»Die Gier frisst uns auf«

Ob Politik, Musikgeschichte oder die Finessen des Gitarrenbaus – Ry Cooder ist bekannt für klare Worte und kontroverse Ansichten. Im Interview spricht er über seine Liebe zur alten Musik, die »schändliche« Politik der US-Regierung und die Gründe, warum es Musiker wie Woody Guthrie oder Leadbelly heute nicht mehr geben kann.

Ry Cooder (links unten) mit den Chieftains. Paddy Moloney, Leader der traditionsreichen irischen Folk-Gruppe, steht in der Mitte.

Foto: Concord/Universal

Auf dem Album San Patricio hat Ry Cooder zusammen mit den Chieftains die geheimen Wechselwirkungen zwischen irischer und mexikanischer Musik erforscht. Die altgediente Irish-Folk-Band schlägt einen weiten historischen Bogen und erzählt die Geschichte einiger irischstämmiger Soldaten, die im Jahr 1848 aus der US-Armee desertierten und zu den Mexikanern überliefen. Damit kamen auch die irischen Lieder nach Mexiko, und so erforschen die Chieftains auf San Patricio (Concord/Universal) die musikalischen Wechselwirkungen zwischen Akkordeon und Tin Whistle, zwischen mexikanischer und irischer Musik. Musiker wie Lila Downs, Carlos Núñez, Los Camperos de Valles und Los Tigres del Norte spielen auf dem Album mit den Chieftains zusammen.

Eine besonders wichtige Rolle kam allerdings Ry Cooder zu, der nicht nur auf mehreren Stücken zu hören ist, sondern den Chieftains-Leader Paddy Moloney auch bei der Songauswahl beriet und das ganze Projekt konzeptionell begleitete. Ich hatte vor einigen Wochen Gelegenheit, mit Ry Cooder zu telefonieren, und habe ihn zum neuen Album befragt, aber auch zu seinem Lebensthema, der anhaltenden Relevanz von alter Musik. Es traf sich gut, dass dies auch eines der Hauptthemen meines Blogs ist.

Ry Cooder, bevor wir über das Album San Patricio reden, würde ich Sie gerne zu einer anderen neuen Aufnahme befragen: Zusammen mit Bob Dylan und Van Dyke Parks haben Sie kürzlich eine tolle Version des Woody-Guthrie-Songs »Do Re Mi« eingespielt. Wie kam es dazu?
Bob hat mich angerufen, was ziemlich ungewöhnlich ist.

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Warum denn?
Ich höre nicht besonders häufig von ihm, ungefähr alle zehn Jahre mal. Er hat mich also angerufen und erzählt, dass es diesen Film gibt, bei dem Leute aus dem Howard-Zinn-Buch (A People's History Of The United States; der Film heißt The People Speak) vorlesen. Ob ich ihm helfen würde, dafür »Do Re Mi« einzuspielen? Klar, habe ich gesagt. Mehr steckt nicht dahinter.

Das war das erste Mal, dass Sie zusammen mit Dylan einen Song aufgenommen haben, richtig?
Ja, stimmt. Aber wir waren dafür nicht im Studio. Wir saßen auf der Bühne eines kleinen Theaters hier in L. A. und wurden gefilmt, wie wir den Song spielen. Ich weiß nicht, wo sie den Rest des Soundtracks aufgenommen haben, aber da Dylan, Van Dyke und ich hier wohnen, kamen wir einfach an einem Nachmittag dort hin und taten das, was man nun im Film sehen kann. Morgan Freeman war auch da und bekam schlechte Laune, weil ihm alles zu lange dauerte.

Ich habe kürzlich mit Phil Upchurch gesprochen, der Gitarre auf Dylans Weihnachtsalbum gespielt hat. Er hat erzählt, dass Dylan gerne schnell aufnimmt und nicht so sehr auf technische Feinheiten achtet. War das bei dieser Session genauso?
Ich kann nichts dazu sagen, wie Dylan sich im Studio verhält; das ist eine ganz andere Situation als die, in der wir uns befanden. Dort im Theater war der technische Aspekt notgedrungen nebensächlich. Wir standen da und haben den Song drei-, viermal gespielt, während sie uns filmten. Was hätten wir sonst machen sollen? Uns auf den Kopf stellen? Generell bin ich aber derselben Meinung wie Dylan: Man hat zwei oder drei Takes, um es hinzukriegen. Wenn man es so nicht schafft, muss man aufhören und etwas anderes machen.

