Michelle Rodriguez sagt, sie könnte mehr Geld verdienen, wenn sie in ihren Filmen auch mal mit dem männlichen Star kuscheln würde – Schauspielerinnen, die im Film lieb sind zu den Männern, bekommen höhere Gagen. »Wäre ich unzufrieden, müsste ich nur in einem kleinen, anspruchsvollen Film ein gebeuteltes Mädchen spielen, mir die Augen ausheulen und ein paar Preise gewinnen. Aber dazu sage ich: Nein.« Unter den weiblichen Kinostars der Gegenwart ist sie ein rares Exemplar, und auch wenn sie Männer vielleicht ein wenig verschreckt, sollten gerade Männer sie schätzen als einzige berühmte Frau in Hollywood, die nicht an ihre niederen Instinkte appelliert.
Sie könnte sich ohne Weiteres als Sexbombe vermarkten, stattdessen zeigt sie sich lieber schmutzig vom Kampf und charmant wie Mike Tyson nach einem Biss ins Ohr. Männer dienen Rodriguez nicht als Liebhaber, sondern als Opfer, die sie prügelt, wegballert, überfährt, in Einzelteile zerhackt, oder denen sie, wie in ihrem letzten Film Machete, die Eingeweide herausschneidet, um sich mit dem Darm an einer Hauswand abzuseilen. Wenn sie die Männer nicht tötet, fährt sie Autorennen gegen sie (Fast & Furious), verwickelt sie in Faustkämpfe (Girlfight) oder nutzt ihre Gefühle aus (Blue Crush). Man könnte auch sagen: Rodriguez legt wenig Wert auf Qualitätskino und stiftet lieber in B- und C-Filmen Unheil. Aber das wäre übertrieben, immerhin hat sie in Avatar mitgespielt, dem erfolgreichsten Film aller Zeiten, und eine Rolle in der Abenteuerserie Lost hatte sie auch. Dem Kontostand hat ihre Vorliebe fürs Gemetzel trotzdem nicht gutgetan, zu Hause in Venice Beach wohnt sie immer noch zur Miete.
»Ich habe diesen Job gewählt, um ein Statement abzugeben über weibliche Macht und Stärke«, sagt Rodriguez. Aber Hollywood tut sich bis heute schwer mit der Stärke und der Macht der Frauen. In 16 ihrer 18 Filme und Serien erlebt die Figur, die sie spielt, das Ende nicht. Was Rodriguez damit erklärt, dass die meisten Drehbuchautoren nie Frauen wie ihr begegnet sind. »Die bekommen den Auftrag, eine starke weibliche Figur zu entwickeln, dann wissen sie nichts mit ihr anzufangen, weil sie selber keine starken Frauen kennen – also muss die Figur sterben.«
Persönlich hat Rodriguez nichts gegen Männer. Der Actionstar Vin Diesel verhalf ihr zu der Rolle in Fast And Furious, nach einer Affäre blieben sie »für immer beste Freunde«. Sie hatte eine Beziehung mit Kylie Minogues Ex-Mann Olivier Martinez. Und als junges Mädchen hatte sie einen muslimischen Freund, von dem sie sich trennte, als er sie verschleiern wollte. Aber Rodriguez mag auch die Frauen: Es gibt Paparazzi-Bilder von ihr und der zwei Köpfe größeren Blondine Kristanna Loken, ebenfalls Schauspielerin. Auf Fragen nach den Details ihres Liebeslebens antwortet Rodriguez mit der ihr eigenen Wucht: »Wenn ich wollte, dass die Leute wissen, was ich mit meiner Vagina anstelle, würde ich einen Privatporno veröffentlichen.«
Vielleicht wird man so, wenn man eine harte Kindheit hatte wie sie. Sie wurde geboren 1978 in San Antonio, Texas, ihre Mutter war aus der Dominikanischen Republik eingewandert, der Vater ein amerikanischer Soldat aus Puerto Rico. Zehn Geschwister und Halbgeschwister wimmelten im Haus herum, Papa hielt sich an einer Flasche Bier fest, Mama warb für die Zeugen Jehovas. Die Familie siedelte um in die Dominikanische Republik, dann nach Puerto Rico, dann wieder zurück in die Dominikanische Republik. Bis Michelle Rodriguez eines Tages nach Jersey City floh, in einen Vorort von New York.
