»Ich war zu nett zu den alten Damen«

Richard Thompson über seine Anfangsjahre mit Fairport Convention, die Musikszene im London der Sechzigerjahre, seinen anhaltenden kommerziellen Misserfolg und den Grund, warum er als Antiquitätenhändler scheiterte.

Foto: Ron Sleznak

Richard Thompson ist der lebende Beweis dafür, wie ungerecht das Musikgeschäft ist. Eigentlich müsste er ein Star in der Liga von Eric Clapton sein, tatsächlich hatte er aber nie nennenswerten kommerziellen Erfolg. Dabei war schon der Beginn seiner Karriere spektakulär: Mit Fairport Convention nahm er zwischen 1968 und 1970 fünf Alben auf, die für mich zu den besten Platten der Rock-Ära gehören. Der offensichtliche Grund dafür ist die hier erstmalig vollzogene Verbindung von englischer Folkmusik und Rock, doch auch unabhängig davon überzeugen Fairport Convention als tolle Songschreiber, Sänger und Instrumentalisten; erstaulich auch, wie eigenständig der damals kaum 20-jährige Thompson die Gitarre spielte: In seinem Stil verband er Steve Cropper und Django Reinhardt mit den Jigs und Reels traditioneller englischer Tanzmusik.

Nach der Trennung von Fairport Convention nahm er in den Siebzigern mit seiner Frau Linda mindestens zwei Meisterwerke auf – I Want To See The Bright Lights Tonight und Pour Down Like Silver –, seit Anfang der Achtziger ist er als Solokünstler unterwegs und veröffentlicht regelmäßig Platten von hoher Qualität. Dass er Humor hat, bewies er 2003 mit dem Album 1000 Years Of Popular Music, das einen Bogen vom mittelalterlichen Minnegesang zu Britney Spears schlug. Nun ist sein neues, sehr dynamisches Album Electric erschienen, was mir die Möglichkeit gab, mit diesem außergewöhnlichen Künstler zu telefonieren.

Richard Thompson, mit Ihrer ersten Band Fairport Convention wurden Sie Ende der Sechziger dafür bekannt, englische Folkmusik mit Rock zu verbinden. Wie sind Sie auf die alten englischen Folksongs gestoßen, die Sie damals gespielt haben?
Einige hatten wir in der Schule gelernt, viele stammten auch aus dem Penguin Book Of English Folk Songs, einem Standardwerk, zusammengestellt von A.L. Lloyd. Zu dieser Zeit war traditionelle englische Musik allerdings total uncool. Dass wir plötzlich sagten, diese Songs sind unsere Wurzeln, die müssen wir in die Gegenwart bringen und mit Rockmusik verbinden, war ein ungewöhnlicher Schritt.

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Was hat Sie an der alten Musik fasziniert?
Das ist sehr kraftvolle Musik, die aus vielerlei Gründen in Vergessenheit geraten war war. Wir hielten es einfach für wichtig, unser Publikum mit dieser Musik bekannt zu machen. Das war unser Anliegen.

In Amerika hatte das Folkrevival zu diesem Zeitpunkt schon stattgefunden.
Ja, Leute wie Pete Seeger und Woody Guthrie hatten viele Amerikaner mit den traditionellen Lieder aus den US-Südstaaten bekannt gemacht hatten. Ebenso wichtig für uns waren aber The Band, die vorgemacht haben, wie man Rockmusik mit Country und Folk verbinden kann. Mit Fairport Convention reagierten wir eher auf Gruppen wie The Band, The Byrds und The Lovin’ Spoonful.

Viele Folkmusiker schauen auf die Popmusik herab und lassen nur die alten Lieder gelten. Wie halten Sie das?
Stimmt, in der traditionellen Musik gibt es viele Snobs – wobei wir die vielleicht auch brauchen, um einen bestimmten künstlerischen Ansatz zu bewahren. Ich persönlich halte aber diese ganze Diskussion für fehlgeleitet: Was einen Folksong reizvoll macht, sind doch dieselben Qualitäten, die auch einen guten Popsong auszeichnen: ein guter Refrain, eine interessante Geschichte.

