»Unser Ziel ist es, die alte Musik zu bewahren«

Die Secret Sisters über musizierende Schwestern, ihren Heimatort Muscle Shoals, den Reiz der klassischen Countrysongs und gute Ratschläge ihres Produzenten T-Bone Burnett.

Foto: Beladroit/Universal Republic

Das beste Debütalbum, das seit langem auf meinem Schreibtisch gelandet ist, stammt von den Secret Sisters. Dabei handelt es sich um die beiden Schwester Laura und Lydia Rogers aus Muscle Shoals, Alabama, die sich stilistisch und musikalisch stark an den die Countrymusik der Fünfzigerjahre anlehnen. Das Album lebt vom tollen Harmoniegesang der Schwestern, besticht aber auch durch die geschmackvolle Songauswahl und den warmen analogen Sound. Laura, 25, und Lydia, 22, sind seit anderthalb Jahren im Geschäft und haben in dieser kurzen Zeit schon so wichtige Leute wie T-Bone Burnett und Jack White auf ihre Seite ziehen können. Gestern haben sie in München im Ampere gespielt, davor hatte ich Gelegenheit für ein kurzes Interview.

Unter dem Namen The Secret Sisters machen Sie traditionelle Countrymusik, bei Ihrem Heimatort Muscle Shoals denkt man allerdings zuerst an Soul und Funk.
Laura:
Wir haben zwar nie selbst Soul gemacht, aber wir schätzen diese Musik sehr. Dieses tiefe Gefühl, das in der Soulmusik steckt, hat auch seinen Platz in der Countrymusik.

Stimmt es, dass schon Ihr Großvater mit einer Bluegrassgruppe erfolgreich war?
Lydia:  Erfolgreich eigentlich nicht...
Laura:
  Er und seine Brüder hatten ein Quartett namens Happy Valley Boys, mit dem sie Bluegrass- und Gospel gespielt haben. Das waren Amateurmusiker, die sich abends hingesetzt und ein bisschen musiziert haben. Überhaupt kommen wir aus einer recht musikalischen Familie. Die wahren Werte der Countrymusik werden bei uns immer noch hoch gehalten.

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Ich stelle mir gerade vor, wie die ganze Familie zusammensitzt, jemand holt eine Gitarre heraus und dann werden Lieder gesungen. Ist da etwas wahres dran?
Lydia: Ja, genauso war es. Auch heute noch besuchen wir jeden Samstag unsere Großmutter und machen nach dem Mittagessen Musik mit ihr. Bei Familienfesten bringen alle ihre Instrumente mit und wir singen zusammen die alte Lieder.
Laura: Deshalb singen wir auch auf der Bühne die alten Lieder. Nicht nur, weil sie einfach gut sind, sondern auch, weil sie zu unserer Familientradition gehören.

In Deutschland ist diese Tradition verloren gegangen. Da gibt es kaum noch Jugendliche, die sich für Volkslieder interessieren.
Laura:
  Allzu viele sind es in der USA auch nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass die Zahl wieder wächst. Die Leute sind einfach hungrig nach guter Musik. Sie ertragen den ganzen Mist nicht mehr, der im Radio läuft.

Worin liegt für Sie der Reiz der alten Countrysongs?
Lydia: Das ist sehr ehrliche Musik. Denken Sie nur an Hank Williams. Dessen Songs haben nur drei oder vier Akkorde, aber er bringt darin so viel Gefühle rüber, so eine starke Botschaft. Weil die Songs so einfach sind, sind sie heute noch wahr.
Laura:
  Unser Ziel ist es, die alte Musik zu bewahren. Wir finden, dass die alten Songs eigentlich nie übertroffen wurde. Wir covern Songs von George Jones, Buck Owens und Hank Williams und wollen dadurch zum Ausdruck bringen, dass diese Musik in unseren Augen immer noch relevant ist. Wenn man die Leute vergisst, die am Anfang der Countrymusik standen, kann man nicht in die Zukunft gehen.

»Eines Abends haben wir hinter der Bühne »Your Cheatin’ Heart« von Hank Williams gesungen, nur für uns. Plötzlich tauchte Elton John auf und hat einen Vers gesungen. Und als ob das noch nicht genug wäre, stand auf einmal Elvis Costello neben uns, und hat auch mitgesungen«

Laura, Sie haben in einem Interview gesagt: »I think a lot about the Carter Family«. Warum?
Laura:
Wenn ich mir die Carter Family anhöre, denke ich an unsere Familie. Alle sitzen auf der Veranda, holen die Instrumente heraus und singen zusammen. Die waren echte Country-Hillbillies – so wie wir.

Viele der Songtypen, die sich im Repertoire der Carter Family befanden, sind längst in Vergessenheit geraten. Irgendwie schade, dass heute niemand mehr eine Murder Ballad singt, oder?
Laura:
  Ja, heute geht es immer nur um so seichtes Zeug.
Lydia:
  Die alten Countrysongs waren echt krass, da ging es um ziemlich schlimme Dinge. Aber sie hatten hübsche Melodien, das hat es charmant gemacht.

