Das Böse hat Vortritt, das gehört sich so. Sie sitzen im Schatten der Umkleide, sie haben sich gedehnt, dann wird es Zeit. Draußen, im Licht der Scheinwerfer, liegt leer der Ring. Der Vorhang teilt sich, und hinaus tritt, wer an diesem Abend das Böse gibt.
Sie sind wie immer zu zweit: eine ruda (»die Rüde«), eine técnica (»die Expertin«). Der Stil einer ruda schreibt vor, die Furie in sich freizulassen: Sie spuckt auf Schönheiten im Publikum, verhöhnt Männer als impotent und Frauen als Flittchen. Eine Kämpferin dieses Stils kennt keinen Respekt, Regeln gibt es für sie nicht.
Sobald sie im Ring steht, regnet es Abfall von den Rängen, ein Aufruhr, den die besten Bösen durch gezielte Beleidigungen anfachen, bis die Halle vor Wut brennt. Dann tritt die técnica in den Ring – eine ritterliche Figur, die den Rock züchtig rafft, bevor sie ihrer Gegnerin voller Grazie entgegenschreitet. Ihr Ringen muss stets regelgerecht sein.
Sie tragen Kampfnamen wie Yolanda, die Liebevolle, oder Ana, die Rächerin, und sie sind eine Sensation in den Armenvierteln von El Alto, Bolivien: Sie sind Frauen, und sie kämpfen als Catcherinnen – und sie alle sind »Cholas«. Das Wort bezeichnete in Bolivien einst eine Mestizin, eine Frau, die indianische wie auch europäische Wurzeln hat. Über die Zeiten verschob sich der Sinn: »Chola« wurde zum Schimpfwort für die Frauen aus den Anden, die eine Tracht aus Rock und Bowler trugen und als Inbegriff der Rückständigkeit galten.
Erst als Evo Morales 2006 erster indigener Präsident Boliviens wurde, wandelte sich das Wort zum Kampfbegriff: Frauen aus den Anden nannten sich nun selbst voll Stolz Cholas. Sinnbild dieses Wandels wurde eine Gruppe, die Sonntag für Sonntag in den Armenvierteln oberhalb von La Paz auftrat – die Catcherinnen von El Alto.
Sie traten ein schweres Erbe an. Lucha Libre, die lateinamerikanische Art des Wrestlings, war ein Spiegelbild des Machismo dieser Länder, die Kämpfer Legenden. Sie waren immer Männer. Frauen? Eher ließen sie Riesen und Zwerge ringen. Erst als sich deren Reiz abnutzte, dachten sich die »Titanes del Ring«, Boliviens berühmteste Wrestling-Truppe, etwas Neues aus, jagten am Ende der Kämpfe zwei Frauen durch den Ring, die sie mit zehn Dollar Gage abspeisten. Sie lockten mit der Aussicht, man könne den Cholas unter die Röcke blicken. »Die alten Kämpfer glaubten nicht, dass eine Frau kämpfen wollte oder überhaupt konnte«, erinnert sich die Catcherin Veraluz Cortéz. »Also habe ich es ihnen bewiesen.« Cortéz kämpft als Yolanda, die Liebevolle, andere Frauen nennen sich die edle Carmen Rosa oder eben Ana, die Rächerin, eine ruda, die in aufreizenden Fetzen zum Ring stolziert.
Bald bemerkten die Titanes, dass Frauen besser ankamen als sie selbst. Die Kämpferinnen dienen als Projektionsflächen, sie verkörpern die Träume, die jeder Mensch kennt: Einmal schöner, stärker, selbstsicherer sein als alle anderen – und wenn trotzdem jemand blöd kommt, dann antwortet man mit einer gesprungenen Beinschere vom obersten Ringseil.
Es ist eine Sensation. El Alto ist eine harte Stadt, die Menschen sind arm, Raub und Diebstahl häufig, an der Spitze der Polizei-Statistiken stehen Delikte, die mit Alkohol zu tun haben, und Gewalt in der Familie. Täter unter Alkoholeinfluss sind vor allem Männer. Opfer der Familiengewalt sind vor allem Frauen. Schnell zählte Ana, die Rächerin, zu den Zugpferden im Team der Titanes. Besonders gut gingen gemischte Doppel: Teamkämpfe, in denen zwei Catcherinnen gegen Typen wie Krakenmann oder Schwarzbart antraten – stolzgeblähte Gecken, denen die Cholas unter dem Jubel der Frauen im Publikum das Grinsen aus der Fresse schlugen.
»Immer wenn ich zum Ring gehe, sage ich mir: Ich werde zeigen, dass wir Frauen uns nicht mehr demütigen lassen«, sagt Polonia Ana Choque, die als Carmen Rosa kämpft. »Ohne uns sind die Männer nichts.« Das merkten auch die Titanes, die inzwischen Schwierigkeiten haben, Catcherinnen zu finden. Es gab Streit – um Geld, um Auftritte, aber vor allem um Respekt. Daraufhin gründeten die Catcherinnen eine eigene Gruppe, nur Cholas. Sie nennen sich »Diosas del Ring« – Göttinnen des Rings.
Fotos: Ivan Kashinsky