Einer für alle

Tag für Tag, Nacht für Nacht – seit nunmehr 40 Jahren feiert der Schlagersänger Jürgen Drews durch, ohne durchzudrehen. Porträt eines Stars, der zum Anfassen verdammt ist.

Drei Tage Ballermann auf Mallorca, drei Nächte »Jürgen! Jürgen!«-Rufe und hundert spitze Schreie: »Das ist ja Jürgen Drews!«, und man vergisst ganz schnell, dass die Wirklichkeit noch ganz woanders lauert.

Mallorca im Mai, eine zufällige Begegnung: Drei Männer, eine Frau, alle jung, alle angenehm anzusehen, haben sich keuchend die hundert Stufen von einer Bucht nach oben zur Straße gekämpft. Eine etwas ratlose Passantin fragt die vier, ob man dort unten wirklich baden könne. »Ja«, antwortet die Frau, »nur sind da unten noch die Perversen.« Und weil die Frau nur am Rande die beiden Kamerateams, die in der Bucht sind, meinen kann, zielt ihre ganze Verachtung auf denjenigen, den sie filmen: Jürgen Drews. So in etwa ist die Stimmung. Die einen grölen und jubeln, wenn sie ihn sehen. Die etwas auf sich halten aber, finden ihn unterirdisch, indiskutabel. Und sein Publikum gleich mit. Der Schlagerfuzzi, der.

Der erste Eindruck bestätigt fast alles
Magdeburg im März, verkaufsoffener Sonntag im Bördepark, einem Shoppingcenter am Rande der Stadt. Auftritt Jürgen Drews um 17 Uhr in der Halle beim Haupteingang. Man hört ihn schon von Weitem seinen berühmtesten Schlager Ein Bett im Kornfeld singen, das Lied, mit dem er jeden Auftritt beginnt, aber man sieht ihn nicht – die Fans vor der Halle, sehr viele junge darunter, versuchen sich an ihn zu quetschen. Er kennt das, er hat das gern. Und er singt weiter, auch weil er etwas beherrscht, von dem man sagt, dass viele Männer es nicht können: Multitasking. Während er singt, kritzelt er Autogramme, lässt sich anfassen und grinst wieder und wieder in ein Dutzend Handykameras.

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Dann betritt er die Bühne, Jubel, rhythmisches Klatschen. Etwa tausend Menschen sind da, schätzt sein Manager, Kurt Kokus. Das Publikum drinnen: so, wie man es sich wohl denkt – viele im Rentenalter, praktische Schirmmütze aus Kunstleder die Männer, praktischer postsozialistischer Frühjahrsschnitt die Frauen. Noch ist ein Durchkommen möglich zwischen dem Eiscafé »Venezia« und den Ledertaschen von Marc Picard, aber nicht mehr lang. Drews trägt einen dunkelblauen Samtmantel mit Goldstickerei an den Aufschlägen. Ein kurzes Handzeichen an seinen Manager und das Halbplayback macht Pause, Drews erzählt, dass er seit fast 22 Jahren mit derselben Frau zusammen ist, Ramona. Er fragt: »Sind hier Frauen? Seit Ramona sehe ich ja gar keine anderen Frauen mehr.« Dann sagt er, dass er Ramona kürzlich vor laufender Fernsehkamera versprochen hat, sie ein zweites Mal zu heiraten, ganz romantisch, im Juli in Venedig. Und die Überraschung sei so was von gelungen. »Jetzt singe ich ein Lied für Ramona: Wenn die Wunderkerzen brennen.« Es folgt Mama Loo von den Les Humphries Singers, »da war ich Gründungsmitglied«.

Plötzlich herrscht Unruhe am Mischpult, Fingerzeichen gehen zwischen Drews und seinem Manager hin und her. Drei Lieder auslassen, nur noch zwei singen, okay? Das ist den Geschäftsinhabern geschuldet, so hatten die nicht gewettet. Sie wollten zwar Käufer anlocken mit dem Auftritt von Jürgen Drews, aber nun drängen sich so viele Leute um die Bühne und auf den Gängen, dass keiner mehr zu den Läden durchkommt. Schnell dürfen noch ein paar Kinder auf die Bühne, dann Schluss machen, ein paar Fotos, sich umarmen lassen. Autogrammstunde muss ausfallen, sorry, die Security des Einkaufscenters drängt.

