»Die Belanglosigkeit ist wohltuend«

Petit Escape aus Tokio. Yuko und ihr Freund Yudai sind im Süden und lenken sich ab, mit heißen Quellen und Hollywood-Schinken. Fukushima scheint weit weg. Aber zurück in Tokio müssen sie entscheiden, wie es weitergeht, auch privat.



19. bis 20. März

Etappen unserer Reise: Kumamoto (die Stadt ist viel größer als wir dachten) Kurokawa Onsen (eine in den Bergen verstecktes Wellness-Dörfchen mit heißen Quellen, TOLL) und Hakata City.

Leben in einer veränderten Stadt?
Während des Trips diskutieren Yudai und ich, ob wir weiterhin in einem Tokio wohnen wollen, das sich möglicherweise für immer verändert hat. Ursprünglich komme ich aus Yokohama, das liegt im weiteren Einzugsbereich der Hauptstadt. Daher fühle ich mich mit diesem Teil des Landes sehr verbunden, verwurzelt. Bei Yudai ist das anders. Er stammt aus Aomori, das ist noch viel weiter nördlich als Fukushima. Und er überlegt ernsthaft, aus Tokio wegzuziehen. Würde er das wirklich tun – es würde wohl alles auf eine Trennung hinauslaufen. Denn ich möchte bleiben, definitiv. Eine Einigung können wir allerdings jetzt nicht erzielen.

Wohltuend belanglos
In einem Pokemon-Shop in Hakata wuselt eine Schar aufgeregter Kinder durch die Gänge. Vor vielen Restaurants bilden sich lange Schlangen. Es ist wie zur Hauptsaison. Wow. Yudai und ich gehen ins Kino und schauen uns einen Hollywood-Schinken an. “The Tourist” mit Johnny Depp und Angelina Jolie. Die Belanglosigkeit des Films ist wohltuend.

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„Petit Escape“
Ich verschicke Mails an ein paar Freunde und teile ihnen darin mit, dass wir uns übers Wochenende nach Kyushu geflüchtet haben. Und siehe da! Fünf unserer Freunde haben es genauso gemacht, darunter auch Maeda san mit Familie und Shunsuke. Der sagt, dies sei sein „petit escape” aus Tokio. Wir schicken uns gegenseitig Fotos von unseren Aufenthaltsorten. Und realisieren, wie viele Leute aus Tokio, uns eingeschlossen, unter diesem immensen Stress gestanden haben, ohne es richtig wahrzunehmen.

Früher als geplant
Yudai sammelt immer mehr Informationen und Analysen aus dem Netz zu Fukushima und der atomaren Krise. Und er kommt zu der Erkenntnis: Wir können sogar einen Tage früher nach Tokio zurückkehren, als wir ursprünglich geplant hatten.

Die Hoffnung fährt zurück
18:53 Uhr. Unser Shinkansen-Zug zurück nach Tokio hat den schönen Namen “Nozomi”, das bedeutet “Hoffnung”. Gute Nachrichten auch in den Twitter-Nachrichten, die meine Leute aus Tokio absetzen. Ich erfahre, dass es die Produkte, die durch Panikkäufe kurzerhand ausverkauft waren, wieder gibt. Tokio hat jetzt wieder genug Toilettenpapier. So ein Glück.

Yukos Tagebuch (I) - "Fukushima strahlt in unseren Köpfen"
Yukos Tagebuch (II) - "Ich frage mich was eigentlich bebt - ich oder der Boden unter mir"
Yukos Tagebuch (III) - "In Zeiten wie diesen sollten wir uns selbst Gründe geben, fröhlich zu sein
Yukos Tagebuch (IV) - "Ich möchte in aller Bescheidenheit etwas klarstellen"
Yukos Tagebuch (V) - "Früher hätte ich gedankenlos gesagt: Ist ja wie ausgestorben hier"

Yuko Ichimura, 35, ist Illustratorin und Werbefilmerin aus Tokio. Für uns zeichnet sie die Veränderungen ihres Leben auf ein Blatt Papier, scannt es ein und schickt es nach Deutschland. Ihre Schilderungen wurden vom Englischen ins Deutsche übersetzt. In eigener Sache bat sie uns mitzuteilen: "Die Situation hier ändert sich dramatisch, Tag für Tag. Keiner weiß, was kommen mag. Deswegen versuche ich, an kleinen Dingen festzuhalten. Um den Deutschen wie auch mir selbst einen Sinn für die Wirklichkeit zu geben. Egal, wie die nahe Zukunft aussehen mag." Sie freut sich über Nachrichten auf Facebook, sieht sich momentan aber außerstande, darauf zu antworten. Ihr Honorar für's Tagebuch aus Tokio spendet sie dem Roten Kreuz.