Ein Jahr lang schrieb die SZ-Magazin-Autorin Lisa Frieda Cossham in ihrer Kolumne über ihr Leben als »Teilzeit-Mutter«. Nach der Trennung vor drei Jahren hatte sie mit ihrem Mann Jan entschieden, dass die gemeinsamen Töchter Martha und Louise (heute 13 und 11) abwechselnd eine Woche bei ihr und eine beim Vater sein sollten. In den 52 Folgen ihrer Kolumne schilderte sie seitdem eindrücklich, wie sie in den Nicht-Töchter-Wochen mit der neugewonnenen Freiheit umgeht, aber auch die Selbstverständlichkeit und Geborgenheit der Familie vermisst. Während Jan mit seiner neuen Partnerin Anna inzwischen eine große Patchworkfamilie hat, lebt die Autorin nun, am Ende der Kolumne, in den kinderlosen Wochen allein.
Jan, wie war dieses Jahr für dich? Zu wissen, dass jede Woche ein Text über eure Familie online erscheint?
Jan: Ich habe die Kolumne nur sporadisch gelesen. Ich konnte mich so entspannter durch mein Leben bewegen.
Wie war es für deine neue Lebensgefährtin?
Jan: Anstrengend. Ich musste ihr erstmal vermitteln, was das überhaupt soll. Ich wusste ja, für Frieda ist das ein Teil ihrer Arbeit und auch ihre Art, mit der Situation umzugehen. Sie hat auch Dinge pointiert ausgedrückt, die in Wahrheit vielschichtig sind. Und es war wichtig, sich immer klar zu machen: Das ist Friedas Perspektive, es ist nicht DIE Wahrheit und nicht die Perspektive der anderen Teilnehmer in diesem Spiel.
Frieda: Natürlich klingt das in einer Kolumne anders als wenn ich mit euch spreche. Ich würde nicht vom Tisch aufstehen und sagen: »Boah, mir wird das hier zu sechst gerade zu viel.« In einem tagebuchartigen Text schreibt man das aber vielleicht schon. Über bestimmte Dinge denkt man auch erst nach, wenn man wieder alleine ist. Ich habe halt da hin gefühlt, wo es dunkel ist.
Jan: Es war im Alltag auch deshalb nicht ganz einfach, weil wir alle ja auch damit rechnen musste, das Erlebte wird womöglich verwertet.
Frieda: Jan und Anna haben sich gewünscht, dass unser erstes gemeinsames Weihnachten nicht in der Kolumne vorkommt. Daran habe ich mich natürlich gehalten.
Warst du manchmal überrascht davon, wie Frieda die Dinge sieht?
Jan: Nein.
Frieda: Unser Austausch ist im Alltag viel dichter, auch das Verarbeiten der Trennung.
Jan: Vieles war schwärzer und schmerzhafter, in der Kolumne wird das nur angedeutet.
Da ist dieser Moment, in dem Frieda beschreibt, wie sie dich verlässt. Wie sie ihren Koffer packt und in exakt sieben Minuten zur U-Bahn geht. Ist es nicht schmerzhaft, diesen Film noch mal zu sehen?
Jan: Ich kann mich an gar keine Situation mit Rollkoffer erinnern, aber viele andere schlimme. Das meine ich mit »Die Kolumne ist Friedas Wahrheit«. Natürlich gibt es in diesen Texten Momente, bei denen ich wieder Schmerz empfinde, wenn ich sie aus meinem Innersten hochhole.
Wie hätte eine Teilzeit-Vater-Kolumne ausgesehen, die du geschrieben hättest?
Jan: Ganz anders. Ich war ja das ganze Jahr über in einer Beziehung. Ich hatte nicht diese harten Brüche, wie Frieda sie hatte, mit dem Verlieben in Paul, der Trennung von mir, ihrem Auszug und nach eineinhalb Jahren der Trennung von ihm. Natürlich sind die Montage für mich auch manchmal hart, wenn die Kinder gehen, aber bei mir ist noch jemand anders da. Dieses Gefühl der leeren Betten kam bei mir nicht so auf.
Weil deine neue Partnerin auch zwei Kinder hat.
Jan: Ja, auch deshalb wäre meine Kolumne ganz anders: Sie handelte von einer Großfamilie, da gäbe es ganz andere Themen.
Wie schnell hast du Anna kennengelernt?
Jan: Schnell. Frieda zog im Februar aus, und an Pfingsten waren Anna und ich schon ein Paar. Wir haben die Pfingstferien auf demselben Zeltplatz verbracht mit unseren Kindern. Danach bin ich direkt zu ihr gezogen. Die Kinder waren nie mehr in der alten Wohnung.
Frieda: Das fand ich schwierig.
Jan: Frieda und ich haben dann zusammen unsere frühere gemeinsame Wohnung aufgelöst.
