Welchen Inhalt der Brief hatte, weiß ich nicht mehr. Wohl aber, dass er mich als eheflüchtig anklagte. Zeilen wie aus einem Gerichtsurteil, die Jan ablas. Nachdem er fertig war, steckte er die Papiere in seine Tasche, die neben seinem Stuhl stand. Wir schwiegen. Ich schaute den Mann an, der rechts von mir saß, Psychologe und Mediator, sollte ich dazu jetzt etwas sagen? Mich rechtfertigen?
Der Mann stand auf und malte mit breitem Edding auf ein Flipchart. Das sind Sie als Paar, sagte er und zog Kreise um unsere Namen, das sind Sie als Eltern, ein anderer Kreis, eine andere Ebene. Draußen lag Schnee, ein bisschen davon noch unter meinem Schuh, er sickerte in den Industrieteppich, der grau, blau, nichtfarben war. Zweieinhalb Jahre liegt dieser Termin zurück, seitdem haben wir oft auf Flipcharts geschaut.
Haben Ebenen betrachtet, die in der Wirklichkeit schwer einzuhalten sind. Neue Namen sind dazugekommen, neue Kreise, die sich überlappen, inzwischen sind wir ein kompliziertes System. Wir nennen es Familie und versuchen, uns alle in einen großen Kreis zu zwängen, indem wir zusammen Feste feiern, Ausflüge machen, reden. Die meiste Zeit schaffen wir das ohne einen Vermittler. Wir sind ehrlich zueinander, manchmal brutal offen. Uns eint der Wille, es unseren Kindern möglichst leicht zu machen. Sie sollen unbeschwert wechseln können zwischen ihren Eltern, sehen, dass wir uns wertschätzen, der eine mit der Lebenswelt des anderen einverstanden ist. Dafür hängen wir uns mächtig rein. Bis es weh tut.
Wir verlieren die Orientierung in diesem Kreis, der eigentlich aus mehreren besteht. Manchmal, an einem Tisch sitzend mit Jans Patchworkfamilie, fühle mich wie ein verwandtschaftliches Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit. Geduldet, bis es Zeit ist nach Hause zu gehen, ist ja schon zehn. Mir verrutscht dann der Mut, mein Blick verdunkelt sich. Ich vereinzele zwischen meinen Töchtern, wähne mich übergangen. Es ist nur ein Moment, ich könnte ihn ignorieren und doch weiß ich, weiß Jan, er würde sich festsetzen wie Rost.
Deshalb lassen wir ab und zu einen dritten Menschen vermitteln. Ich erzähle dann von schlechter Kommunikation und achtlosen Sätzen, heimlich auf Fürsprache hoffend. Sie bleibt aus. Niemand erklärt Sie zu einem Überbleibsel, sagt der Mediator, das machen Sie schon selbst. Er fragt: Warum muten Sie sich so viel zu? Nur indem wir uns abgrenzen, können wir eine Familie sein, erklärt er und zieht am Flipchart Kreise nach, die einmal für sich standen. Jeder breite Strich ein Abschied, so war es, so ist es nicht mehr – aber es könnte etwas werden. Ich schwitze, die Vergangenheit strengt mich an wie Sport. Sie kümmert mich wie ein verlorenes Turnier. Draußen eine Umarmung, wir bedauern gemeinsam, lachen und, das Kostbarste fast, wir beginnen uns zu vergeben.
Illustration: Grace Helmer