Joe Sample, können Sie sich noch erinnern, was für Musik Sie zum ersten Mal wirklich begeistert hat?
Ja, das war der Bigband-Swing der frühen Vierziger. Ich wurde 1939 geboren, mein ältester Bruder war 15 Jahre älter als ich. Er war Pianist in einer Kapelle der Kriegsmarine, in der nur Schwarze spielten. Diese Band trat während der Kriegsjahre auf Militärstützpunkten im gesamten Land auf. Wenn sie in Houston waren, wo wir wohnten, kochte meine Mutter immer für meinen Bruder und seine Freunde aus der Band. Dann saßen sechs oder sieben Musiker in Marine-Uniformen bei uns im Wohnzimmer und spielten Swing. Daran erinnere ich mich genau.
Das muss großen Eindruck auf Sie gemacht haben!
Ich liebte Musik. Ich liebte Louis Armstrong. Ich weiß noch, wie ich zur Schule ging, das war dann etwas später, und seine Melodien sang.
Was für ein musikalisches Klima herrschte damals in Houston?
Man hörte sehr viel Gospel-Musik. Allein in unserem Block gab es drei Kirchen. Im Sommer wurde ein großes Zelt aufgestellt, dort traf man sich und sang sanctified music. Diese Kirchenmusik ist der Ursprung aller amerikanischen Musik. Gleichzeitig begann mit dem Ende der Bigband-Ära der Aufstieg des Rhythm & Blues. Louis Jordan war da der Vorreiter. Generell kann man sagen, dass Musik damals eine größere Rolle in der schwarzen Gemeinschaft spielte als heute.
Bereits in der High School haben Sie Wilton Felder, Wayne Henderson und Stix Hooper getroffen, mit denen Sie später die Crusaders gründeten. Das muss eine ganz schön heiße Schulband gewesen sein!
Für mich hat es immer noch etwas Geheimnisvolles, dass ausgerechnet Wayne, Wilton, Stix und ich, vier Schulfreunde aus Houston, in der Lage waren, so einen besonderen Sound zu kreieren.
»Wenn jemand swingen kann, dann wird er es auch tun, denn das ist das wunderbarste, was es gibt«
1960 sind Sie mit der Band nach Kalifornien gegangen. Warum? Wäre es nicht auch möglich gewesen, in Houston Erfolg zu haben?
Nur als Bluesmusiker. Das war die einzige Musik, die in den Südstaaten gefragt war. Mit 15 hatten mir meine Eltern erlaubt, mit einer Bluesband auf Tour zu gehen. Ich verdiente 15 Dollar am Wochenende, nicht schlecht. Doch meine Leidenschaft gehörte da bereits dem Jazz. Bei einem Konzert aus der Reihe Jazz At The Philharmonic hatte ich Musiker wie Oscar Peterson und Dizzy Gillespie aus nächster Nähe gesehen. Ich bewunderte diese Männer, obwohl ich ihre Musik noch nicht verstand.
Trotzdem muss es ein großer Schritt gewesen sein, mit der ganzen Band nach Kalifornien zu gehen und dort nochmal von vorne anzufangen.
Damals verließen viele Schwarze die Südstaaten. Wir wussten, dass wir Talent hatten, aber uns war auch klar, dass wir noch nicht gut genug waren, um Platten aufzunehmen. Wir waren dennoch fest entschlossen, nicht in den Süden zurückzugehen, da dort immer noch Rassentrennung herrschte. Wir spielten dann erstmal ein Jahr als Showband in Las Vegas. Dann hatten wir das Glück, dass uns Richard Bock, der Besitzer von Pacific Jazz Records zu einem Vorspiel einlud. Nach ein paar Stücken kam er ins Studio und bot uns einen Vertrag an. Gleich unsere erste Platte Freedom Sound war dann recht erfolgreich. So begann unsere Karriere.
Die Crusaders haben einige Dutzend Platten veröffentlicht. Wie würden Sie die musikalische Reise der Band beschreiben?
Mit dem Free Jazz verlor der Jazz alles, was ich an dieser Musik liebte. Auf einmal war es verpönt, Tanzmusik zu machen und das Publikum zu unterhalten. Ich war aber nicht bereit, das aufzugeben, was ich als unser Talent erachtete, nämlich aus dem gesamten Spektrum der afrikanisch-amerikanischenen Musik zu schöpfen: Jazz, Blues, Gospel, Soul, Swing. Wenn jemand swingen kann, dann wird er es auch tun, denn das ist das wunderbarste, was es gibt.
Neben ihren eigenen Platten waren Sie und die Crusaders in den Siebzigern auch als Studiomusiker aktiv. Gibt es eine Session, an die Sie sich besonders gerne erinnern?
Als Studiomusiker habe ich mich oft ein bisschen austauschbar gefühlt. Aber es war ohne Zweifel etwas ganz besonderes, als Marvin Gaye mich einlud, mit ihm ins Studio zu gehen und das Album Let’s Get It On aufzunehmen. Auch die Zusammenarbeit mit Steely Dan und B.B. King fand ich faszinierend.
1979 hatten die Crusaders mit der Sängerin Randy Crawford den Hit »Street Life«. Haben Sie sich da bewusst hingesetzt und gesagt, so, jetzt schreiben wir einen Hit?
Ja, das war geplant. Wir wollten einen Hit landen, uns dabei aber von der Disco-Musik absetzen, weil wir das, was wir mit den Crusaders machten, einfach besser fanden. Ich hatte die Idee, Randy einzuladen, weil ich wusste, dass sie eine der wenigen Sängerinnen ist, die diese Melodien singen kann.
Nun sind Sie wieder mit Randy Crawford auf Tour. Was darf das Publikum erwarten?
Randy ist ein American treasure. Trotzdem gefallen mir viele ihrer Platten nicht. Ich finde sie am besten, wenn sie mit einem Jazz-Trio spielt – ohne irgendwelches Brimborium, damit ihre Stimme wirklich zum klingen kommt. So machen wir es auf dieser Tour.
Sie gelten als historisch versierter Musiker. Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, sich mit der Geschichte des Jazz zu beschäftigen?
Ich glaube, dass junge Musiker klug beraten sind, sich nicht nur mit der Geschichte des Jazz, sondern generell mit der Geschichte der Musik zu beschäftigen. Jeder, der es ernst meint, muss die Ursprünge kennen – nur so erhält man ein Fundament, dass es einem ermöglicht, ein ganzes Leben in der Musik zu verbringen. Das merke ich an mir selbst: Als Musiker fühle ich mich gerade so gut wie nie. Mein Körper wird schwächer, aber meine musikalischen Fähigkeiten werden stärker.