Wäre es nach mir gegangen, unsere erste Begegnung hätte später stattgefunden. Vielleicht hätte ich sie gegoogelt. Freunde gefragt, ob sie Anna kennen. Wie sie so ist. Ich hätte darüber nachgedacht, was wir zueinander sagen würden, wo wir uns begegnen könnten. Dienstage und Donnerstage wären verstrichen und an irgendeinem Morgen hätte ich meine Haare gewaschen, mich ordentlich gekleidet und wäre an einen verabredeten Ort gefahren, um Anna die Hand zu reichen.
In Wirklichkeit konnte sich keiner von uns darauf vorbereiten, das Leben des anderen zu teilen. 14 Tage hatte sie mit Jan verbracht, als ich mich vorstellen sollte als die Frau, die 14 Jahre mit ihm zusammengelebt hat. Ich erinnere mich, wie ich ihre Wohnung zum ersten Mal betreten habe. Jan hat mir die Tür geöffnet. Ich sehe sie in der Küche stehen, eine schöne, zum Glück ganz andere Frau als ich. Immer trägt sie Kleider, die Haare dunkel und kurz, die Lippen rot. Ich habe ihr nur in die Augen geschaut, fast krampfhaft. Ich wollte sie nicht mustern. Abschätzen.
Und, wie ist die Neue? fragten mich die Menschen, und ich sage bis heute, dass sie mir sympathisch ist. Dass ich einverstanden mit ihr bin. Ich weiß, sie wünscht sich eine größere Nähe. Lange Gespräche am Küchentisch, nachts. Gemeinsames Nachdenken über die Kinder, mit denen sie genauso viel Zeit verbringt wie ich. Ich sehe ihr Interesse, ihre Achtung vor mir und vor dem, was war. Sie hat mir meine Perlenkette neu aufgezogen, einfach, weil sie es kann, es ist ihr Beruf. Sie hat für mich gekocht. Und ich bin vorsichtig geblieben. Habe darauf gewartet, dass sie meinen Argwohn entdeckt. Erkennt, dass ich schlechter bin als sie dachte. Sollte sie mir wahrhaftig zugewandt sein? Warum?
Ich beobachte sie, kann aber nichts Verdächtiges ausmachen. Sie lässt mich Mutter meiner Kinder sein, auch in den Vaterwochen. Spricht mit Respekt von mir, das hat mir Jan erzählt. Manchmal nimmt sie meine Töchter in die Arme, näht ihnen Kleider, schenkt ihnen Schmuck. Dafür bin ich ihr dankbar, auch wenn ich die Bilder dazu lieber verdränge. Ihre Offenheit macht jede Form der Konkurrenz zwischen uns lächerlich. Wir sind Mütter, beide teilerziehend in unseren Familien, verbunden in dem Wunsch, es den Kindern leicht zu machen. Ich weiß, sie möchte mit mir befreundet sein. Eigentlich will ich das auch, irgendetwas hält mich auf - (verzeih, Anna, die Zeit wird es richten).
Plötzlich, vor wenigen Minuten, stand Martha in der Tür. Schwimmzeug holen. Sie hat ihre Tasche gepackt, ein gutgelauntes Kind. Ich habe ihr Schokolade zugesteckt, eine fröhliche Mutter, und sie ziehen lassen in den Rest der Woche, die sie mit Anna, Jan, Marie, Robin und ihrer Schwester Louise verbringt. Ich habe die besten Eltern der Welt, rief sie noch durch die sich schließenden Fahrstuhltüren. Ein überschwängliches Lob, es gilt auch Anna. Und da wusste ich, wir haben es geschafft. Splitter eingesammelt, Zuhause geschaffen, Normalität geprobt. Pragmatisch und uneitel ist Anna dabei, als hättest sie das schon immer gemacht: Reparaturmannschaften bilden. Und jetzt? Wird es nicht einfacher. Wir werden an unsere Grenzen gehen, ringen um die Idee unserer großen Familie. Die Geschichte eines Abschieds aber, der unser Anfang war, ist erzählt.
Illustration: Grace Helmer