Tja, wann hat das Comeback von Nile Rodgers eigentlich begonnen? Als er im Jahr 2011 seine Autobiographie Le Freak veröffentlichte und man atemberaubende Geschichten über seine Jugend in der New Yorker Heroin-Boheme erfuhr, über das Damenklo im Studio 54 und die Entstehung von Madonnas Like A Virgin und David Bowies Let's Dance? Oder als er 2013 auf Daft Punks Hit »Get Lucky« Gitarre spielte? Oder als er 2013 von Prostata-Krebs geheilt wurde, gut zwei Jahre nach der Diagnose und nachdem er seine Fans mittels des Blogs Walking On Planet C an seinem Krankheitsverlauf hatte teilhaben lassen?
Jetzt ist er jedenfalls wieder da, sogar in Deutschland: Im Februar erhielt er eine »Goldene Kamera« für sein Lebenswerk, kurz zuvor hatte ihn – man glaubt es kaum – Springer-Boss Matthias Döpfner für den deutschen Rolling Stone interviewt. Und, besser noch: Im Juni erscheint sogar ein neues Album von Chic featuring Nile Rodgers, das erste seit über zwanzig Jahren. Grund genug also, mit dem großen Mann noch schnell ein paar Fragen zu klären.
Nile Rodgers, ich kann mir nicht helfen: Immer, wenn ich Musik von Chic höre, habe ich das Gefühl, dass Sie die goldene Formel entdeckt haben, mit der man die Menschen für alle Zeit zum Tanzen bringen kann.
Wir haben diese Formel nicht entdeckt – wir haben sie erfunden! Ich weiß noch genau, wie ich meinem Partner Bernard Edwards »Everybody Dance« vorgespielt habe, den ersten Song, den ich für Chic geschrieben habe. Er mochte die Harmonien, die Komposition, die simple Melodie und wir hatten beide die Hoffnung, dass diese Musik der Durchbruch für uns sein könnte. Das einzige, was er kritisierte, war der Text. »Was zum Teufel bedeutet ›dududu‹?«, hat er gefragt.
In Ihrer Autobiographie habe ich gelesen, dass Chic in den Anfangsjahren auch von Rockbands wie Roxy Music und Kiss beinflusst worden sind. Wie denn eigentlich?
Damals sind doch die Rockbands einfach in den Klamotten auf die Bühne gelatscht, die sie auch tagsüber getragen haben. Roxy Music waren anders – so modisch! Als ich sie zum ersten Mal live gesehen habe, hat es mich wirklich umgehauen. Es war zwar Rock’n’Roll, aber anspruchsvoller Rock’n’Roll. Ich dachte, wenn wir eine schwarze Version dieser Band sein könnten, würde es unglaublich werden.
Und was haben Sie von Kiss übernommen?
Die Anonymität. Niemand wusste, wie die Bandmitglieder aussehen; wie heute bei Daft Punk. Wir wollten ebenfalls keinen Personenkult – alles sollte sich in der Musik abspielen. Es geht uns um ganz ursprüngliche Gefühle, dazu muss man die Leute nicht sehen. So sind wir auf eine Methode gestoßen, unsere Musik klassisch und zeitlos werden zu lassen.
Ich habe es schon oft erlebt, dass eine Party nicht richtig in Gang kommt – bis jemand endlich Chic auflegt.
Ja, das bestätigen mir meine DJ-Freunde: Wenn’s nicht läuft, spiel einfach zehn Minuten lang Chic, dann sind alle wieder am Tanzen.
Es heißt, dass Bernard Edwards und Sie intensiv über Chic nachgedacht und die Band auch abseits vom Musikalischen genau konzeptioniert haben.
Ja, aber man darf solch eine band-interne Logik nicht mit echter Logik verwechseln. Wenn wir unsere tollen Konzepte damals jemandem erzählt haben, hieß es immer nur: »Hä?«
Was Sie bestimmt noch mehr angespornt hat!
Ja, wir haben zum Beispiel sehr viel über die Texturen unserer Songs nachgedacht. Bevor wir einen neuen Song geschrieben haben, wussten wir schon, welche Stimmung wir damit erzeugen wollen. Die Idee hatten wir von Paul Simon. Der hat nämlich mal in einem Interview gesagt: Wenn ich ein Album komponiere, schreibe ich einen Song, der das auslöst, einen anderen, der jenes auslöst und so weiter. Wenn das für Paul Simon funktioniert, könnte es bei uns genauso klappen, haben wir uns gedacht. So haben wir die holistischen Konzepte der großen Rockstars auf R&B angewendet.
Wie wichtig waren für Chic die musikalischen Fähigkeiten der einzelnen Bandmitglieder?
Das war das wichtigste überhaupt. Ich spiele nur mit den Besten. Tony Thompson, Rob Sabino, Raymond Jones – damals kannte die keiner, heute wissen wir, dass diese Leute Genies waren.
Inzwischen kommt viel aus dem Computer, gerade in der Tanzmusik. Erstklassige Musiker sind nicht mehr so wichtig, oder?
Da wäre ich nicht so sicher. Und ich spreche aus Erfahrung, ich mache schließlich Platten mit DJs und House-Produzenten. Obwohl die nicht mehr mit den Sessioncracks von früher arbeiten und auch selbst in der Regel kein Instrument spielen, ist ihr Zeug auf seltsame Weise genauso gut.
Wie das?
