Am Dienstag war Mark Ronson in München, im Rahmen der Levi's Curve Attack Tour trat er im Puerto Giesing auf. Vor der Show hatte ich Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Ronson gilt als jemand, der vor allem dank guter Kontakte zu etlichen Stars erfolgreich geworden ist, mit dieser Sichtweise wird man ihm aber nicht gerecht. Der unglaubliche Erfolg des Amy-Winehouse-Albums Back To Black, das er produziert hat, überstrahlt inzwischen etwas die musikalische Leistung dieses Ausnahme-Albums: Meiner Meinung nach hat Ronson damit nämlich einen der intelligentesten Entwürfe zur Verbindung von musikalischer Vergangenheit und Gegenwart vorgelegt, der in den letzten Jahren zu hören war.
Um dieses Thema ging es auch in unserem Gespräch; kaum überraschend, wenn jemand sein Album Record Collection (Columbia) nennt. Das Album erschien Ende September und enthält nicht mehr den Soulbeat, den man vielleicht erwarten würden; stattdessen ist es vom Sound analoger Synthesizer geprägt. Während des Gesprächs stand Ronsons iBook aufgeklappt auf dem Tisch, einmal startete er sogar sein iTunes, um mir einen neuen Amy-Winehouse-Track vorzuspielen.
Mark Ronson, Ihr neues Album heißt Record Collection. Sprechen wir also ein bisschen über Ihre Plattensammlung. Welche Platte haben Sie Sich zuletzt gekauft?
Ich habe mir vorhin bei iTunes ein Album von The La’s gekauft. Das war eine Band aus Liverpool, kennen Sie die noch?
Die hatten doch diesen Song »There She Goes«.
Genau, das war ihr großer Hit und der einzige Song, den ich von ihnen kannte. Der hat mir aber nie besonders gut gefallen. Letzte Woche haben wir in Glasgow im Vorprogramm der Band Miike Snow gespielt. Andrew, ihr Sänger, ist ein guter Freund von mir und er konnte es gar nicht glauben, dass ich das Album von den La’s nicht kannte. Er meinte, da seien noch viel bessere Songs drauf als »There She Goes«, ich müsse es mir unbedingt besorgen. Also habe ich’s mir gekauft, aber ich hatte noch keine Zeit, es anzuhören. Ich kaufe mir ständig neue Musik, im Durchschnitt ein Album pro Tag bei iTunes. Ich gehe auch weiterhin sehr viel in Plattenläden.
Haben Sie kürzlich eine Platte gefunden, die Sie lange gesucht hatten?
Ja, zum Beispiel das Boxset der deutschen Band Neu!, das habe ich mir in Leeds gekauft. Ich habe mit 18 angefangen, als DJ zu arbeiten und habe viele Jahre lang HipHop-Platten produziert. Früher habe ich jedes Wochenende etliche Stunden in den Plattenläden von New York verbracht und dort nach Drumbreaks gesucht, die ich sampeln konnte. Ich liebe diese Kultur.
Ich vermute mal, dass Ihre Plattensammlung Ihnen als Inspirationsquelle dient. Wie hat man sich das genau vorzustellen?
Ich bin kein Singer-Songwriter, der sich mit der Gitarre hinsetzt und einen Song komponiert. Bei mir kommt eher der innere DJ zum Vorschein, wenn ich einen Song schreibe. Ich versuche, meine ganzen Einflüsse zu nehmen – bei diesem Album zum Beispiel analoge Synthesizer, HipHop-Beats, Popmelodien – und sie so zu kombinieren, dass etwas einmaliges dabei herauskommt. Ich glaube, dass es heute kaum noch möglich ist, etwas wirklich neues, noch nie da gewesenes zu machen. Natürlich gibt es Kids, die in ihren Schlafzimmern sitzen und sich coole neue Genres wie Dubstep ausdenken, aber im Grunde wurde das große Regelbuch des Pop schon vor längerer Zeit fertig geschrieben.
»Ich war im alten Motown-Studio in Detroit. Man steht in diesem kleinen Raum und denkt, hier sind einige der tollsten Songs aller Zeiten entstanden. Als ich dort hineinkam, war ich so überwältigt, dass ich zu weinen anfing«
Da kann es dann eigentlich nur darum gehen, auf originelle Weise mit dem zu spielen, was bereits vorhanden ist.
Man kann auch heute noch neue Sachen schaffen, aber das sind dann wahnsinnige Drumbeats, wie sie Squarepusher und ähnliche Leute programmieren. Die einzige Möglichkeit, heute noch einen schockierenden neuen Sound zu erfinden, besteht darin, mit Computern und Effekten zu arbeiten. Beim Songschreiben ist das schwierig. Jede Akkordfolge ist schon verwendet worden, es gibt Forscher, die herausgefunden haben wollen, die Beatles hätten die letzte noch unverbrauchte Kadenz entdeckt. Deshalb: Ja, ich denke auch, dass man heute das, was schon da ist, auf kreative und eigenwillige Weise neu verarbeiten muss.
