentano.
Seelsorge ist Public Relations, sagt der Prälat, der auf Diskussionsveranstaltungen wie dem »Disput Berlin« gern seine Zuhörer provoziert.
Über viele Jahre hat er seinen Freizeitpark der Volksfrömmigkeit aufgebaut: die professionellen Außenmonitore mit eigenen Bänken, die eine Open-Air-Kommunion erlauben; den Eltern-Kind-Raum mit eigener Leinwand; den alten Brunnen, den er einmal im Jahr publikumswirksam mit Goldstaub versetzt; die Statue des Heiligen Josef, die er auf einer Müllhalde entdeckte. Und das »schönste öffentliche Klo Mittelschwabens, wegen dem sogar ein Autobahnraststättenbetreiber aus Chile angereist ist, um es zu besichtigen«, wie Imkamp stolz anmerkt. Sorgen machen dem Prälaten nur die Wallfahrer, die ihre Kerzen vor der Holzstatue des Sankt Josef entzünden und nicht in die vorgesehene feuersichere Vorrichtung stellen. »Das sind die allzu Frommen«, mokiert er sich. »Auch beim Glauben gilt: Zu viel ist genauso schlimm wie zu wenig.«
Als Imkamp 1988 den Wallfahrtsbetrieb übernahm hat, galt Maria Vesperbild als Hort der Ewiggestrigen, die sich dem Zweiten Vatikanischen Konzil verweigerten. Eigentlich war er hierhergekommen, um im Auftrag der Kirchenoberen das Treiben dieser reaktionären Kreise zu beenden. Jetzt hängen in den Schaukästen Plakate, die die Schriften der jungen Elisabeth von Thurn und Taxis bewerben, die darauf in luftigem T-Shirt posiert, aber der Frömmigkeit huldigt. »Dieses Reklamefoto für ihr Buch muss ich immer noch verteidigen, es gilt manchen als zu cool«, sagt »Monsignore Pop«.
In der sogenannten Grotte steht eine Kopie der Fatima-Madonna, die er als eigentlichen Grund für den Ansturm der vielen Pilger nennt: »Das Gesicht unserer Marienstatue, das ein Schnitzer aus der Umgebung angefertigt hat, ist so echt, so menschlich, dass sich die Leute in ihr erkennen«, flüstert er andächtig. Davor knien Menschen und beten »Gegrüßet seist Du, Maria«. Rings herum zeugen Votivtafeln von der Zuneigung, aber auch der Verzweiflung mancher Gläubigen. »Hilf mir, einen Ausbildungsplatz zu finden«, steht auf einer Tafel. Oder: »Maria hat geholfen, bei schwerer Krebserkrankung«. Demnächst wird die Grotte ausgebaut. Ein kleines Modell steht in Imkamps Arbeitszimmer, gleich neben dem Faltbild des Mini-Maria-Vesperbild, das im Legoland von Günzburg aufgebaut wurde, samt einer Lego-Version des Prälaten.
»Ich möchte zeigen, dass der traditionelle Katholizismus moderne Antworten zu geben weiß«
Prälat Inkamp wohnt im Dachgeschoss der Wallfahrtsdirektion zwischen Büchern, Pfeifen und unter dem strengen Blick von Papst Clemens XIV.
Bevor die Hausbedienstete das Mittagessen serviert – Parmesannocken, Shrimps-Brokkoli-Auflauf, Rohrnudeln mit Erdbeer-Ragout, dazu von einer Gönnerin gespendeter Champagner –, wird das Tischgebet gesprochen. Die freundliche Frau bindet den Gästen eine tischtuchgroße Serviette mit eigenem Halteklipp um. An den Wänden hängen Gemälde eines Malers, der ebenso Wilhelm Imkamp hieß, vielleicht ein Verwandter war, sicher aber Schüler Kandinskys. Daneben Fotografien, auf denen der Gastgeber als 21-jähriger Ministrant zu sehen ist – auch bei Kardinal Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II. Der andere Ministrant neben ihm ist heute Bischof von Stockholm. Und immer wieder Fotos der Familie Thurn und Taxis, die von einer beinahe familiären Bindung zu Imkamp zeugen.