Die alten Songs erzählen oft ausgesprochen packende Begebenheiten.
Sehe ich genauso. Auf dem Fairport-Album Liege & Lief haben wir uns erstmals an traditionelle Balladen gewagt: Songs mit großen Geschichten und starken Bildern.

Liege & Lief erschien Ende 1969. Außerdem kamen in diesem Jahr noch zwei weitere Fairport-Alben heraus. Wie haben Sie das geschafft?
Ich kann es auch nicht erklären. Wir müssen viel Energie gehabt haben. Nach unseren Auftritten irgendwo in England sind wir zurück nach London gefahren und nachts noch ein paar Stunden ins Studio gegangen. Jede Woche haben wir ein bisschen aufgenommen, so entstanden nach und nach diese Platten.

Inzwischen brauchen Bands Jahre für ein neues Album.
Alle folgen demselben Zyklus: schreiben, aufnehmen, auf Tour gehen. Es dauert zwei Jahre, bis du da durch bist. Diese Routine gab es damals nicht. Wir haben 1969 ständig live gespielt, aber wir waren nicht auf Tour, um ein bestimmtes Album zu promoten. Wir sind einfach jede Woche zwei bis dreimal irgendwo aufgetreten. Die Platten kamen heraus und wurden rezensiert, fertig. Es gab noch nicht diesen großen Promo-Aufriss, den man heute machen muss.

Bemerkenswert an den alten Fairport-Platten ist außerdem ihr toller Sound.
Wir hatten einen großartigen Toningenieur, John Wood. Er hat ziemlich naturalistische Aufnahmen gemacht, ohne Effekte oder sowas. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum sie heute immer noch so gut klingen.

»Für uns war die Musik früher sehr kostbar. Man hat sein Geld gespart, eine LP gekauft – und die dann auch einige hundert Mal gehört. Weil man nur noch zwei andere hatte«

Ende der Sechziger war die Londoner Popszene ausgesprochen vital. Was für einen Status hatten Fairport Convention?
Wir galten einfach als Folkies. Die Musikszene in London war damals so vielfältig, dass man eigentlich alles machen konnte, vom schrägen Folk der Incredible Sting Band bis zum Polit-Punk der Social Deviants; selbst jemand wie Duster Bennett mit seiner One-Man-Blues-Band war akzeptiert. Wenn man damals in einen Club ging, konnte es gut sein, dass man sechs Bands sah, die alle völlig unterschiedliche Musik machten. Keiner wurde ausgeschlossen.

Stimmt es eigentlich, dass Sie in den Siebzigern die Musik an den Nagel hängten und einen Antiquitätenladen eröffneten?
Ja, das stimmt. Ende der Siebziger waren viele Künstler meiner Generation auf einmal nicht mehr gefragt und es schien mir klug zu sein, eine Zeitlang aus dem Musikgeschäft auszusteigen. Ich hatte allerdings kein besonderes Talent für die Antiquitäten-Branche. Ich war viel zu nett zu den alten Damen. Mir fehlte die Rücksichtslosigkeit, die man braucht, um in diesem Geschäft wirklich erfolgreich zu sein.

Als ich von dieser Episode erfuhr, hat das mein Weltbild nachhaltig durcheinandergebracht. Die Platten, die Sie in den Siebzigern mit Ihrer Frau Linda machten, sind so fantastisch – da nahm ich natürlich an, dass Sie damals ein Star waren.
In den frühen Siebzigern war es in Ordnung, aber die Jahre zwischen 1975 und 1980 waren eher mager für Leute wie mich. Punk hat die Musikszene ziemlich verändert, die ältere Generation war abgemeldet, bis auf Künstler wie David Bowie oder Roxy Music. Ich galt als alter Hippie, der die Zeichen der Zeit verschlafen hat.