»Ich bin ja so ein Klemmi«

Ein Mensch ohne Stopp-Taste
Die gute alte Autogrammstunde heißt heute »Meet and Greet«. Sieben Leute haben 30 Minuten mit Jürgen Drews bei einem Preisausschreiben gewonnen, sie sollen ihn im Rahmen seines Auftritts im Magdeburger Einkaufszentrum treffen, im Büro des Edeka-Marktleiters. Vielleicht hofften sie, sie könnten ihm Fragen stellen und würden gefragt werden, doch eine halbe Stunde später werden sie es besser wissen. Drews wird von einem Fahrer am »Ramada«-Hotel abgeholt, er wartet telefonierend und einen Apfel essend, seine Schuhe silber, sein schwarzer Anzug mit Nieten am Revers. Er duzt alle, er fängt sofort an zu reden. Er drückt sich gewählt aus. Schon im ersten Satz fällt das Wort »desavouieren«, im dritten die Erkenntnis »tempora mutantur« und mit den Zeiten, die sich ändern, meint er Heino. Den fand Drews, 68er, der er war, früher rechtslastig, aber heute sei er ein richtig guter Freund von ihm. Er selbst habe sich geändert, aber Heino auch.

Im Büro des Marktleiters wird Sekt ausgeschenkt, auf den Häppchen stecken Zahnstocher mit Trauben. Drews geht gleich auf einen älteren Mann im grauen Pulli zu, fragt: »Na, Abteilungsleiter gewesen früher?« Er erwartet keine Antwort, sondern fragt die Frau, die neben dem Mann sitzt: »Stimmt doch, oder? Er war doch Abteilungsleiter?« Dann signiert er ein paar Plakate, möchte keine Häppchen, »ich bin schlank, war noch nie dick, ich habe nie gedacht, dass ich mal in dieser Tanzzappelbranche landen werde«. Ein Zusammenhang zwischen den Satzteilen? Manchmal kaum zu erkennen.

Keiner hat Drews gefragt, aber er erzählt die nächsten 20 Minuten wie aufgezogen: dass er früher so schüchtern war, dass er zwei Jahre später als andere das Abitur gemacht habe, dann ein kurzer Sprung zurück zu seiner Geburt, da war er ja »eine Steißlage«, sein Vater, ein Arzt, wollte ihn selbst zur Welt bringen, aber in Berlin waren alle Kreißsäle zerbombt, »ich bin Jahrgang 45, müsst ihr wissen«. Schon im nächsten Satz ist er 16 und trampt im Nyltest-Anzug nach Saint-Tropez, »da sah ich sehr witzig aus«, 250 Mark in der Tasche, selbst verdient. Nie musste er lang auf ein Auto warten, das ihn mitnahm, »vor allem die Schwulen, die sind ja auf mich geflogen«. Vor Grenoble aber nahm ihn eine Frau mit, die ihn unbedingt bei sich übernachten lassen wollte, aber er hatte Angst vor ihr, »ich war ja so ein Klemmi – bin ich bis heute«. Darum hat er sein Zwei-Mann-Zelt auf einem freien Feld aufgestellt, »es war ja Sommer«. So also, sagt er, schließt sich der Kreis zu Ein Bett im Kornfeld.