Schon auf Ihrem ersten Album, das vor vierzig Jahren erschien, haben Sie »Do Re Mi« gecovert. Warum haben Sie den Song damals ausgewählt?
Nun, es ist ein sehr guter Song. Woody Guthrie hatte viele Fähigkeiten, darunter auch die, komplexe Sachverhalte in etwas sehr Einfaches, Eingängiges zu verwandeln. Denk nur an »The Ghost Of Tom Joad«! Es ist eine unglaubliche Leistung, wie er aus John Steinbecks Buch Die Früchte des Zorns diesen Song gemacht hat. Absolut erstaunlich!

Und er hat ihn in einer einzigen Nacht geschrieben!
Ja, so war es wohl. Er hat sich hingesetzt, und der Song kam einfach.

Bei »Do Re Mi« geht es um mexikanische Wanderarbeiter, die auf den großen Plantagen in Kalifornien arbeiten.
Das war Anfang der Vierziger, als Woody den Song schrieb, ein großes Problem, und ist es auch heute noch. Niemand hat diese Problematik so gut in Liedern behandelt wie Woody Guthrie, außer in »Do Re Mi« auch noch in »Plane Wreck At Los Gatos«. Er war mitten im Getümmel und hat alles selbst beobachtet. Das gab ihm die Fähigkeit, solche Songs zu schreiben; die kriegst du nicht zustande, wenn du zu Hause im Sessel sitzt.

Das hat Ihnen als jungem Mann bestimmt imponiert.
Nicht nur mir. In den frühen Siebzigern war Guthrie zwar erst ein paar Jahre tot, aber er war schon eine mythische Figur. Er stand im Zentrum des Folk-Revivals und hat vielen den Weg gewiesen. Wie vielen, das vermag ich nicht einmal zu sagen. Es war für mich allerdings nicht leicht, seine Songs auf eine Art zu spielen, die musikalisch funktioniert hat. Wenn man, wie ich, aus Santa Monica kommt, muss man sich alles selbst aneignen, da gibt es niemanden, der dir etwas zeigen kann, keine Tradition, an die du dich anlehnen kann.

Die zentrale Botschaft von »Do Re Mi« lautet: Kalifornien ist ein Land, in dem nur das Geld zählt, arme Menschen sind dort nicht willkommen. Stimmt das immer noch?
Es ist erstaunlich, wie zutreffend diese Botschaft immer noch ist. Damals war Los Angeles ein Anziehungspunkt für Leute, die arm waren und einen Job suchten. Viele Schwarze kamen aus den Südstaaten, um der Rassentrennung zu entfliehen. Mexikaner versuchten, den Grenzkriegen zu entkommen. Und auch viele arme Weiße, die ihre Bauernhöfe verloren hatten, strömten nach Kalifornien. Meine eigenen Großeltern, arme Immigranten aus Italien, kamen damals nach Kalifornien. Aber die Machthaber wollten diese armen Schlucker nicht in ihrem Land haben und ersannen alle möglichen Methoden, um sie draußen zu halten. Sie sagten zum Beispiel, die Armen hätten Tuberkulose und würden Epidemien auslösen. Jetzt haben sie an der Grenze zu Mexiko sogar eine Mauer gebaut. Das finde ich regelrecht abstoßend! Das Problem ist also nicht nur geblieben, es ist größer und akuter geworden. Es ist mittlerweile ein politischer Streitpunkt von nationaler Bedeutung.

Auf Ihrem ersten Album haben Sie damals nicht nur Woody Guthrie gecovert, sondern auch Leadbelly und Blind Willie Johnson. Warum gibt es heute keine solchen Musiker mehr?
Das weißt Du doch genauso gut wie ich!