Was war denn der kommerzielle Höhepunkt ihrer Karriere?
Auf den warte ich bis heute. Meine meistverkaufte Platte ist Rumor & Sigh von 1991. Aber für Plattenfirmen war ich eigentlich immer irrelevant, meine bescheidenen Verkäufe fielen nie wirklich ins Gewicht.

Das Musikgeschäft hat sich in den vergangenen zehn Jahren sehr verändert. Zum guten oder zum schlechten?
Schwierig zu sagen. Die meisten Musiker hatten es noch nie leicht, im Business zu bestehen. Ich denke allerdings, vor allem Newcomer haben es heute schwerer, weil es weniger Orte gibt, an denen man auftreten kann, und weniger Plattenfirmen, die neue Künstler unterstützen. Vieles an den alten Plattenfirmen war schlecht, aber immerhin hatten sie genug Geld, um Newcomer einige Jahre lang zu finanzieren. Dieses System hat einigermaßen gut funktioniert und dazu geführt, dass viele talentierte Musiker Platten herausbringen konnten. Inzwischen ist das Hauptproblem der meisten Musiker doch, ihre Hörer zu erreichen. Jeder hat eine Webseite, jeder hat irgendwas bei Youtube hochgeladen – aber wie bringst du die Leute dazu, ausgerechnet deine Sachen anzuschauen? Hinzu kommt, dass kaum jemand noch gewillt ist, für Platten Geld auszugeben. Die einzige Einkommensquelle für die meisten Musiker sind heute die Konzerte und der T-Shirt-Verkauf.

Eine weitere gravierende Veränderung: Heute kann man sich im Internet problemlos mit dem Werk noch des obskursten Bluesmusiker vertraut machen. Was für einen Einfluss hat die totale Verfügbarkeit vergangener Stile auf junge Musiker von heute?
Für uns war die Musik früher sehr kostbar. Man hat sein Geld gespart, eine LP gekauft – und die dann auch einige hundert Mal gehört. Weil man nur noch zwei andere hatte. Deshalb ist man sehr tief eingestiegen und hat sich unglaublich über musikalische Entdeckungen gefreut – eine neue Platte zu hören, konnte ein weltbewegendes Ereignis sein. Ich denke, heute braucht man vor allem einen guten Geschmack. Wenn alles verfügbar ist, muss man sehr genau auswählen, was man eigentlich hören will. Denn ehe man sich’s versieht, hat man irgendeinen Mist gelernt.

Ihr neues Album Electric (Proper Records) entstand in Nashville, im Studio von Buddy Miller. Wie kam es dazu?
Mir haben die Platten gefallen, die er mit Robert Plants Band of Joy gemacht hat, mit Shawn Colvin und Solomon Burke. Die Aufnahmen finden bei ihm zu Hause statt, das gibt dem ganzen eine intime Stimmung.

Wird das ja nun der kommerzielle Höhepunkt, auf den Sie so lange warten?!
Tja. Ich fürchte, mit Alben kann man heute nicht mehr viel erreichen. Aber ich bin altmodisch, ich mag dieses Format einfach. Ich mag, wie eine Reihe von Songs zueinander in Beziehung steht. Ich lese auch lieber einen Gedichtband als ein einzelnes Gedicht. Selbst wenn ich meine Alben superbillig bei mir zu Hause aufnehmen müsste, würde ich es weiterhin tun.

Vielleicht steht die Folkmusik aber doch vor einem kommerziellen Aufschwung, immerhin haben Mumford & Sons gerade einen Grammy gewonnen.
Großartig! Phänomenal! Ich freue mich sehr, dass sich jüngere Leute für traditionelle Stile interessieren und damit so ein großes Publikum erreichen. Ich hoffe, es kommen noch mehr Bands wie die Mumfords!