Jedenfalls, so redet er gleich weiter, hat er nach dem Abitur vier Semester Medizin studiert, dann kamen die Les Humphries Singers in den Siebzigern, und als die Gruppe auseinanderfiel, überlegte er kurz, sein Medizinstudium wieder aufzunehmen, entschloss sich aber weiter für eine Bühnenkarriere, denn »mich einmal pro Woche vor Publikum aufzuplustern, war Therapie für meine Hemmungen. Eigentlich therapiere ich mich bis heute«. Den Satz, dass er schleswig-holsteinischer Meister im Banjospielen war, schiebt er auch noch irgendwo dazwischen. An welcher Stelle genau, kann man so schnell nicht mitschreiben. Banjo spricht er deutsch aus, nicht »Bändscho«. Irgendwann sagt jemand: »Jürgen, dein Auftritt.« Da steht er eben auf, immer weiterredend. Eine der Gewinnerinnen möchte noch ein Foto mit ihm. Kriegt sie. Die anderen bleiben etwas ratlos, jedoch nicht unbeeindruckt zurück. Keiner hat ein Häppchen gegessen.

Nach dem Auftritt im Einkaufszentrum fährt Drews von Magdeburg mit dem Zug nach Hause, nach Westfalen. Da wohnt er mit Ramona, seiner Frau, und Joelina, 16, seiner Tochter, in zwei Häusern – ein modernes, ein weniger modernes auf demselben Grundstück. Jeder sei mal in dem einen und dann im anderen Haus, sagt er. Jetzt aber zu Joelina: Also, die will ja auch Sängerin werden, sie ist so talentiert, hat schon – halt, kurze Unterbrechung, denn in der Halle des Magdeburger Hauptbahnhofs haben ihn jetzt die Menschen erkannt und rennen auf ihn zu: Passanten, Zeitungsverkäuferinnen, Bundesbahnmitarbeiter in Uniform, »Jürgen! Jürgen!«, Foto hier, Foto da, gern. Wer noch? Er geht zwei Meter, schon kommen die nächsten angerannt. Da erkennt er in der Menge einen Fan, eine Frau von Anfang 20. »Was machst denn du hier?«, fragt er. »Na, ich fahre doch überallhin, wo du auftrittst«, antwortet sie.

Kaum einer, der sich hier mit ihm fotografieren lässt, ist älter als 25. Und allmählich füllt sich sein Satz: »Mit meinen 67 bin ich inzwischen fast immer der Älteste im Saal« mit Bedeutung auf.

Jetzt rechts rüber an einen winzigen Wurststand, die Frau, die ihm überallhin nachreist, darf mit. Bockwurst mit Brötchen. Auf der Ablage des Wurststandes fährt er seinen Apple-Computer hoch, Ohrstöpsel rein, er sucht das Lied, das er für Joelina komponiert hat, und sie hat gesungen, »da, hör mal«, er reicht die Ohrstöpsel weiter, »saugeil, oder?«

»Jürgen«, sagt sein Manager am Wurststand, »dein Zug.« Gut, ja, Laptop zu, »ruf mich an, wenn du was brauchst. Wenn du mich nicht erwischst, wähle statt der Null am Ende die Sechs. Das ist Ramonas Nummer, das ist genauso gut.«

So weit also die stark geraffte Fassung seines Auftritts in Magdeburg. Einer von 200 im Jahr, davon allein 40 auf Mallorca. Hamburg, Berlin, Zürich, Köln sind dabei, aber genauso Simbach am Inn. Dazu noch 50 bis 60 Fernsehinterviews. »Machen Sie eigentlich mal Urlaub?« – »Urlaub? Was ist das, wer braucht das?«

Nur wenige Menschen sind so im Reinen mit sich wie er

Wie Jürgen Drews sein
Eine Herausforderung: immer irgendwo Glitzer tragen, nicht nur auf der Bühne, auch privat am T-Shirt oder an den Schuhen; sich die Haare braun färben, »da schau, hier sind sie grau«; sich notgedrungen damit abgefunden haben, als » Schlagerfuzzi« Erfolg zu haben und nicht als Pop- oder Rockmusiker; wird irgendwo eine Kamera gezückt, also ständig, folgende Position einüben: mit dem rechten Bein Ausfallschritt nach vorn, rechten Arm nach vorn strecken, Hand ebenfalls, jedoch Ring- und Zeigefinger einklappen, Mund weit auf, grinsen und wieder von vorn; keinen Alkohol trinken, nie, keine Zigaretten rauchen, nie; so bekannt sein wie Angela Merkel; seiner Frau zuliebe in Dülmen wohnen, denn da stammt sie her; jedem alles sofort und ohne Hemmungen erzählen; seit 40 Jahren auf der Bühne stehen – dabei nicht eine Spur zynisch geworden sein in einem zynischen Gewerbe; sich mit 67 bewegen wie ein 30-Jähriger; dünn sein wie ein Hochspringer, mit der Kondition eines Marathonläufers. Beispiel?