Ich würde es aber gerne von Ihnen hören!
Also, dann pass mal auf. Die Dinge ändern sich, das ist unausweichlich. Und in unserer modernen Ära ändern sich die Dinge sehr schnell. Wenn es um Veränderungen in der Musik geht, muss ich immer daran denken, was Alan Lomax gesagt hat. Er fand, das Schlimmste, was man einem traditionellen Musiker antun könne, sei, ihm Geld und Ruhm in Aussicht zu stellen. Denn dann wird der Musiker wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass er andere Musik spielen muss als bisher, um reich zu werden. Als rauskam, dass mit Popmusik jede Menge Geld verdient werden kann, hat das viele Musiker dazu gebracht, anders über Musik nachzudenken und andere Musik zu machen als bisher. Manche nennen diese beiden Zustände Pre-Media und Post-Media. Das macht Sinn für mich.

Sie meinen also, dass von den Medien unbeeinflusste, regionale Musik irgendwie reiner, wahrhaftiger war.
Denken Sie an Compay Segundo, Leadbelly oder Woody. Das waren Leute, die jeden Morgen aufwachten und ganz genau wussten, wer sie waren und worum es in ihrer Musik ging. Die Musik kam von irgendwo in ihrem Inneren, sie war Ausdruck ihrer Persönlichkeit und nicht irgendwelcher Geschäftsinteressen. Wenn dieses innere Bewusstsein durch die Gier nach Geld ersetzt wird, die gerade unsere Gesellschaft auffrisst, dann verschwindet diese Musik der einfachen Wahrheiten. Schauen Sie sich um! Wo soll solche Musik noch entstehen? Jazz, Blues, Hillbilly? In all diesen Formaten ist diese Musik ausgestorben. Ich würde gerne einen Bereich finden, der von dieser Entwicklung ausgenommen ist. Aber nichts ist davon ausgenommen. Alles geht zu Ende.

Das klingt jetzt aber sehr pessimistisch.
Ich konnte das alles selbst beobachten. Ich habe von allem nur noch das Ende mitbekommen. Hawaiianische Musik – ich habe sie verschwinden sehen. Auch den Blues habe ich verschwinden sehen. Als Teenager habe ich noch einige der alten Meister erlebt, inzwischen ist der Blues zur Begleitmusik fürs Biersaufen verkommen. Der einzige Trost ist, dass wir alles auf Platte haben. Die Schallplattenbranche kam im Jahr 1908 auf und ging ungefähr 2008 zu Ende. In diesen hundert Jahren wurde alles aufgenommen. Und weil es eine fantastische Technologie ist, selbst in ihren primitiven Stadien, haben wir all diese erstaunlichen Platten. Deshalb kennen wir die ganzen alten, regionalen Stile. Aber jetzt sind sie weg.

Ich habe den Eindruck, dass sich die Menschen wieder verstärkt den alten Aufnahmen zuwenden.
Na klar. Den Menschen bleibt doch nicht verborgen, dass die Plattenindustrie ihnen heute Wegwerfmusik vorsetzt, und so suchen sie nach etwas, das emotional reicher ist und ihnen mehr bedeutet.

Sie haben schon viele ungewöhnliche Einflüsse auf Ihren Platten verarbeitet. Die Verbindung zwischen mexikanischer und irischer Musik, die im Zentrum des Albums San Patricio steht, hat mich dennoch überrascht.
Für den geschichtlichen Aspekt dieses Projekts gibt es einen ganz klaren Ausgangspunkt: das Jahr 1848, als viele irischstämmige Soldaten, die in der US-Armee einen schweren Stand hatten, während des mexikanisch-amerikanischen Kriegs zu den Mexikanern überliefen. Auch danach sind viele Iren nach Mexiko gekommen, nicht zuletzt deshalb, weil Mexiko, genau wie Irland, ein katholisches Land ist. So nahm die mexikanische Musik viele irische Einflüsse auf. Genau wie bei den Deutschen – die Bergbau- und Eisenbahn-Ingenieure im Norden Mexikos waren oft Deutsche –, die das Akkordeon mitgebracht haben. Deshalb spielen die Mexikaner heute so viel Akkordeon. Wenn sich Paddy Moloney mexikanische Musik anhört, fällt es ihm sehr leicht, die irischen Elemente zu benennen. Paddy ist eine menschliche Wünschelrute! Sobald da etwas Irisches drin steckt, schlägt er aus. Er findet alles, und sei es noch so verborgen.

