Der erste Hank schrieb Klassiker wie »Cold, Cold Heart« und »Jambalaya« und starb am 1. Januar 1953 mit 29 Jahren auf dem Rücksitz eines himmelblauen Cadillacs. Der zweite Hank schlitterte auf seinem Gesicht die Flanke des Ajax Mountain in Montana hinunter und wurde zum Idol aller Biertrinker und Südstaaten-Rowdys. Und der dritte Hank? Der muss sehen, wie er mit diesem gewichtigen Erbe klar kommt.
Als Enkel von Hank Williams und Sohn von Hank Williams Jr. wurde Shelton Hank Williams, besser bekannt als Hank III, in eine der bekanntesten amerikanischen Musik-Dynastien hineingeboren. Seinem berühmten Großvater sieht er auffallend ähnlich und wahrscheinlich wäre nichts einfacher für ihn gewesen, als die Nostalgie-Karte zu spielen und die alten Lieder aus dem Familienerbe nachzusingen. Doch wie schon seine Vorfahren ist auch Hank III ein ausgemachter Sturkopf, was sich auch daran zeigt, dass er musikalisch zusammenführt, was vor ihm noch niemand verbunden hat: Country, Metal und Punk.
Seit Mitte der Neunziger hat Hank III hat etliche CDs, Live-Alben und Official Bootlegs in verschiedenen musikalischen Konstellationen veröffentlicht, zum Beispiel mit seiner Hardcore-Band Assjack. Live führt er all die verschiedenen Stile zusammen, seine Shows sind nicht nur wegen ihrer Länge legendär (drei bis vier Stunden), sondern auch wegen ihrer Intensität. Hank III scheint mir einer der großen Individualisten der amerikanischen Musik zu sein, anlässlich seines Konzerts in der Kantine Augsburg am 28. Juni hatte ich vor kurzem Gelegenheit, mit ihm zu telefonieren.
Hank, Sie sind dafür bekannt, bei Ihren Konzerten eine ungewöhnliche Mischung aus Countrymusik, Punk und Metal zu spielen. Auch bei Ihrem Auftritt in Augsburg?
Ja, da werde ich meine normale, dreieinhalb bis vierstündige Show spielen. Es geht los mit anderthalb Stunden Countrymusik, dann spielen wir eine halbe Stunde Hellbilly. Nach einer fünfminütigen Umbaupause geht’s weiter mit Doom Rock, Sludge Rock, Heavy Metal, Speed Metal.
Dieses Konzept ist ziemlich einzigartig. Wie sind Sie darauf gekommen?
Mein Großvater Hank Sr. und mein Vater Hank Jr. haben alles aus dem Country-Idiom rausgeholt. Ich musste mir also etwas Neues einfallen lassen, wenn ich auf eigenen Füßen stehen wollte. Im Country-Teil der Show sehen die Leute etwas von meinen Wurzeln, aber ich war auch immer Fan von Rock, Punk und Metal. Es war also eine natürliche Entwicklung, solche Sounds auch in meine Show aufzunehmen. Hank Sr. hat schließlich auch Rock’n’Roll gespielt, bevor es diese Musik überhaupt gab, mein Vater verband in den Siebzigern Country und Southern Rock.
Gibt es denn Ihrer Meinung nach musikalische Gemeinsamkeiten zwischen Country, Punk und Metal?
Ich denke, dass Themen wie Außenseitertum und Entfremdung in allen diesen Musikstilen eine Rolle spielen. Natürlich gibt es Leute, die nur Country oder nur Punk hören wollen und mit dem Rest nichts anfangen können, im Großen und Ganzen ist mein Publikum aber ziemlich aufgeschlossen: Da treffen sich junge Punks und Metal-Fans mit Cowboys und Großmüttern. Es hat eine Weile gedauert, bis ich dieses Publikum erreicht hatte, aber inzwischen ist es fast immer so, dass alle diese Leute bei meinen Konzerten gut miteinander auskommen. Obwohl die ganze Zeit Pogo getanzt wird.
