Die Frau trägt ein goldenes Stirnband und lächelt. Haben Sie Kinder? fragt sie mich, während sie meine Spitzen schneidet. Ich schaue in den Spiegel, hole Luft. Smalltalk also, gut. Zwei Töchter, sage ich, und warte auf Nachfragen, ich bin müde. Hatten die mal Läuse? Ja, antworte ich und bin noch überrascht über das Thema, da sagt sie sanft: Dachte ich mir, Sie haben Nissen im Haar. Ich muss Sie bitten zu gehen. Sie nimmt mir den Umhang ab. Die Kundin auf dem Stuhl neben mir schaut rüber. Ich bin wach. Zahle, haste aus dem Friseursalon.
Läuse, das Wort kannte ich aus Rundmails anderer Eltern, bis Jan mit Anna und ihren Kindern zusammengezogen ist. Seitdem sagt Jan manchmal, Robin und die Mädchen hätten Läuse, seien aber behandelt worden, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich hatte noch nie Läuse, weiß nicht mal, wie die aussehen. Jetzt stehe ich auf der Straße und bin wütend auf Jan und Anna, die es nicht schaffen, diese Tierchen abzuschütteln. Muss ja von denen kommen, woher sonst. Und obwohl ich weiß, dass Läuse nur auf sauberen Köpfen wohnen, von Mütze zu Mütze springen, möchte ich ihnen ein Hygiene-Problem andichten. Mich juckt’s. In der Apotheke kaufe ich drei Packungen Läusemittel für 40 Euro.
Den Rest des Tages tränke ich die Haare meiner Töchter mit öliger Tinktur, bevor ich mich selbst behandele. Ich ziehe Betten ab, stecke Mützen ins Tiefkühlfach. Ich stecke die Bürsten in kochendes Wasser und mache ein Foto, das ich an Jan, Anna und Hans schicke. So bekämpft man erfolgreich Ungeziefer, will ich zeigen und komme mir vor wie jemand, der beim Fahrradfahren nicht nur Helm, sondern auch Knieschützer trägt. Ich arbeite genau, werde kleinlich. Der Wäscheberg im Flur reicht bis zum Lichtschalter als meine Maschine aufhört zu waschen. Für immer. Ich laufe zum Waschsalon und will nur noch eines: die Schuldfrage klären. Hysterie teilen. Aber Jan und Anna stecken in einer kinderlosen Woche, sie haben gerade anderes zu tun als Teddys einzufrieren. Meine Sorge ist nicht ihre, nicht an diesem Nachmittag. Wir kümmern uns, schreibt Jan.
Kinderwechsel. SMS an ihn: Habt ihr die Betten abgezogen? Mache ich noch, antwortet er, und später: Robin untersucht, er hat Läuse. Vier Tage nachdem ich allen geschrieben habe? Niemals, denke ich, werden sie so gründlich sein wie ich. Ich sehe ihre große Wohnung, die Betten, die sie sich teilen, das Sofa, die Kissen, die Wäsche im Bad. Ein Läuseparadies, in dem sechs Menschen leben. Ich fühle mich hilflos. Sind Läuse eigentlich meldepflichtig? Paragraf 34 Absatz 5 des Infektionsschutzgesetzes: ja. Ich schreibe eine Rundmail. Schreiben nicht viele Eltern Rundmails am Jahresende und berichten von Entwicklung und Erfolgen ihrer Kinder? Louise hat uns in diesem Jahr mit ihrem Cellospiel beeindruckt. Martha begeistert das perspektivische Zeichnen (Bild siehe Anhang), sie steht täglich an ihrer Staffelei. So? Ach ja, und in unserer Freizeit kämpfen wir gegen Kopfläuse, eine großartige Herausforderung, an der wir alle wachsen.
Illustration: Grace Helmer