Welche Rolle spielen Sie bei dem Projekt?
Ich habe angeboten, ihm zu helfen, weil ich mexikanische Musik mag und ständig höre. Ich habe ihm gesagt, das Timing sei gut, weil San Patricio viele politische und gesellschaftliche Aspekte aufgreift, die gerade diskutiert werden. Es ist inzwischen fast unmöglich, CDs zu verkaufen, aber vielleicht finden die Leute etwas in diesem Projekt, das sie zum Nachdenken bringt.

Die Musikalität der Chieftains finde ich immer wieder atemberaubend. Eine außergewöhnliche Band!
Paddy Moloney ist einer der besten Musiker, die ich je getroffen habe. Er ist ein echter musikalischer Zauberkünstler: Er kann aus jedem Song einen noch viel schöneren Song machen, einfach nur, indem er ihn auf der Tin Whistle spielt. Und er hat ein großes Herz. Darum geht's doch in der Musik: Sie ist Ausdruck deiner Gefühlswelt. Wenn nicht, dann ist sie auch nichts wert.

Das Album scheint mir auch ein Versuch zu sein, der mexikanischen Musikkultur in den USA etwas mehr Gehör zu verschaffen.
Sagen wir es mal so: Für die Mexikaner ist es nicht gerade leicht, unser Nachbar zu sein. Präsident James Polk sagte 1848, der Krieg gegen Mexiko sei entscheidend für die nationale Sicherheit. Das war übrigens das erste Mal, dass diese Redewendung als Kriegsgrund herhalten musste. In Wahrheit war es ein reiner Eroberungskrieg, bei dem die USA Mexiko ein riesiges Territorium abnahmen, darunter Kalifornien, Nevada und Utah. Mexiko hat in diesem Krieg die Hälfte seiner Landmasse verloren und wurde regelrecht gedemütigt. So läufts immer, wenn wir uns irgendwo hinbegeben – ob nach Vietnam, in den Irak, wohin auch immer. Stets behaupten wir, es ginge um die nationale Sicherheit, und verfolgen in Wahrheit schändliche, zutiefst verwerfliche Ziele. Aus Howard Zinns Buch kann man allerdings lernen, dass die Angreifer sich nie unbeschadet aus den Konflikten lösen können, die sie angezettelt haben. Die Angreifer zerstören sich selbst und werden in der Regel irgendwann besiegt. So wie jetzt gerade in Afghanistan.

Letzte Frage: Ich habe vor kurzem angefangen, Gitarre zu spielen. Welchen Rat können Sie mir geben?
Wie alt bist Du?

Vierzig.
Hahahaha! In diesem Alter mit einem Instrument anzufangen, ist schwierig. Das Gehirn ist einfach nicht mehr so aufnahmebereit. Wenn man jung ist, wird das Gehirn neu verdrahtet, wenn man ein Instrument lernt. Aber mit 40? Nahezu unmöglich. Es gibt deshalb nur eins, was ich Dir empfehlen kann: Such Dir eine Platte, die Du magst, auf der einer einen schönen Song spielt, setz dich mit Deiner Gitarre hin, finde die richtige Tonart, und fang an mitzuspielen. Wenn Du das jeden Tag eine Stunde machst, dann wirst Du schon relativ bald mithalten können. Das ist die schnellste, einfachste Methode. Geh zu keinem Lehrer, guck dir keine Videos an, das wird Dich alles nur frustrieren.

Der Klang der akustischen Gitarre hat etwas wunderbar Zeitloses.
Das stimmt. Die Gitarre wird populär bleiben, die Leute kaufen sie weiterhin. Obwohl neue Gitarren nicht gut verarbeitet sind und in der Regel ziemlich traurig klingen. Die Gitarrenbauer nehmen das falsche Holz, den falschen Leim, so dass die Instrumente nicht mehr richtig reagieren. Aber was soll man machen, es kann sich nicht jeder eine alte Gitarre kaufen. Ich würde dir aber auf jeden Fall empfehlen, nach einer schönen, alten Gitarre zu suchen, die nicht zu schwer ist.

Das werde ich tun. Und heute abend werde ich gleich mal »Do Re Mi« spielen.
Spiel Woodys Version, nicht meine! Meine ist ein bisschen zu schräg.