Beispiel: Mallorca, Santa Ponça. An einem Montag im Mai soll um 15 Uhr im Beisein von Jürgen Drews offiziell sein »Kultbistro, König von Mallorca« für die kommende Schlagersaison wiedereröffnet werden. Weil sich aber so viele Radioreporter, Zeitungsredakteure und Fernsehteams angesagt haben, beginnt die Eröffnung schon um elf, jeder soll sein Interview, seine Aufnahmen, seine Fotos kriegen. Auch Fans sind eingeladen, Touristen, die gerade auf der Insel sind, Hunderte kommen. Um 15 Uhr gibt es nicht mal mehr einen Stehplatz vor seinem Lokal, die Polizei sperrt die Straße, drinnen steigen die Menschen fast übereinander. Jürgen Drews isst, eingeklemmt zwischen mindestens drei Leuten sitzend, Tomate-Mozzarella, redet dabei, lächelnd, hat die Ruhe weg.

Irgendwann tritt er auf die kleine Bühne des Lokals, singt die immer gleichen Lieder in der immer gleichen Reihenfolge, die CD mit dem Halbplayback drauf lässt nicht viele andere Möglichkeiten. Plötzlich kommt Ramona auf die Bühne im engstmöglichen gestreiften Stretchkleid: »Was machst du denn hier?«, fragt er, »ich dachte, du wärst beim Zahnarzt.« Dann kriegt er vor Rührung feuchte Augen, zieht sie eng an sich heran. RTL hat sie heimlich eingeflogen, Überraschung geglückt.

Bis acht Uhr abends dauert der Ansturm in seinem Bistro, er singt noch mal draußen für die Leute, die auf der Straße warten. Nach neun Stunden legt er sich in seinem Haus um die Ecke ins Bett, ein paar Stunden schlafen. Um zwei Uhr nachts geht’s ja erst richtig los.

Um halb ein Uhr fährt er mit seinem gelben Cabrio am Ballermann vor. Ab jetzt bis Ende September tritt er, der »König von Mallorca, der Prinz von Arenal« immer in der Nacht von Montag auf Dienstag im Megapark auf. Ein DJ kündigt ihn an, 1000 sehr junge Leute jubeln, »im Hochsommer sind es dreimal so viel«, sagt sein Manager. Drews holt ein Dutzend junger Frauen auf die Bühne, die glucksen selig. Eine Zugabe, Auftritt gegen drei Uhr beendet. Und nun wieder: Fotos machen, sich anfassen lassen, Autogramme geben. Und man denkt unwillkürlich: Käme nicht gegen vier einer der Organisatoren und sagte: »Komm, Jürgen, jetzt ist es genug«, er würde wohl immer noch bleiben und sich zur Not selbst Autogramme schreiben. Feierabend, eher unfreiwillig, nach 18 Stunden Vollprogramm.

Lernen von Jürgen Drews
a: Nur wenige Menschen sind so im Reinen mit sich wie er.
b: Er gehört zu den wenigen Stars, die sich auf der Bühne genauso geben wie hinter oder vor der Bühne. Oder ist er sogar der Einzige?

Ramona
Es gibt eine bekannte Geschichte über Jürgen Drews und seine Frau Ramona, die ist ziemlich eklig, und eine eher unbekannte, die ist ziemlich rührend.