Gibt es andere, aus Schwestern bestehende Gruppen, an denen Sie sich orientiert haben?
Lydia: Da gab es die Davis Sisters, die aber keine echten Schwestern waren, die Andrews Sisters ...
Laura:
Es gab eine Gruppe von jodelnden Schwestern, die DeZurik Sisters...
Lydia: Aber unser Ziel war nie, mal ein Schwestern-Duo zu machen. Wir haben einfach gesungen, weil es uns Spaß gemacht hat. Als es Leuten gefallen hat, waren wir total überrascht.

Sie haben einen sehr markanten Look. Woher bekommen Sie die ganzen Fünfzigerjahre-Kleider?
Laura:
  Aus Second-Hand-Läden oder vom Flohmarkt. In den USA gibt es diese Kette namens Goodwill, das ist eine echte Fundgrube. Als wir einen Plattenvertrag bekamen, haben wir nach einem Look gesucht, der Aufmerksamkeit erregt, mit dem wir uns abheben können. Inzwischen gibt es Stylisten, die Kleider für uns raussuchen. Wir sind Mädchen, also gefällt uns das natürlich.

Wann haben Sie denn den Vertrag bekommen?
Lydia:
Das war im Januar 2010.
Laura:
Wir sind immer noch grün hinter den Ohren. Wir haben den Großteil des Albums im Februar 2010 aufgenommen. Unsere Plattenfirma wollte testen, wie wir ankommen, und hat die unveröffentlichten Songs an einige wichtige Entscheidungsträger in der Musikindustrie geschickt, zum Beispiel Jack White und T-Bone Burnett. Uns hätte es schon gereicht, wenn die gesagt hätten, ja, das gefällt uns...
Lydia:
... aber dann ruft uns jemand an und sagt T-Bone liebt euch, er möchte mit euch arbeiten und die Platte auf einem neuen Label herausbringen, das er extra für euch starten will. Das war wie ein Lotteriegewinn, ein wahnsinniger Glücksfall für uns. T-Bone ist ein sehr netter und sehr kluger Mann, der das Geschäft in- und auswendig kennt und uns viele gute Ratschläge gibt.

Was war sein bester Rat?
Laura:
Nicht zu viel über Geld, Ruhm, Ehrungen und Erfolge nachzudenken. Er sagte: Bleibt eurer Kunst treu, alles andere wird sich finden.
Lydia
: Wir haben im Januar einen Song für einen Soundtrack aufgenommen, den er produziert hat, da hat er das explizit gesagt: Ich habe schon so viele Grammies gewonnen, das interessiert mich alles nicht mehr. Mir liegt allein die Musik am Herzen. Er will die wahre amerikanische Musik bewahren.

Er kennt sich ziemlich gut in der Musikgeschichte aus, oder?
Lydia:
  Oh Mann, er kaut dir das Ohr ab! Er ist eine wandelnde Musikenzyklopädie.
Laura:
  Ich weiß noch, wie wir ihn zum ersten Mal getroffen haben. Anstatt übers Business oder sonst etwas zu reden, hat er uns gleich einen Song vorgespielt, von dem er dachte, dass er gut zu uns passen würde: »The One I Love Is Gone«, dieses Duett von Hazel Dickens und Alice Gerrard, das wir jetzt auch auf der Platte haben. You guys would kill this song, hat er gesagt.

Sie haben auch bereits eine Single mit Jack White gemacht. Leider eine Limited Edition, die nie bis Europa vorgedrungen ist.
Lydia:
Echt nicht? Aber es gibt die Songs auf iTunes.
Laura: Alle sagen, unser Album klänge so unschuldig und rein, aber als wir mit Jack ins Studio gegangen sind, haben wir unsere Schuhe weggekickt und uns die Füße schmutzig gemacht!
Lydia: Wir haben »Big River« von Johnny Cash gecovert, allerdings hat Jack den Song ziemlich zerrockt. Ganz anders als auf unserer Platte. Wir lieben Country, aber den frühen Rock’n’Roll lieben wir genauso.

Sie sind in in kurzer Zeit schon ziemlich herumgekommen. Es muss bestimmt toll sein, all die Leute kennenzulernen, die man vorher nur aus der Ferne bewundert hat.
Lydia: 
T-Bone hat letzten Herbst eine Tour namens  The Speaking Clock Revue  zusammengestellt. Da waren Leute dabei wie Elton John, Leon Russell, John Mellencamp, Neko Case, Elvis Costello – und wir. Eines Abends haben wir hinter der Bühne auf unseren Auftritt gewartet und dabei »Your Cheatin’ Heart« von Hank Williams gesungen, nur für uns. Plötzlich tauchte Elton John auf und hat einen Vers gesungen. Und als ob das noch nicht genug wäre, stand auf einmal Elvis Costello neben uns, und hat auch mitgesungen. Bevor wir uns versahen, standen die ganze Künstler aus der Revue um uns herum und haben mit uns gesungen. Das ist ein Moment, den ich nie vergessen werde.
Laura:  Das war magisch.

Das Debütalbum der Secret Sisters ist im vergangenen Herbst in den USA erschienen (Beladroit/Universal Republic). Am 19. August kommt es auch bei uns heraus.