Davon handelt Folge 14.
Jan: Der Papa-Schmerz fiel dadurch sehr schnell weg, dem Papa ging's wieder gut. Diese Zeit, in der ich wie ein Zombie wirkte, war vorbei. Und alles war an seinem Platz. Mit Anna. In der neuen großen Wohnung.
Frieda: Mein Verhältnis zu Jan und den Kindern konnte sich schlagartig bessern. Es war wie geradegerückt.
Weil du dich nicht mehr so stark schuldig gefühlt hast?
Frieda: Jan hatte mich schon stark angeklagt in den Monaten zuvor. Das war eine schwere Zeit für mich, weil ich ja selbst so ein schlechtes Gewissen hatte. Auch als Mutter habe ich mich die ganze Zeit in Frage gestellt.
Hattet ihr auch eine andere Aufteilung als das Wechselmodell, bei dem die Kinder eine Woche bei der Mutter und eine Woche beim Vater sind, erwogen?
Frieda: Nein. Wobei ich schon anfangs so Gefühle hatte wie »Okay, ich hab's vergeigt. Vielleicht mache ich künftig doch besser in was Anderes als Familie, offensichtlich bin ich da nicht gut drin.«
Jan: An diese Impulse erinnere ich mich auch noch.
Frieda: Aber dadurch, dass wir so eine gleichberechtigte Beziehung geführt hatten, wäre es komisch gewesen, nun einen von beiden zum Wochenend-Elternteil zu machen.
Warum gilt diese Art der Aufteilung noch immer als ungewöhnlich? Du schreibst das ja auch in Folge 28: Die Leute gehen davon aus, Kinder würden durch das Hin und Her leiden, in der Schule verhaltensauffällig werden.
Frieda: Ja, dabei ist es doch die fairste Art, die Kinderbetreuung nach einer Trennung zu regeln! Es wird auch immer noch gedacht, die wöchentlichen Wechsel seien zu anstrengend für die Kinder. Aber wenn man wie wir nicht weit voneinander entfernt wohnt, stimmt das nicht. Wenn die Kinder jedes oder jedes zweite Wochenende zum anderen Elternteil gehen, gibt es ja auch Wechsel. Was sie stresst, sind die Konflikte ihrer Eltern. Was mir aus den Kommentaren entgegenschlug, ist der Unglauben, dass eine Mutter »freiwillig« auf die Hälfte der Zeit mit den Kindern »verzichtet«. Dass es auch Väter gibt, die verzichten müssen, wird als normal empfunden.
»Eine Rechnung, bei der alle verlieren«, hast du in Folge 32 geschrieben.
Jan: Ja, das war auch anfangs immer mein Vorwurf an Frieda. Dass sie mir durch die Trennung die Hälfte der Zeit mit meinen Kindern klaut.
Frieda: Und trotzdem birgt das Wechselmodell die Chance, dass die Kinder eine gute, gleichstarke Beziehung zu beiden Elternteilen aufbauen können.
Jan: Total. Und es sind inzwischen echt kleine Schwellen, über die unsere Beiden jeden Montag müssen. Es gibt eine Mama-Welt und eine Papa-Welt, und die sind zwar unterschiedlich, aber beide gut. Ich erlaube Dinge, die gehen bei Frieda gar nicht.
Zum Beispiel?
Frieda: Naja, die Kinder sind bei Jan viel länger wach. Wenn sie zu mir kommen, müssen sie meist Schlaf nachholen.
Jan: Unsere Wohnung ist groß und zusammen mit Annas Kindern machen die Kinder ihr eigenes Ding.
Frieda: Ich gehe halt noch mal ins Zimmer und sage: Louise, nimm mal die Kopfhörer raus, jetzt wird geschlafen... Ich habe mehr Kontrolle, weil wir nur zu dritt sind.
Die Patchworkfamilie ist in der öffentlichen Wahrnehmung inzwischen positiv besetzt, wenn man Til-Schweiger-Filme schaut, wird sie sogar romantisiert.
Frieda: Man will daran glauben, ja, und ich kann das nachvollziehen. Aber es wird alles selbstverständlicher und fluffiger dargestellt, als es ist.
Jan: Bei mir ist es umgekehrt: Ich habe es mir schrecklich vorgestellt und erlebe es jetzt als Bereicherung.
Frieda: Du hast mal gesagt, alles was nach uns kommt, ist B-Ware.
Jan: Ja, ich habe Patchwork als Downgrade empfunden.
Frieda: Wobei ich schon Angst davor habe, dass Bezugspersonen beliebig werden. Dass ich die Möglichkeit einer heilen Familie aus den Augen verliere, mich an diese vielen Kompromisse gewöhne. Manche Kinder in unserem Umfeld erzählen wild durcheinander: Wer von wem die Schwester, Halbbruder, Lebensgefährte ist... da wird mir manchmal schwindelig.
