Ein Café in der alten Hood. Ich sitze im Fenster und schaue auf die Straße. Früher bin ich hier auf dem Rückweg vom Einkaufen vorbeigelaufen, schmaler Gehweg, schwere Taschen. Geradeaus der Spielplatz ohne Schaukeln, dafür mit Tischen und Bänken aus Stein. Manchmal haben wir dort als Familie gefrühstückt. Im Sand gespielt, mit Kreiden gemalt. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, denke ich. Viel mehr als heute.
Zeit, behaupten nicht nur berühmte Menschen, die goldene Wasserhähne und persönliche Assistenten haben, sei das Kostbarste. Ein unbezahlbares Gut, das haben wir verstanden und versuchen deshalb, sie bewusster wahrzunehmen und zu leben. Viele Eltern würden gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Ein Drittel der Väter. Jede fünfte Mutter. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Statistische Bundesamt im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Auch ich sehne mich nach meinen Kindern. Vor allem wenn sie gegangen sind, um den Rest der Woche bei ihrem Vater zu leben.
Sechs Tage sehne ich mich, es sind kurze Momente im Alltag. Dann ist wieder Montag. Meiner Sehnsucht folgend müsste ich früher das Büro verlassen, mich in die Küche set-zen, ihren Geschichten zuhören, Pläne schmieden. Stattdessen arbeite ich wie immer, kaufe auf dem Rückweg ein und schweige, weil ich müde bin. Ich bin ruppig, plötzlich ist mir alles zu viel, und ich erinnere mich daran, dass ich kein guter Zeitteiler bin. Meist erledige ich etwas nebenher. Bewundere Gebasteltes einen Moment zu kurz, höre halb zu. Einmal erzählt Martha vom Schlittschuhlaufen, Mädchen gegen Jungs. Sie schildert ausführlich, wer mit wem gekämpft hat. Sie erzählt immer weiter, bricht ab: Ich glaube, es interessiert dich nicht, Mama? Eine schlimme Frage, doch, sage ich, schon. Ich fühle mich ertappt.
Mein Verhältnis zu den Kindern ähnelt einer leidenschaftlichen Affäre. Ich vermisse und verlange sie. Halte ich sie in den Armen, habe ich bald genug. Ich schneide dann Zwiebeln. Hänge Wäsche ab oder kontrolliere den Posteingang. Ich weiß, anderen Eltern geht es genauso. Wir teilen schließlich keinen Termin, sondern das Leben.
Aber als Teilzeit-Mutter habe ich weniger Zeit zu vergeuden. Ob ich mich später um die geteilte Zeit gräme? Es wie viele Sterbende bereue, mich nicht intensiver, bedingungsloser den Kindern gewidmet zu haben? Du nimmst mir die Hälfte ihrer verbleibenden Kindheit, sagt Jan, als ich ausziehe. Er hat Recht. Wir verlieren beide und hoffen, dass unsere Töchter gewinnen. Dass wir ihnen Eltern bleiben wie bisher. Vielleicht ein wenig aufmerksamer, das nehme ich mir vor.
Illustration: Grace Helmer