Die ziemlich eklige: das Verspritzen von Muttermilch in einer Talkshow des Schweizer Fernsehens, ja, echt. Die Vorgeschichte dazu erzählt Jürgen Drews so: Jahrelang wurde er bei seinen Auftritten mit dem immer selben Schlachtgesang begrüßt: »Jürgen Drews ist homosexuell, homosexuell, homosexuell. Schwul!« Egal, wo er hinkam – dieser Schlachtgesang. Wie man den abstellt? Gute Frage. Sicher nicht, indem »ich sage, ich bin nicht homosexuell, ich bin sehr glücklich verheiratet. Da mache ich mich doch nur lächerlich.« Dann endlich die Idee, in die er Ramona nicht einweiht, sagt er. In der Live-Talkshow geht es prompt um Ramonas operativ vergrößerte Brust und dass man mit einem künstlichen Busen doch nicht mehr stillen könne. Das war das Stichwort. Drews sagt: »Komm, Schatz, zeig!«, Ramona holt ihre Brust aus der Bluse, drückt drauf, und ein paar Spritzer Muttermilch schießen durchs Studio. Skandal! Riesenschlagzeilen. Aber seither kein Schlachtgesang mehr.

Die rührende Geschichte: Sie begegnen sich zum ersten Mal, als Ramona 16 ist, sie lieben sich, seit sie 18 ist. Zum ersten Mal gesehen haben sie sich bei einer Misswahl, bei der Ramona teilnahm und die Jürgen Drews moderierte. Ein Jahr später, purer Zufall, eine andere Misswahl, diesmal an der Ostsee, bei der Ramona, nun 17, teilnahm, als sie mit ihren Eltern Ferien auf dem nahen Campingplatz machte. Jürgen Drews erinnerte sich aber nicht an sie. Wieder ein Jahr später, wieder Moderation Drews an der Ostsee, wieder Teilnahme Ramona. Nun erkannte er sie, sie ist 18 und drittes Kind des Lebensmittelhändlers in Dülmen, er 46 und geschieden, da hat es gefunkt.

Wenn sie nebeneinander sitzen, halten sie immer Händchen, bis heute, streicheln sich, nennen sich abwechselnd »mein Herz, mein Schatz, mein Engel«. Ramona hat etwas Patentes. Darauf kommt man nicht sofort, wenn man sie sieht, sehr blond gefärbte Haare, sehr viel Klimperschmuck an den Armen, Goldkettchen an der Jeans, künstliche Fingernägel. Sie sagt: »Jürgen war der erste und einzige Mann, den ich geküsst habe und mit dem ich im Bett war. Und das wird auch so bleiben.« Sie ist jetzt 39.

Der A-Promi unter den B-Promis

Den roten Teppich beherrschen
Wieder Mallorca, Ballermann, am ersten Sonntag im Mai. Große Eröffnung der Schlagersaison im Megapark, schräg gegenüber der Konkurrenz, dem »Bierkönig«. Viel Prominenz und Halbprominenz hat sich angesagt. Die, die singen, werden später mit je drei Liedern auftreten. Zuvor werden sie nacheinander über den roten Teppich geschleust, je später einer drankommt, desto prominenter ist er. Jürgen Drews und DJ Ötzi kommen als Letzte. Fernsehkameras, Blitzlichter, Reporter, 50, 60, eher mehr, Absperrgitter zu den normalen Zuschauern. Gina Lisa, ein bisschen bekannt aus Germany’s Next Topmodel, geht über den Teppich, Daniel Lopes, einst Finalist bei DSDS, Micaela Schäfer, einst Dschungelcamp, auch, dazu viele Gesichter, die man kennt, zu denen einem aber weder ein Name noch sonst etwas einfällt. Und man ertappt sich dabei, dass man nachts wohl zu oft durch VOX-RTL-ProSieben-kabeleins gezappt hat. Und: Der Ballermann mit seinen Feierhallen, so groß wie Oktoberfestzelte, ist ein ziemlich guter Zweitverwerter für Menschen, die es mal in Castingshows bis ins Finale gebracht haben.

Dass dann am Ende der Promireihe Jürgen Drews kommt, hört man schon daran, dass vor dem Eingang die Menschen seinen Namen brüllen. Alles wie gehabt. Kurz davor betritt DJ Ötzi den roten Teppich, weiße Mütze, weiße Daunenjacke, sagt ins Mikrofon, er freue sich jetzt, wieder regelmäßig hier zu singen, winkt kurz, gibt ein paar Interviews, verschwindet.