Der Prälat erzählt seine Geschichte: Wie er, der Sohn einer niederrheinischen Tabakfabrikantenfamilie, schon als Jugendlicher theologisch interessiert war. Sich zum Entsetzen der Mutter für das Priesteramt begeisterte und in Rom Theologie studierte und über Papst Innozenz III. promovierte. »Ich war ja ein Achtundsechziger«, sagt er, »ich habe damals Marcuses Der eindimensionale Mensch gelesen, aber auch Ratzingers Einführung in das Christentum. Bei dem einen interessierte mich die Analyse, aber die Lösungsansätze des anderen haben mich überzeugt.« Wie nah sein Verhältnis zum heutigen Papst Benedikt XVI. in diesen Jahren geworden ist, führt er nicht näher aus. »Man hat sich eben kennengelernt.« Welche Position Wilhelm Imkamp in der katholischen Hierarchie im Moment einnimmt, ist schwer zu durchschauen. Offiziell ist er Direktor eines unbedeutenden Wallfahrtsortes. Er führt klingende Titel wie »Konsultor der Heiligsprechungskongregation«, redet also mit, wenn es um himmlische Würden geht. Er ist aber auch korrespondierendes Mitglied der päpstlichen Theologenakademie sowie Komtur im Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Viele dieser Ernennungen gingen mit dem Segen eines Mannes vonstatten, der heute in Rom die immer noch größte Glaubensgemeinschaft der Welt anführt.
Vor der Madonnenstatue im schwäbischen Wallfahrtsort Maria Vesperbild beten die Pilger, an mannchen Feiertagen sind des Zehntausende.
Schon vor einem Jahr, als sein Bischof Walter Mixa aus dem Amt gedrängt wurde, galt er als potenzieller Nachfolger. Aufrührerische Gläubige wie die Anhänger von »Wir sind Kirche« drohten für diesen Fall, sich vor das Domportal zu legen. Imkamp sei »schlimmer als Mixa« wurde der Chef der bayerischen Staatskanzlei zitiert. Der Mann würde »polarisieren und spalten«. Im liberalen Berlin regt sich zurzeit noch kein nennenswerter Widerstand gegen ihn. »Ich verstehe ja den Frust vieler, die meinen, einen modernen Glauben zu vertreten, aber dabei in leeren Kirchen sitzen«, sagt Imkamp. »Ich möchte zeigen, dass der traditionelle Katholizismus satisfaktionsfähig ist, dass er moderne Antworten zu geben weiß.«
Wie er diese Tradition versteht, legt der Prälat in seinen überall aufliegenden Schriften wie dem Taschenbuch Fit für die Ewigkeit oder dem Predigtheftchen Katholische Evergreens dar. Dort verteidigt er Dogmen wie das Zölibat, das Fegefeuer, die Schöpfungsgeschichte und das Allerheiligste Altarsakrament – unter dem Slogan »Den Fortschritt soll der Teufel holen«. Schon 1993 predigte er von einer Münchner Kanzel: »In allen geistig-geistlichen Vollzügen ist der Fortschritt keine Kategorie. Ist etwa Heidegger ein Fortschritt gegenüber Plato oder Hindemith ein Fortschritt gegenüber Mozart oder Heinrich Böll ein Fortschritt gegenüber Goethe? Wohl aber ist die Atombombe gegenüber der Dicken Bertha, das Maschinengewehr gegenüber dem Vorderlader ein eindeutiger Fortschritt!« Argumente, die bis heute einschlagen.