»Es war eine der großen Leistungen von Hank Sr., harte Themen auf eine Weise zu behandeln, mit der sich wahnsinnig viele Leute identifizieren konnten«
Sie hätten es bestimmt leichter gehabt, wenn Sie einfach nur Countrymusik gesungen hätten.
Diese Möglichkeit gab es. In den Neunzigern wollte mich die Plattenfirma Curb in diese Richtung drängen, aber darauf hatte ich keine Lust. Ich musste lange kämpfen, um meine Vorstellungen von meiner Musik auch durchsetzen zu können.
Das erinnert mich etwas an den Werdegang Ihres Vaters, der zu Beginn seiner Karriere ausschließlich die alten Hits von Hank Sr. sang und ebenfalls um seine Unabhängigkeit kämpfen musste.
Da gibt es aber einen Unterschied: Er wurde von seiner Mutter Audrey gezwungen, die Songs seines Vaters zu singen. Hank Jr. hat auch deshalb so lange gebraucht, seinen eigenen Sound zu finden, weil seine Mutter Audrey versucht hat, alles für ihn zu entscheiden. Mich hat nie jemand zu etwas gezwungen. Ich habe schon als Teenager in Punk- und Metalbands gespielt.
Wie nahe standen Sie Ihrem Vater, als Sie aufwuchsen?
Ich bin bei meiner Mutter groß geworden, meinen Vater habe ich nur einmal im Jahr gesehen, für ungefähr eine Woche. Ich bin nicht im Tourbus aufgewachsen, sondern hatte eine ganz normale Kindheit mit Schule, Sport und so weiter.
Hat er Ihnen mit Rat und Tat zur Seite gestanden, als Sie darüber nachdachten, selbst Musiker zu werden?
Dieser Mann hat mir nur einmal einen Rat gegeben. Das war, als ich ungefähr zwölf war und manchmal zu ihm auf die Bühne kam, um beim Song »Family Tradition« Schlagzeug zu spielen. Damals hat er dem Publikum gesagt: »When this boy grows up he can tell the world to kiss his ass, just like I did.«
Letztes Jahr hat mir Ihre Halbschwester Holly Williams erzählt, dass sie erst relativ spät mit der Musik von Hank Sr. in Kontakt gekommen ist. Wie haben Sie das Werk Ihres Großvaters kennengelernt?
Dass mein Großvater wichtig ist, habe ich schon ziemlich früh kapiert. Als kleiner Junge war ich mal in der Grand Ole Opry, da waren Stars wie Roy Acuff und Porter Wagoner recht nett zu mir und haben ein bisschen mit mir geredet. Ich verstand, dass das irgendwie mit meinem Großvater zusammenhing. Die Bedeutung seines Werks habe ich allerdings erst erfasst, als ich mit 17 oder 18 selbst angefangen habe, Songs zu schreiben. Dann versteht man sofort, wie erstaunlich seine Songs sind und wie bemerkenswert es ist, dass er alles in so kurzer Zeit geleistet hat.
Wie hat er das alles geschafft?
Er war der Hillbilly Shakespeare. Seine Leidenschaft gehörte der Musik. Songs zu schreiben war etwas ganz natürliches für ihn, so wie zu reden.
Könnte solche Musik auch heute noch entstehen?
Der eindringliche Sound der alten Aufnahmen lässt sich heute nicht mehr duplizieren. Aber auch heute gibt es weiterhin tolle Songwriter, die mit ihren Liedern die Leute erreichen. David Allen Coe hat ziemlich viel Mist gebaut und ziemlich viele Leute vor den Kopf gestoßen, aber als Songwriter ist er meiner Meinung nach einer der ganz Großen.
Vor zwei Jahren hatte ich Gelegenheit, Coe live zu sehen. Das war ein sehr beeindruckender Auftritt.