Jürgen Drews steht eineinhalb Stunden später immer noch auf dem roten Teppich, man kennt das langsam: Fotos, Autogramme, anfassen, Fragen, Interviews. Noch einer ohne? Bitte schön, hier, gern. DJ Ötzi sitzt derweil mit seinem Manager im ersten Stock und raucht und wartet auf seinen Auftritt. Fragt man Jürgen Drews, warum er sich so unendlich viel Zeit nimmt für Fans und Interviews, sagt er, weil es um die Fans gehe und irgendwas muss er ja tun, bis er mit seinem Auftritt dran ist. Das sollte DJ Ötzi auch mal hören.

Schlussgedanken
– Man muss Jürgen Drews nicht mögen, aber wenn man ihn ein wenig kennt, mag man ihn mehr als zuvor. Er ist der A-Promi unter der B-Prominenz.
– Was ihn nach 40 Jahren auf der Bühne immer noch treibt? Das Geld eher nicht, davon müsste er genug haben. Wie viel er pro Auftritt verdient, mag sein Manager nicht öffentlich sagen. Vielleicht kann man sich so rauswinden: In der Berliner B.Z. stand, man höre, Drews bekomme für jeden Auftritt im Megapark von Mallorca 9000 Euro.
– Was also treibt ihn immer noch? Mag sein, das: Drews geht es wie einem Taxifahrer. Der bekommt am Ende der Schicht immer Bargeld auf die Hand, nicht am 24. des Monats Zahlen auf Computerausdrucken. Jürgen Drews bekommt sein Bares auch sofort: Aufmerksamkeit, Anerkennung. Wann immer er auf die Straße geht, wo immer er auftritt, er kann sich den Applaus live abholen.
– Bei Jürgen Drews’ Liedern soll jeder mitsingen oder -grölen können. So sind sie gestrickt. Wer das belächelt, muss auch das Oktoberfest belächeln. Am Ballermann herrscht jeden Sommertag und jede Sommernacht eine Stimmung wie beim Oktoberfest im Bierzelt. Auch da singen alle Lieder wie Sierra Madre mit, Musik, von denen die meisten behaupten, sie würden sie nie freiwillig hören.
– Viele verachten Schlager- oder Volkssänger und ihr Publikum gleich dazu. Sind alles Trottel. Was grade noch geht: Wenn ein Schlagersänger öffentlich wahnsinnig drunter leidet, dass er Schlager singen muss – wie Roy Black das getan hat. Jürgen Drews wäre auch lieber als Pop- oder Rocksänger bekannt geworden. Nun hören halt die Leute lieber seine Schlager – soll ihm auch recht sein.
– Allmählich bekommt Jürgen Drews einen Coolness-Faktor, das merkt er selbst, sagt er. Dahinter versteckt sich wohl die Bewunderung für einen, der es schafft, sich 40 Jahre in diesem launischen, oft missgünstigen Geschäft zu halten und immer noch derselbe zu sein – der Jürgen Drews, der nicht aufhören kann zu reden und Autogramme zu schreiben.

Jürgen Drews Natürlich wollte Jürgen Drews, geboren im April 1945, für etwas anderes berühmt werden als für deutsche Schlager. Pop wollte er machen, besser noch Rock ’n’ Roll. Nun hält er sich seit bald 40 Jahren – am Schlagerhimmel. Und ist dort ein ziemlich großer Stern. Seine bekanntesten Lieder: Ein Bett im Kornfeld, Wenn die Wunderkerzen brennen, Ich bau Dir ein Schloss. Allein dieses Lied hat sich jüngst 150 000-mal verkauft. Seine erste Band hieß »Schnirpels«, er war Mitglied der Les Humphries Singers, nach deren Auflösung in den Siebzigern machte er allein weiter. Seit den Neunzigerjahren hat er auf dem Ballermann Erfolg als »König von Mallorca«. Und inzwischen gilt er sogar als ein bisschen cool.

Fotos: Armin Smailovic