Gerade seine Vorliebe für die moderne Kommunikation korrespondiert oft außergewöhnlich stimmig mit der Inszenierung von einst. Er liebt reich bestickte alte Messgewänder, die es heute nur noch selten gibt. Er findet die Stücke oft auf eBay, ersteigert sie und lässt sie restaurieren. Seine Ministranten – Ministrantinnen gibt es ja nicht – können sich auf dem gesamten Wallfahrtsgebiet ins W-Lan einloggen. Zwei Netzwerke stehen zur Verfügung, »Maria« heißt das eine, das andere »Chef«.
Nach dem Essen zieht sich der Monsignore in seine Dachwohnung in der Wallfahrtsdirektion zurück und raucht eine seiner gigantischen Pfeifen. Hier findet sich eine beeindruckende Bibliothek theologischer Raritäten, zwischen Bücherbergen stehen Ohrensessel, eine Staffelei mit dem Gemälde eines Papstes aus dem 18. Jahrhundert. Auf seine Karrierepläne angesprochen, reagiert Prälat Imkamp unwirsch: »Ich hoffe nicht, dass Geistliche so denken. Ich hatte nur zwei Ziele: Die Priesterweihe, und einige Zeit wissenschaftlich arbeiten zu können – beides wurde mir ermöglicht. In einer Priesterberufung sollte Karriereplanung als Perversion gelten.«
Rosensonntag, einige Wochen vor Ostern. In Maria Vesperbild mischt sich der Geruch von Weihrauch mit dem von Benzin. Ein Feuerwehrauto, Motorräder und Rennwagen sind auf dem Platz vor der Kirche vorgefahren. Neben einer Feuerwehr aus der Umgebung sind die Teilnehmer einer Rallye gekommen, die sich für ihre bevorstehende Fahrt vom Allgäu ins muslimische Amman den Segen des Herrn erbitten.
Die Messe wird musikalisch von einer Bläsergruppe aus der Gegend umrahmt. Weil sich nicht genug kirchliche Stücke im Repertoire finden, wird während der Kommunion das Volkslied intoniert. Für die Predigt hat der Prälat die Verkehrskelle der Feuerwehr okkupiert. Nun steht er oben auf der Kanzel und schwenkt das rote Halt-Zeichen. »Viele denken, die katholische Kirche würde für Halt! stehen, besonders in der Fastenzeit. Aber das stimmt gar nicht!« Er wendet die Kelle auf Grün. »Glauben, das heißt freie Fahrt für freie Bürger in den Himmel!« Dann weist der Prälat noch auf die Möglichkeit hin, »goldene« Rosen am Ausgang für zwei Euro zu erwerben. Schließlich will der Ausbau der Grotte finanziert sein. »Schenken Sie sie einem lieben Menschen, und wenn sie keinen haben, dann schenken sie eine der Jungfrau Maria – oder einem der Rallye-Teilnehmer!«
Zwei Rosen gibt es vorab gratis. Er wirft sie von der Kanzel in die Menge. Eine Nonne streckt ihm die Hand entgegen. »Schnappen Sie sich eine, Schwester«, ruft er und wirft schon die nächste. Danach gibt es Fototermine mit dem Prälaten, der sich nicht scheut, eine der Mützen der Rennfahrer aufzusetzen und auf dem Dach eines Rennwagens zu posieren. Einer der fünf Priester seines Teams schießt Fotos für die Presseaussendungen.
Als sich die motorisierte Karawane auf ihre weite Reise begeben hat, steht Imkamp vor vier Grabplatten, die er mit dem Logo des Wallfahrtsortes versehen hat lassen. »Hier werde ich einmal ruhen«, sagt der 59-jährige Priester. Die anderen drei sind für seine künftigen Nachfolger bestimmt. Aber was, wenn ihn doch noch einmal der Ruf an einen Bischofsstuhl weit weg von hier ereilen sollte? Prälat Imkamp stutzt, dann fragt er vieldeutig lächelnd: »Haben Sie noch nie was von Überführung gehört?«
Fotos: Laurent Burst