Viele Rockbands tun aber so, als seien sie cool und modern, während sie in Wahrheit nur altbekannte Ideen recyclen. Das finde ich ein bisschen scheinheilig.
Ja, kann sein. Andererseits sind die Strokes deshalb nicht weniger aufregend, wenn sie live spielen. Und die Kids, die zum ersten Mal die Strokes hören, kennen Velvet Underground, Television und Tom Pettys »American Girl« nicht.
Auf Ihrem Album spielen Gäste wie Boy George, Ghostface Killah und D'Angelo mit. Wenn Sie einen Wunsch freihätten und jeden Musiker ihrer Wahl einladen könnten, wen würden Sie dann wählen?
Die beste Band, die es je gab, waren wahrscheinlich die Funk Brothers, die alte Motown-Studioband. Mit James Jamerson am Bass und Benny Benjamin an den Drums. Ich würde wahrscheinlich nicht mal mit denen aufnehmen wollen, ich wäre schon selig, wenn ich ihnen nur einmal zuhören könnte. Ich war im alten Motown-Studio in Detroit, das ist jetzt ein Museum. Man steht in diesem kleinen Raum und denkt, hier sind einige der tollsten Songs aller Zeiten entstanden. Als ich dort hineinkam, war ich so überwältigt, dass ich zu weinen anfing. Es liegt einfach so ein Zauber in diesem Raum. Ich habe eine Führung zusammen mit ein paar Japanern gemacht – die haben wahrscheinlich gedacht, ich hätte einen Nervenzusammenbruch.
Wenn ich diese tollen alten Platten höre, frage ich mich oft: Konnten die Musiker und Produzenten damals Dinge, die wir heute nicht mehr können?
Wenn Leute heute versuchen, Soulplatten aufzunehmen, klingt das meist schrecklich, weil die keinen guten Drumsound haben. Der Drumsound ist meines Erachtens der entscheidende Baustein dieser musikalischen Ära. Man kann aber auch heute noch gute Drums aufnehmen, ich habe das im Daptone-Studio gelernt, als ich mit den Dap-Kings aufgenommen habe. Technologie macht vieles leichter und komfortabler, aber nicht unbedingt besser. Wenn man wirklich einen tollen Sound haben will, muss man viel Zeit aufwenden. Ich vergleiche das gerne mit den tollen Filmen, die sie in den Sechzigern und Siebzigern gemacht haben. Damals hatten sie eine oder zwei Kameras und mussten sicher sein, die richtige Einstellung zu filmen. Heute dreht man mit zehn Kameras und bastelt alles beim Schnitt zusammen. Statt einer verbindlichen Idee hat man heute eine Vielzahl von Möglichkeiten. In der Musik ist es dasselbe. Einen Großteil der aktuellen Popmusik finde ich ganz schrecklich.
Interessant, dass sie den Drumsound erwähnen. Seit langem fällt mir auf, dass Ihre Platten immer einen besonders guten Drumsound haben.
Mein Eltern haben jung geheiratet und viele Partys gefeiert, als ich noch klein war. Wenn ich nicht schlafen konnte, bin ich runtergegangen, habe mich vor die Anlage gesetzt und so getan, als würde ich Schlagzeug spielen. Ich habe dann auch selbst Schlagzeug gelernt, bin aber leider nicht besonder gut geworden. Mich hat immer eher der Beat eines Songs interessiert als der Text. Ich weiß noch, wie ich ins Daptone-Studio kam, um Amys Album aufzunehmen. Es war der erste Tag, sie waren dabei, das Schlagzeug aufzustellen. Ich kam rein und hörte den himmlischsten Sound, den ich je vernommen hatte – Homer, der Schlagzeuger, beim Üben. Es klang wie Drumbreaks auf alten Soulplatten, aber hier saß ein Typ, der tatsächlich alles live gespielt hat. Das Schlagzeug ist die Seele und das Rückgrat eines Tracks. Man kann den besten Song der Welt haben, wenn die Snare nicht gut klingt, ist er für mich ruiniert.
Besonders problematisch waren in dieser Hinsicht die Achtziger, finde ich. Da klang die Snaredrum oft nicht mehr knackig, sondern dröhnend.
Das stimmt, da kam viel Musik heraus, die ziemlich billig klang. Aber wissen Sie: Wenn ich mir die Popmusik von heute anhöre, all diese Dancetracks mit denselben Computereffekten, dann weiß ich nicht, wer sich das in zehn Jahren noch anhören soll. Ich habe neulich in den Staaten einen Oldies-Sender gehört, wo Titel aus den Achtzigern liefen. Klar, manches klang ein bisschen albern und es ist leicht, sich darüber lustig zu machen. Aber es waren tolle Songs dabei. Wo sind heute die einprägsamen Songs, die in später mal auf den Oldies-Sendern laufen werden? Ich weiß es nicht.
