»Hank Williams war einer der Auserwählten«

Holly Williams im Interview über das Genie ihres berühmten Großvaters und die Zusammenarbeit mit Bob Dylan, der nun treibende Kraft hinter einem neuen Album mit dessen alten Textfragmenten war.

Foto: AP

The Lost Notebooks heißt das neue Album mit Songs von Hank Williams, aber verloren gegangen waren die Notizbücher, um die es hier geht, keineswegs. Ganz im Gegenteil: Kurz nach Williams' Tod am 1. Januar 1953 übergab seine Mutter eine Kiste mit Manuskripten, darin auch vier Notizbücher, an den Musikverleger Fred Rose. Seitdem gab es zwar manchmal Streit um diese Papiere mit Songtexten und Textfragmenten, meist lagen sie aber in diversen Tresoren in Nashville. Nun haben 13 Künstler unter Führung von Bob Dylan die sechzig Jahre alten Worte ergänzt und aufpoliert, mit Musik unterlegt und eingesungen – alles zu Ehren von Hank.

Als ich von diesem Projekt hörte, fiel mir gleich eine Passage aus Colin Escotts empfehlenswerter Hank-Williams-Biographie ein. Er berichtet, wie kurz nach Williams’ Tod eine hektische Suche nach unveröffentlichten Songs begann, obwohl die Manuskripte ohne ihren Urheber eigentlich nichts mehr wert waren: »Nobody realized that without Hank singing them, the scribblings were fool's gold.« Wie hält das neue Album diesem Vorwurf stand? Sind die von Hank Williams hinterlassenen Texte ohne ihren Schöpfer nicht mehr als Katzengold?

Tatsächlich sind, das fällt schon beim ersten Hören des Albums auf, hier keine Songs enthalten, die auch nur annähernd an die großen Hank-Williams-Klassiker heranreichen. Der Mann war ja auch nicht blöd - warum hätte er sein stärkstes Material zurückhalten sollen? Den von Bob Dylan gesungenen Titel »The Love That Faded« schrieb Williams ausweislich eines Faksimiles im Booklet am 2. Mai 1947, als seine Karriere gerad erste begann; dass er den Titel nie wieder hervorholte, hatte schon seine Gründe. Außerdem stammen einige der Fragmente wohl aus Williams' letzten Lebensmonaten, als er sehr turbulente Zeiten durchlebte und künstlerisch abbaute. Wer hier ein zweites »Cold, Cold Heart« oder »Ramblin' Man« erwartet, wird nicht fündig werden.

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Der Schlüssel zu Hank Williams' Genie ist seine Einfachheit. Er fand einen Weg, die Emotionen in seinen Texten und in seiner Musik aufs Wesentliche zu reduzieren, wodurch seine Songs dauerhaft wahrhaftig, ja unsterblich wurden. Die Interpretationen auf The Lost Notebooks funktionieren immer dann besonders gut, wenn die Künstler fähig sind zu einem solcherart reduzierten, intensiven Vortrag. Ein Krachmacher wie Jack White kann das zum Beispiel gar nicht, sehr gut gelingt es hingegen Norah Jones, Countrystar Alan Jackson, Levon Helm und Dylan selbst. Höhepunkt des Album ist jedoch der Titel von Merle Haggard, der sich im Lauf von 50 Jahren immer wieder als Meister des einfachen Vortrags erwiesen hat und hier gerade mal zwei Minuten braucht, um mit dem Titel »The Sermon On The Mount« allen anderen die Show zu stehlen.

Ebenfalls gelungen ist der Titel »Blue Is My Heart«, der von Holly Williams vorgetragen wird, Hanks Enkelin. (Hank Jr., ihr Vater, singt die zweite Stimme im Refrain.) Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, mit Holly Williams zu telefonieren, The Lost Notebooks Of Hank Williams erscheint am Freitag bei Sony.

Holly Williams, die treibende Kraft hinter der neuen CD mit Songs Ihres Großvaters war Bob Dylan. Haben Sie ihn im Zuge dessen persönlich kennengelernt?
Ich habe Bob vor sieben oder acht Jahren zum ersten Mal getroffen. Der Gitarrist John Jackson, mit dem ich damals gearbeitet habe, hat mich mit Bob bekannt gemacht. John hat in den Neunzigern in Bobs Band gespielt, deshalb kannten sich die beiden. Bob ist ein riesiger Hank-Williams-Fan, er hat mir lauter Geschichten über Hank erzählt, die ich noch nie gehört hatte, so gut kennt er sich in seiner Biographie aus.

Ging es auch schon um die alten Textfragmente von Hank Williams und das nun erschienene Album?
Nein, davon hat er mir etwas später erzählt, als wir uns nach einem Konzert in Birmingham getroffen haben. Er hat mir die Texte gezeigt, die jetzt für das Album vertont wurden. Er hatte einen Stapel Papier dabei, das war der Inhalt von Hanks Notizbüchern, fein säuberlich abgetippt. Ich habe reingelesen und sofort Hanks unverwechselbaren Tonfall erkannt.

