Vor wenigen Tagen erschien Van Morrisons neues Album Astral Weeks: Live At The Hollywood Bowl, über das ich hier seit drei Wochen berichte. Ich hatte die Musik zuerst als Download erhalten, letzte Woche lag dann die fertige CD auf dem Tisch. Ich war entsetzt! Lange habe ich kein so grauenhaftes – und einfach nur graues – Cover mehr gesehen. Das Design macht einen lieblosen, hastig zusammengeschusterten Eindruck und steckt voller grafischer Anfängerfehler: So wurden nicht weniger als fünf Fonts darauf gequetscht, wobei man den Schriftzug »Van Morrison« rätselhafterweise vom Cover seines Albums A Sense Of Wonder übernommen hat. Das Foto des Künstlers scheint mit der Nagelschere ausgeschnitten und wurde vor einem Hintergrund platziert, bei dem unklar bleibt, ob es sich um aschgrau, staubgrau, mausgrau oder zementgrau handelt. Steckt womöglich gar Morrison selbst hinter diesem grafischen Fiasko? Nirgendwo ist der Name eines Designers zu finden.
Am unheimlichsten jedoch: Er lächelt. Wie jeder Fan weiß, lächelt Morrison so gut wie nie, und so erschrickt man beim Anblick seiner Zähne etwas. Andererseits weiß man auch, dass ein Bühnenlächeln bei Morrison Anzeichen höchster musikalischer Verzückung ist. Anscheinend haben ihm die beiden Konzerte in der Hollywood Bowl, bei denen das Album entstand, wirklich Spaß gemacht.
Und das hört man vom ersten Ton an. Mit der Energie eines Tauchsieders arbeitet sich Morrison in seine alten Songs hinein, widmet sich ihnen mit einer Hingabe, die ebenso beeindruckend wie überraschend ist. Wenn er diese Songs so gerne mag, so fragt man sich, warum hat er sie im Verlauf seiner Karriere dann so selten gespielt, viel seltener, als die Fans es sich gewünscht hätten? Warum hat er immer wieder den Eindruck erweckt, die Verbindung zu diesen Frühwerken verloren zu haben? Wahrscheinlich muss man die Sache umgekehrt betrachten, um zur Lösung zu gelangen: Gerade weil er die Songs von Astral Weeks nur dann gespielt hat, wenn er ihre Bedeutung fühlen konnte, ist es ihm gelungen, eine emotionale Verbindung zu dem Material aufrecht zu erhalten. So kann der 63-Jährige die Lieder des 23-Jährigen nun von innen heraus komplett neu erschaffen.
Anders als im nostalgischen Nachspielen im Stile der Rolling Stones liegt darin natürlich ein gewisses Risiko. Man hört, dass Morrison bei »Astral Weeks«, dem Eröffnungsstück, noch nicht ganz bei der Sache ist, und zu dem stürmischen Liebeslied »The Way Young Lovers Do« hat der alte Mann keine Beziehung mehr. Die restlichen Songs gelingen ihm jedoch allesamt großartig, besonders »Beside You« und »Sweet Thing«.
Angetrieben von einer erstklassigen Band, aus welcher der Gitarrist Jay Berliner, der schon auf Astral Weeks dabei war, herausragt, singt Morrison seine Songs auf eine Weise, in der der herzzerreissende Klagesound des 23-jährigen immer noch als Spurenelement enthalten ist, die dem Schmerz und der Sehnsucht von damals aber ein ganzes Lebensalter an Erfahrung hinzufügt. »Van Morrison is a soul singer«, heißt es in seinem neuen Presse-Info. Mehr muss man vielleicht gar nicht sagen.
In den letzten zwanzig Jahren bewegte sich Morrisons Musik zwischen zwei Polen: dem mystischen Soul seiner Achtziger-Alben und der reduzierten Direktheit des Blues. Vor weniger als einem Jahr hat er erst ein Album namens Keep It Simple veröffentlicht, das die Reduktion als Gebot der Stunde pries. Nun die Kehrtwende: Auf Astral Weeks: Live At The Hollywood Bowl ist überhaupt nichts simpel, sondern alles kompex: die Songs, die Emotionen, die Interaktion der Musiker.
Von der Kraft seiner alten Songs angeregt, geht Morrison stellenweise über sie hinaus und fügt neue Textpassagen ein, zum Beispiel bei »Astral Weeks«, wo er gegen Schluss plötzlich die Zeile »I believe I’ve transcended« zu intonieren beginnt. Auch die beiden Stücke hier, die nicht von Astral Weeks stammen, zeigen ihn von seiner mystischen Seite: »Liston To The Lion« und »Common One«; bei letzterem handelt es sich um einen Ausschnitt aus »Summertime In England«. Verbindet sich mit diesem Album also ein dauerhafter musikalischer Richtungswechsel? Es ist unmöglich, das zu prognostizieren, wird aber spannend sein, es zu beobachten.
Als ich erstmals von dem Album hörte, habe ich mich gefreut – und glelchzeitig gefürchtet, nun den endgültigen Beweis dafür zu bekommen, dass Morrison nichts Neues mehr einfällt. Jetzt weiß ich: Astral Weeks: Live At The Hollywood Bowl beweist, dass Van Morrisons musikalische Fähigkeiten und sein spezielles musikalisches Konzept weiter relevant und lebendig sind. Auch wenn er schon lange keine neuen Songs mehr geschrieben hat, die dieses Potenzial wirklich ausgeschöpft haben.