Jan: Für mich war klar: Das ist jetzt eben die Realität. Und die neue Familie muss wachsen. Deshalb habe ich Rituale eingeführt. Wir machen Familienkonferenzen zu sechst, mit Annas Kindern, immer wenn die Kinder kommen und kurz bevor sie gehen. Ich habe auch Tischgebete eingeführt. Am Anfang war das den Kindern total peinlich…
Frieda: Haha, das ist sogar mir peinlich!
Jan: Aber das rahmt die Mahlzeiten. Sind alle da, hält man kurz inne. Oder die Ausflüge, die wir machen. Da kommt auch manchmal: Was hat er sich jetzt wieder ausgedacht? Aber das ist mir egal. Rituale sind wichtig. Familie muss man leben. Und manchmal überfordert man sich auch gegenseitig. Als wir Weihnachten im Großverbund gefeiert haben zum Beispiel, haben wir den Bogen ordentlich überspannt und am Ende doch ein friedlich-wildes Fest gehabt.
Frieda: An einem solchem Fest stoße ich an meine Grenzen. Denn ich gehöre nur bedingt dazu, irgendwann muss ich heim, zurück in meine Wohnung. Immer ein komischer Moment.
Jan: Ich komme mir oft wie ein Zirkusdirektor vor: Um mich herum sind alle diese Superfrauen, Mütter, Töchter, Großmütter, und alle fordern besondere Aufmerksamkeit.
Früh Mutter zu werden heißt sehr früh zu wissen, dass man niemals mehr allein sein wird, schreibst du, Frieda. Aber im vergangenen Jahr warst du jede zweite Woche allein.
Frieda: Das musste ich erst lernen, ja. Alleine eine Wohnung mieten, alleine etwas unternehmen, eine erwachsene Frau sein. Es war ein verspätetes Coming of Age. Ich war es gewohnt, alles zu teilen, Stress, Sorgen, Freude. Ich bin viel bewusster Mutter, seit ich mich selbst und das Leben alleine aushalten kann.
Inwiefern?
Frieda: Ich habe mich lange geschämt, dass ich mit Anfang 20 Mutter wurde.
Jan: In dem Moment, wo dein Muttersein bedroht war, musstest du ja zum ersten Mal sagen: Ich will es wirklich.
Frieda: Ja, und jetzt nach der Trennung zu merken: Ich schaffe es auch alleine, das war wichtig.
Du wurdest ja in den Kommentaren unter der Kolumne ziemlich angefeindet.
Frieda: Ich konnte das ganz gut ausblenden, weil ich dachte, wer so kommentiert, hat mich überhaupt nicht verstanden.
Jan: Mich hat das schon erschreckt, ich dachte manchmal, die Leute haben die Tastatur mit einer Kloschüssel verwechselt.
Wolltest du Frieda manchmal verteidigen?
Jan: Jaja! Ich dachte darüber nach, mir ein Profil bei Facebook anzulegen und da selbst mal loszulegen.
Frieda: Ich glaube, die Leute reagieren so stark, weil es ihr an ihr eigenes Mutter- oder Vaterempfinden rührt.
Jan: Frieda hat ja auch ganz viel über Unsicherheiten und Zweifel gesprochen, etwas artikuliert, was viele halt nur heimlich denken.
Jetzt haben wir so viel über euch gesprochen. Wie geht es Martha und Louise?
Jan: Gut! Ich glaube sie sind stolz auf ihre große Familie und profitieren von all den unterschiedlichen Bezugspersonen.
Frieda: Diese Villa Kunterbunt, die sie bei Jan haben, ist schon toll. Aber sie machen sich beim Wechsel immer noch Sorgen, wie es jetzt wohl dem anderen Elternteil geht.
Jan: Was macht Mama jetzt, fragt mich Louise oft, wenn sie am Montag zu mir kommt. Und dann überlegen wir uns, was Frieda jetzt wohl grad macht, gute Dinge, nicht...
Frieda: ...dass Mama verzweifelt Alkohol trinkt und traurig ist (lacht). Das Teilzeitmodell war auch deshalb für uns das richtige, weil die Kinder im passenden Alter waren. Sie konnten unsere Entscheidung gut mittragen. Ich weiß nicht, ob wir es so gut hinbekommen hätte, wenn Martha und Louise vier und zwei gewesen wären.
Jan: Außerdem geht es unseren Töchtern gut, weil wir uns weiterhin wertschätzen. Ich empfinde für Frieda ein Liebesgefühl, trotz allem. Würde einer von uns den anderen konstant abwerten, würde das ja auch zu einer Abwertung der Kinder führen. Natürlich hatten wir Probleme miteinander. Viele haben sich aber dadurch gelöst, dass wir nicht mehr ein Paar sind. Eltern sind wir noch immer.
Illustration: Grace Helmer