Hat Dylan Sie gleich gefragt, ob sie etwas zu dem Album beitragen möchten?
Nein, das hat noch etwas gedauert. Irgendwann hat jemand mein Management kontaktiert und gefragt, ob ich’s mal versuchen wolle. Sie haben mir den Stapel mit allen Texten geschickt und ich habe mich noch am selben Abend hingesetzt und alles durchgelesen. »Blue Is My Heart« hat mich am meisten angesprochen, der Text hat etwas in mir zum Klingen gebracht. Ich habe meine Gitarre genommen und die Melodie war plötzlich da.

Ist der Text, den wir auf der CD hören, komplett von Hank Williams?
Die ersten zwei  Strophen sind von ihm, die anderen beiden von mir.

»Ich hielt meinen Großvater für jemanden, der ein oder zwei berühmte Hillbilly-Songs geschrieben hatte. Seine Bedeutung habe ich erst verstanden, als ich mit 17, 18 selbst begann, Musik zu machen«

Die Notizbücher mit den Songideen haben eine recht bewegte Geschichte ...
Ja, da gab es wohl Prozesse – ich weiß gar nicht so genau, was da alles gelaufen ist. Kürzlich habe ich die echten Notizbücher zum ersten Mal gesehen und war ganz überrascht, dass mein Vater auch etwas hineingeschrieben hat: auf den hinteren Seiten finden sich Songtexte von ihm, unterschrieben mit »Junior, 1968«. Ich denke, die bewegte Geschichte hat dazu beigetragen, dass es so lange gedauert hat, bis die Texte vertont wurden. Ich bin wahnsinnig froh, dass jetzt diese Platte erscheint. Ich hoffe, sie macht eine neue Generation mit der Musik meines Großvaters bekannt.

Ich bin selbst großer Hank-Williams-Fan und höre gelegentlich den Vorwurf, seine Musik sei altmodisch. Was sagen Sie dazu?
An den Geschichten, die er erzählt, ist nichts altmodisch. Der Musik hört man natürlich an, dass sie vor sechzig Jahren aufgenommen wurde, aber wenn er von gebrochenen Herzen, Verzweiflung und Einsamkeit singt, ist das heute immer noch so wahr wie damals. Viele andere Musik aus dieser Zeit finde ich inzwischen tatsächlich altmodisch, da geht um Dinge, die heute niemand mehr interessieren, aber Hanks Songs haben eine Reinheit und emotionale Kraft, die immer noch ins Mark trifft.

Warum war er in der Lage, solche Songs zu schreiben?
Sein Talent war eine Gabe Gottes. Ich habe keine andere Erklärung dafür. Sie müssen wissen, dass er in sehr schwierigen Familienverhältnissen aufwuchs und kaum Schulbildung hatte. Trotzdem hat er dieses Werk geschaffen. Er war einer der Auserwählten.

War Ihnen sein Mythos bereits präsent, als Sie aufwuchsen?
Nein, damals war mein Vater der Star, nicht mein Großvater. Dad hatte jede Menge Hits und hat in riesigen Hallen gespielt. Ich hielt meinen Großvater für jemanden, der ein oder zwei berühmte Hillbilly-Songs geschrieben hatte. Seine Bedeutung habe ich erst verstanden, als ich mit 17, 18 selbst begann, Musik zu machen. Auf einmal merkte ich, dass alle Leute, die ich toll fand – Bob Dylan, Tom Waits, Leonard Cohen, Tom Petty – meinen Großvater als ihr Vorbild betrachten.

Ihr Bruder Hank III hat einen sehr eigenwilligen Weg gewählt, um mit dem langen Schatten von Vater und Großvater fertig zuwerden. Auf seinen Konzerten spielt er abwechselnd Country, Punk und Heavy Metal.
Für ihn als erstgeborenen Sohn ist es etwas schwieriger, sich abzugrenzen, denke ich. Bei mir sieht das etwas anders aus. Ich sehe mich auch eher als Folk- denn als Countrymusikerin. Wenn ich auf einmal im Cowboyhut rumrennen würde, würden sich die Leute wundern. Viele Menschen, die in meine Konzerte kommen, wissen gar nicht, dass ich die Enkelin von Hank Williams bin.

War für Sie stets klar, dass Sie Musikerin werden wollten? Oder gab es andere berufliche Optionen?
Ich habe eine Boutique in Nashville und wähle alle Kleidungsstücke aus, die wir dort verkaufen. Aber Musik macht mir einfach am meisten Spaß. Ich bin mit meiner Gitarre kreuz und quer durch die USA gefahren, weil ich die Musik so liebe. Gerade nehme ich mein drittes Album auf. Ich bin kein großer Star, deshalb stehe ich auch nicht so unter Druck. Das gefällt mir gut.

Was würden Sie Ihren Großvater fragen, wenn Sie die Möglichkeit hätten, ihn zu treffen?
Hm, das ist schwierig. Andere berühmte Musiker frage ich gewöhnlich danach, wie sie Songs schreiben. Aber bei Hank würde mich interessieren, mehr über seine Jugend zu erfahren, seine Schwester, seinen Vater. Und über Tee-Tot, den schwarzen Straßenmusiker, von dem er gelernt hat, den Blues zu spielen.