Über den Dächern Hamburgs

Interviews mit Menschen, die wir einfach gut finden: Martin Schulz, Kranführer in Europas höchstem Kran.

Respekt, Herr Schulz, Sie sitzen im höchsten Kran Europas – 108 Meter über den Straßen von Hamburg.
Martin Schulz: Wenn der Wind bläst, schaukelt es ganz schön. Regen, Hitze, Kälte – das macht mir alles nichts aus. Aber mit Sturm habe ich echt zu kämpfen, ab Windstärke 7 kann ich den Kran kaum noch bewegen.

Wie reagieren Sie dann?
Ich lasse ihn frei drehen, damit er dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche bietet. Wenn ich eine schwere Last zu schnell abstelle, kann meine Kabine bis zu drei Meter hin- und herpendeln. Aber der Kran muss elastisch sein, sonst würde er abbrechen oder die Schrauben würden platzen. Haben Sie keine Angst?
Angst habe ich nun wahrhaftig nicht. Ich bin schwindelfrei, schon immer.

Ist es schwieriger, einen Riesenkran zu bedienen als einen kleineren?
Ob 80, 90 oder eben 108 Meter, das macht einen enormen Unterschied. Ich merke jeden Meter. Es wird immer schwieriger, die Lasten ruhig zu transportieren. Andererseits ist es ein tolles Gefühl, mit dem kleinen Finger mehrere Tonnen durch die Luft zu bewegen.

Meistgelesen diese Woche:

Hat Ihr Kran einen Fahrstuhl?
Nein, ich klettere jeden Morgen hoch.

Wie lange dauert das?
Etwa 20, 30 Minuten. Ich muss ja sicher und entspannt oben ankommen. Senkrechte und schräge Leitern wechseln sich ab. Alle vier Meter kann ich mich auf einem Podest ausruhen. Wenn ich höher bin als die umstehenden Häuser, die Windschatten liefern, werde ich förmlich vom Wind erschlagen.

Halten Sie sich besonders fit?
Ich treibe dreimal die Woche Sport, trinke nicht, rauche nicht, ernähre mich ganz bewusst, damit ich mit 54 Jahren noch gut auf den Kran komme. Außerdem sitze ich den ganzen Tag, da brauche ich einen Ausgleich. Die Kabine ist nur 2,5 Quadratmeter groß. Hinter meinem Sitz mache ich manchmal Kniebeugen.

Auf so engem Raum ist sicher kein Platz für eine Toilette?
Nein. Ich nehme leere Flaschen mit nach oben. Alles andere geht nur am Boden. Neun Stunden am Tag bin ich hier. Darauf stellt sich der Körper ein. Und für die Mittagspause hänge ich mir Taschen mit Essen und Getränken um.

Schon mal etwas Wichtiges unten vergessen?
Oh ja, meine Pausenbrote. Da bin ich wirklich noch mal runter. Aber in 30 Jahren ist mir das nur zweimal passiert. Ich kontrolliere mehrmals, ob ich alles habe. Auch das Handy ist wichtig, ich bin hier ja isoliert. Das habe ich auch mal vergessen – abends, auf dem Kran. Da bin ich noch mal hoch. Passiert einem nur einmal.

Gibt es einen Wettbewerb unter Kranführern, wer den höchsten hat?
Weiß ich nicht, darüber wird nicht gesprochen. Aber es ist eine tolle
Sache, dass ich hier sitze. Hamburg liegt mir zu Füßen. Ich überrage alle Gebäude um das Doppelte, sehe diese wunderschöne Stadt, den Michel, den Hafen, die Binnen- und die Außenalster. Ein erhebendes Gefühl.

Live-Bilder von Martin Schulz und seinem Kran liefern zwei Webcams, die Sie unter http://alturl.com/v6q2 finden.

Samuel Zuder (Foto)