Mir fällt zum Beispiel eine Session mit Felix Da Housecat ein. Als Felix mir seinen Song vorgespielt hat, habe ich ihn gefragt: Felix, ist dir klar, dass du mit dem Sample gerade die Grenzen der Harmonielehre verschiebst? Da war er baff und hat mich gebeten, die Akkorde nachzuspielen: Es ging von G Major 7 zu Fis Moll 7 zu H Moll 7 mit einem A im Bass. Ziemlich hip! Als ich Felix die Sequenz auf der Gitarre vorgespielt habe, hat er geweint und gemeint, das sei das Schönste, was er je gehört hat! Das ist deine Musik, habe ich geantwortet. Ich spiele nur das, was du gesampelt und erschaffen hast.
Ich habe über das Thema mal mit Moby gesprochen. Er meinte, dass die rhythmische Textur der Tanzmusik heute nicht mehr so vielfältig sei wie früher, wo jeder Drummer, jeder Ingenieur und jedes Studio einen eigenen Sound hatte. Heute würden viele Produzenten dieselben Programme benutzen und das würde man hören.
Das stimmt, aber der Punkt ist: Die Leute hören sich Musik in der Regel nicht so an wie Moby. Das Mediengeschäft ist ziemlich schwierig. Wenn man also etwas findet, das funktioniert, tendiert man dazu, diese Formel weiter zu nutzen, bis sie eben nicht mehr funktioniert. Und bisher scheint das, was Moby bemängelt, kaum jemanden zu stören.
Ich komme aus München, wo Giorgio Moroder in den Siebzigern mit Donna Summer wegweisende Disco-Platten aufgenommen hat. Welchen Eindruck hat der »Sound Of Munich« damals auf Sie gemacht?
Diese Musik hat mein Leben verändert. Als ich zum ersten Mal »Love To Love You Baby« gehört habe, war ich total erstaunt und beeindruckt. Ich habe mir dann all die entsprechenden Platten gekauft, zum Beispiel Giorgio Moroders From Here To Eternity und Munich Machine.
Moroder hatte Ideen, die sich im amerikanischen R&B damals noch nicht durchgesetzt hatten.
Ganz genau. Sein Sound war soulful, jazzy, funky und ich wollte genau solche Musik machen. Hören Sie sich den Chic-Song »I Want Your Love« an. Da versuche ich, Giorgio Moroder zu sein!
Ende der Siebzigerjahre war Disco extrem populär. Dann kam es in der US-Öffentlichkeit zu einer Anti-Disco-Kampagne, deren Sinnbild Ansteck-Buttons mit der Aufschrift »Disco sucks« waren. Mir fällt es nicht leicht zu verstehen, was dahinter steckte.
Mir auch nicht. Manche Leute brauchen eben einen Feind, um sich wohl zu fühlen. In Amerika ist das besonders ausgeprägt – vielleicht weil wir ein so großes Land mit so vielen unterschiedlichen Ansichten und Lebensstilen sind. Man sollte die Bedeutung der Disco-Bewegung nicht unterschätzen: Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte waren alle auf derselben Seite und haben zu unserer hedonistische Tanzmusik gefeiert. Als der Film Saturday Night Fever rauskam, stand aber mit einem Mal die Rassen- und Klassenfrage im Vordergrund. Darin gewinnt John Travolta einen Tanzwettbewerb gegen Puertorikaner und Schwarze, obwohl die eigentlich besser tanzen können als er. Als er das erkennt, gibt er seine Trophäe dem puertorikanischen Paar. Diese Botschaft war groß, aber sie hat Amerika auch gespalten. Die weiße Mittelklasse hat sich gegen Disco gewendet – sie haben nicht verwunden, dass Schwarze und Latinos, die arme Unterschicht, einen derart spaßbetonten Lebensstil gepflegt haben.
In der Musikindustrie dürfte es nicht jedem gefallen haben, dass Disco-Bands sich anschickten, die Popmusik zu dominieren.
Ja, genau. Damals tauchte jede Woche eine neue unbekannte Tanzband oben in den Charts auf. Jede Woche! Die großen Rockacts hatten Probleme mitzukommen, etliche haben schließlich Disco-Platten aufgenommen: die Stones, Rod Stewart, Queen.
Einige Rockstars haben Sie dann selbst produziert.
Ich hatte noch eine Menge Hits nach unserer letzten Nummer Eins mit Chic im Jahr 1979. Eine Menge! Madonna, Mick Jagger, David Bowie ... die größte Platte von Bowie ist nicht (singt) »Ground Control to Major Tom«, sondern »Let’s Dance«.
Zum Abschluß möchte ich noch nach der Nacht fragen, in der Sie als Sechzehnjähriger mit Jimi Hendrix gejammt haben.
Ich bin in Greenwich Village aufgewachsen, im Herzen der Hippie-Szene. Und weil meine Familie im Drogengeschäft war, kannten wir viele berühmte Leute. Es war für mich also nicht ungewöhnlich, jemanden wie Jimi zu sehen. Als er sein Electric Ladyland Studio aufgebaut hat, bin ich ihm oft über den Weg gelaufen. Aber gejammt habe ich tatsächlich nur dieses eine Mal mit ihm.
Klingt nach einer wilden Nacht.
Mein Buch hatte ursprünglich 800 Seiten, aber das war dem Verlag zu lang. Falls die ungekürzte Version nochmal rauskommt, werden Sie von vielen weiteren wilden Nächten erfahren, glauben Sie mir.