Ich habe eine enges Verhältnis zu ihm. Er ist wahrscheinlich der einzige im Countrygeschäft, der mich versteht und unterstützt. Früher war er sehr verschlossen und unnahbar, in seinen späten Jahren ist er etwas zugänglicher geworden – obwohl ihm die Rechte an seinen ganzen Hits gestohlen worden, davon sieht er keinen Cent mehr. Er war an der Spitze und in der Gosse, aber sein Songwriting ist wirklich superb. Er ist wie ein zweiter Großvater für mich.
Die Songs von Hank Sr. enthalten viele einfache Wahrheiten. Mein Eindruck ist, dass uns diese Art Lieder verloren gegangen ist. Wie sehen Sie das?
Es war eine der großen Leistungen von Hank Sr., harte Themen auf eine Weise zu behandeln, mit der sich wahnsinnig viele Leute identifizieren konnten. Im Bluegrass sind solche Songs auch heute noch verbreitet. Außerdem gibt es Puristen wie Wayne »The Train« Hancock oder Dale Watson den ich für den Merle Haggard der jüngeren Generation halte. Aber die muss man mit der Lupe suchen. Im Countrygeschäft ist es den allermeisten egal, worüber sie singen – Hauptsache, sie werden von den Massen akzeptiert wird. Da ist kein Platz für Schönheit, Tiefe und Wahrheit.
Wie hat Ihnen die CD The Lost Notebooks gefallen?
Ich habe sie nicht gehört. Ich will keinen der Künstler runtermachen, die an dem Projekt beteiligt waren, aber ich finde die Idee seltsam, andere Leute Songs weiterschreiben zu lassen, die Hank Sr. nicht beendet hat. Ich hätte es besser gefunden, wenn man das Notizbuch mit den unfertigen Songs in der Country Music Hall Of Fame ausgestellt hätte.
Man hat das Projekt unter anderem damit gerechtfertigt, dass man so die Musik von Hank Williams einer neuen Generation näher bringen könne.
Das ist eine ziemlich lahme Begründung. Ich denke, dass sich die jungen Leute auch ohne so etwas für Hank Williams interessieren. Ich kenne viele Kids auf der ganzen Welt, die genau wissen, wer Hank Sr. war. Ich habe Hank Sr.-Tätowierungen gesehen, Hank-Sr.-Artwork von Taggern und Grafitti-Künstlern. Bis heute erreicht er Leute aus dem gesamten musikalischen Spektrum.
Haben Sie selbst Kinder?
Ich habe einen 20-jährigen Sohn.
Hank IV?
Nein. Mit meinem Sohn war das alles etwas seltsam. Ich stand auf der Bühne und baute gerade mein Equipment auf, als Polizisten erschienen und mir eine Vaterschaftsklage überreichten, inklusive einer Forderung über 65.000 Dollar Unterhaltsnachzahlung. Das war vor 17 Jahren, ich habe damals als Schlagzeuger vielleicht 25 Dollar in der Woche verdient, wenn überhaupt. Die Mutter meines Sohnes dachte, ich sei reich, und hat versucht, mich regelrecht auszupressen. Dabei bin ich alles andere als reich. Vom Hank-Williams-Erbe kriege ich keinen Cent, das geht alles an meinen Vater. Ich habe dann den Vertrag mit Curb Records gemacht, um meinen Sohn finanziell unterstützen zu können. Wegen der Schwierigkeiten mit seiner Mutter war unser Verhältnis aber lange eher distanziert.
Und heute?
Im Lauf der Jahre sind wir uns nähergekommen. Er hat eine Zeitlang bei mir gewohnt, jetzt geht er aufs College. Egal, was er später mal machen will – ich werde ihn auf jeden Fall unterstützen.
Hat er musikalisches Talent?
Vor sechs Monaten war ich mit ihm bei Manuel, dem berühmten Schneider, der schon Anzüge für Hank Sr. und Hank Jr. gemacht hat. Coleman, so heißt mein Sohn, wusste genau was, er wollte: Auf seinem Anzug sind Pfeile, Kakteen und Schlangen zu sehen, viele tolle Details. Falls er sich also entscheidet, Countrymusik zu machen, hat er zumindest schon den passenden Anzug.