Es heißt, Sie hätten mit Amy Winehouse eine Version von »It’s My Party« für ein Quincy-Jones-Tribut-Album aufgenommen. Stimmt das?
Ja, das Stück ist fertig. Als ich mein Album gemacht habe, hatte ich eigentlich die Regel aufgestellt, die Bläser und den Soulbeat hinter mir zu lassen, aber mit Amy ist es etwas anderes, weil diese Ästhetik gut zu ihr passt. Hier, ich spiele ihnen etwas vor. (Er startet sein iTunes und spielt einige Takte von »It's My Party«.)
Toll. Klingt ganz anders als das Original. Die Unschuld von Lesley Gore fehlt Amy Winehouse komplett.
Wenn man einen Quincy-Jones-Song covert, kann es nicht das Ziel sein, das Original zu verbessern. Wobei die meisten Leute gar nicht wissen, dass das sein erster Hit war. Ich habe mit ihm telefoniert, ich glaube, er und Lesley Gore hatten zwölf Top-Ten-Hits. Danach stieg er für zwei Jahre aus dem Muskgeschäft aus, um bei Nadja Boulanger Komposition zu studieren. So etwas würde heute keiner mehr machen. Jeder hätte Angst, dass er dann gleich weg vom Fenster wäre. Das liebe ich an Quincy, diese Hingabe an sein Handwerk. Ich würde auch gerne zurück an die Uni gehen und Musik studieren. Ich habe mal damit angefangen, aber das Studium bald geschmissen.
Neulich hat Amy Winehouse Sie angegriffen. Was war da los?
Ich weiß nicht, was sie hatte. Ich habe nur bei Twitter gelesen, dass sie gesagt hat, ich hätte den Erfolg unseres Albums als mein Verdienst ausgegeben – was total falsch ist. Ich habe immer gesagt, dass Back To Black nur wegen ihr ein Erfolg wurde, genauso wie mein Album Version. Sie hat sich danach über Twitter entschuldigt – ehrlich gesagt, wenn ich Ärger mit meinen Freunden habe, dann rufe ich sie an, um so etwas zu klären. So einen Streit in der Öffentlichkeit zu führen, ist ein modernes Phänomen, das ich etwas demprimierend finde. Aber ich liebe Amy, sie ist eine gute Freundin und ich hoffe, dass wir wieder zusammen arbeiten werden.
Wahrscheinlich sitzen ihnen doch seit Jahren die Plattenbosse im Nacken, um Sie dazu zu bewegen, eine Fortsetzung von Back To Black zu machen.
Ich mache Platten nicht, um einen Haufen Geld zu machen. Ich will vor allem Platten machen, die mir gefallen. Ich habe zwölf Jahre Musik gemacht, bevor ich Erfolg hatte. Ich kannte Leute wie Danger Mouse, Kanye West und die Neptunes, bevor sie ihre Karrieren begannen. Als es bei ihnen dann losging, dachte ich: Vielleicht bin ich einfach nicht so gut wie die. Vielleicht habe ich keine Hits in mir. Da habe ich mir gesagt: Scheißegal, ich mache einfach die Sachen, die mir gefallen, auch wenn kein Hit dabei heraus kommt. Diese Freiheit war, glaube ich, die Voraussetzung für meine ersten wirklich guten Tracks. Und so halte ich es immer noch: Als mein amerikanisches Label Record Collection gehört hat, haben Sie gesagt: Schmeiß doch eine deiner Sängerinnen runter und nimm Pink oder Gwen Stefani auf die Platte. So etwas würde ich nie tun.
Kommt bald eine neue Platte raus, die Sie produziert haben?
Ja, das neue Duran-Duran-Album. Das ist fast fertig. Sie waren eine meiner ersten Lieblingsbands und es war wirklich toll, ihnen dabei zu helfen, ihren Zauber wiederzufinden.
Haben Sie je darüber nachgedacht, einen alten Soulsänger zu produzieren?
Wenn Stevie Wonder anrufen würde, wäre ich natürlich sofort zur Stelle, das wäre unglaublich. Auch mit Steve Winwood würde ich gerne aufnehmen. Er ist einer meiner Lieblingssänger. Wer weiß, ob das je passiert. Aber ich plane so etwas nicht. Jemand zu treffen, mit dem ich aufnehme, ist eine Mischung aus Zufall, Glück und Schicksal.
Letzte Frage: Was ist mit Ihren Haaren passiert? Warum haben Sie sie blond gefärbt?
Wahrscheinlich habe ich zu viel Zeit mit Duran Duran verbracht.