Ich habe mir einen Wecker gekauft. Er ist klein und schwarz und klingelt nicht. Ich habe kein Glück mit Weckern, müsste ihn reklamieren. Aber dann stelle ich fest, er zählt laut die Sekunden. Das gefällt mir. Sein regelmäßiges Schnarren macht die Stille hörbar, die mich in den Wochen umgibt, in denen Martha und Louise bei ihrem Vater wohnen. Am Anfang hat mich diese Stille bedroht. Also habe ich das Radio angeschaltet. Jetzt höre ich ihr zu.
Wir mussten uns erst mal kennenlernen, als Mutter von zwei kleinen Kindern hatte ich kaum etwas mit ihr zu tun. Ich kannte sie aus Bibliotheken, aber dort waren wir nicht privat. Wirklich begegnet bin ich ihr erst als Teilzeit-Mutter, in einem Zimmer für mich allein. Sie begleitet die Zeit, die ich mit mir verbringe. Kinderlose Stunden und Tage, die mich mutlos gemacht haben, bis ich verstanden habe, dass sie ein Geschenk sind. Ist noch nicht lange her.
Plötzlich zeitreich, erschrecke ich trotzdem über meine Ausgaben: Wie, schon elf und ich habe noch nichts geschafft? Ich könnte spazieren gehen, mich in ein Café setzen, Serien gucken, telefonieren! Ich bleibe liegen und höre den Sekunden zu, lasse sie verstreichen. Erst indem ich sie verschwende, scheint die Zeit mir zu gehören. Ich denke darüber nach, dass es üblich ist, Jahre zu verbummeln, bevor man Mutter wird. Dass ich erst jetzt lerne zu bummeln und das, abgesehen vom Kindervermissen, eine Chance ist.
Ich könnte mich ein bisschen kennenlernen, zum Beispiel. So ein Sonntag ist da ein guter Anfang, muss ja nicht gleich eine Indienreise sein. Wer sich zu lange zu genau betrachtet wird komisch, weiß ich von Freunden und aus dem Fernsehen. Ich denke weiter, dass eine gleichberechtigte Erziehungspartnerschaft, wie das Fachleute nennen, sowohl für Väter als auch für Mütter eine Emanzipation von den traditionellen Geschlechterrollen bedeutet: Beide Elternteile müssen gleich viel leisten, ohne dass einer schummeln kann. Dafür werden die Väter gelobt, die Mütter gescholten: Wie können die freiwillig auf ihre Kinder verzichten?
Siebzehn Uhr, zeigt der kleine Schwarze an, das Bummeln läuft gut. Ich koche, wie immer vier Portionen, und höre Louise sagen: Besser zu viel als zu wenig, Mama. Ich vermisse sie nicht, weiß ich doch, ihr geht es gut. Love yourself, hat sie auf die Tafel in der Küche geschrieben, so heißt der Song von Justin Bieber, den sie gerade im Musikunterricht singt. Sollte sie mich einmal fragen, warum ich Teilzeit-Mutter geworden bin, werde ich antworten: Damit ihr so wenig wie möglich verliert und wir alle etwas gewinnen.
Illustration: Grace Helmer