Dort flog sie von sechs Schulen. Drogen, Raufereien, Aufmüpfigkeit. Rodriguez flüchtete sich in ihr Hobby: Actionfilme anschauen, drei pro Tag. Vierzig Gewehre mit Barbara Stanwyck, Alien mit Sigourney Weaver, Terminator mit Linda Hamilton. So entstand der Berufswunsch: Actionfilmstar.
Mit der Rolle der Ghetto-Boxerin in Girlfight begann ihre Karriere, und Rodriguez wurde zum ersten weiblichen Star, dessen Stilmittel vor allem Muskeln, Schweiß und Kraftausdrücke sind. So konsequent konnten zuvor nur Männer wie Charles Bronson oder Sylvester Stallone ihr Repertoire aufs Zerstören beschränken. Die einzige andere Frau, die auch mit Actionfilmen berühmt wurde, ist Angelina Jolie. Aber ihre Waffe ist der Sex, eine Strategie, die schon seit Rita Hayworth und Joan Crawford durchschaubar ist. Das Prinzip ist so alt wie das Kino selbst: Im Film entwickeln sogenannte starke Frauen den Mut zur Stärke erst, nachdem Männer ihnen Unrecht antun. Die Strategie der starken Frauen beruht immer darauf, dass Männer eigentlich nur mit ihnen schlafen wollen. Hayworth lockt in Johnny Guitar die Gangster in einen Hinterhalt, um sie abzuknallen. Crawfords Mildred Pierce treibt die Wut auf ihren Ehemann an. Stanwyck verteidigt ihre Farm in 40 Gewehre mit einer Kombination aus Charme und Zielgenauigkeit. Und Pam Grier spielte in den Siebzigerjahren Frauen, die Männern mit einer bis dahin unbekannten Brutalität gegenübertraten. Doch auch sie trug kurze Röcke, und ihr Busen war mindestens so gefährlich wie ihre Pistolen. Michelle Rodriguez dagegen verzichtet auf Flirts und sexuelle Tricks. Ihre Waffen sind die Waffen.
Das einzige Problem ist: Rodriguez zerstört nicht nur Männer und Filmsets, sondern neigt auch zur Selbstzerstörung. Sie trinkt gern und fährt trotzdem; rammt parkende Autos und verschwindet; transportiert Hasch im Wagen; rast mit 130 durch eine 50er-Zone. Amerikanische Gerichte haben sie schon vier Mal zu Gefängnis von bis zu mehreren Monaten verurteilt. Dass sie nur ein paar Tage einsitzen musste, verdankt sie allein der Überbevölkerung in Kaliforniens Gefängnissen.
2007 sah es aus, als erhole sich Rodriguez nicht mehr vom Ruf, unberechenbar zu sein. Die Rollen wurden kleiner, das Geld knapp. »Dann klingelt das Telefon – mein Idol James Cameron. Der Mann, der in Terminator und Aliens die besten weiblichen Charaktere gezeigt hatte«, sagt Rodriguez. Er erkundigte sich, ob sie eine Helikopterpilotin mit losem Mundwerk und Maschinengewehr spielen wolle. Sie sagte sofort zu. Und mit jeder Million, die Avatar umsetzte, stieg Rodriguez’ Marktwert. Seitdem klingelt ihr Telefon wieder regelmäßig. Ab April ist sie in World Invasion: Battle Los Angeles zu sehen, da trägt sie die Uniform der Marine und schießt Außerirdische über den Haufen. Ganz nach ihrem Geschmack: Kuscheln muss sie mit niemandem.
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