Creolen sind politisch

Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez bringt Präsident Trump zur Weißglut und schafft daneben noch etwas Bemerkenswertes: Sie macht Politik ohne Hosenanzug, würdigt mit ihrer Kleidung große Frauen – und wenn sie dafür auf Twitter angegriffen wird, reagiert sie äußerst souverän.

Die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez

Fotos: Getty

Dass Doppelnamen noch einmal ihren Heyday erleben würden, hätte man zu Anfangszeiten von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht gedacht. Aber jetzt gibt es einen Haufen Internetnutzer, deren Aufmerksamkeitsspanne nicht weiter als ein paar Buchstaben reicht, und deshalb auch jede Menge plakative Akronyme. AKK, A-Rod, J. Lo und natürlich: AOC.  

Die 29-jährige Alexandria Ocasio-Cortez ist als jüngste und forscheste Kongressabgeordnete sowieso schon die am meisten diskutierte US-amerikanische Politikerin nach dem POTUS (President of the United States). Sie fordert einen »Green New Deal« und bezeichnet die Auffanglager für illegale Flüchtlinge als Konzentrationslager. Womöglich wird sie aber noch für eine andere Zäsur in die Wikipedia-Geschichte eingehen, nämlich für eine neue Form von »Power Dressing« in der Politik, jenseits des ewigen Hosenanzugs (R.I.P.).  

Als sie vor ziemlich genau einem Jahr den Wahlkreis Queens/Bronx gewann, trug sie bei der Wahlparty ein weißes Hemd und einen beigefarbenen Rock. Sonst ist sie häufig in Kleidern zu sehen mit sogenannten »Cap Sleeves«, eng auf den Schultern liegenden Flügelärmeln, die softe Version der »Power Shoulder« (und damit Captain Marvel übrigens nicht unähnlich).  

Als AOC eingeschworen wurde, wählte sie doch mal einen Anzug, allerdings komplett in Weiß mit goldenen Creolen und knallrotem Lippenstift. Wer sich fragte, was sie sich dabei gedacht hatte, brauchte nur in ihrem Twitter-Account nachzulesen. Die Farbe war eine Hommage an all die Wegbereiterinnen vor ihr, von Suffragetten bis Shirley Chisholm, die erste schwarze Kongressabgeordnete, die ebenfalls Weiß trugen. Lippen und Ohrringe hingegen seien von Sonia Sotomayor inspiriert gewesen, schrieb AOC, die erste Richterin mit lateinamerikanischen Wurzeln, die noch unter Obama 2009 angewiesen worden war, lieber farblosen Nagellack statt roten zu tragen – und diesen Rat geflissentlich ignorierte. AOC selbst twitterte: »Nächstes Mal, wenn jemand Bronx Girls auffordert, ihre Creolen abzulegen, können sie einfach sagen, sie kleiden sich wie eine Kongressabgeordnete.«

Tatsächlich wuchs AOC teilweise in der Bronx auf. Die Geschichten, dass ihre Mutter putzen ging, die Tochter sie manchmal begleitete, vor ihrer Wahl als Kellnerin arbeitete und für den Umzug nach Washington auf ihren ersten Paycheck warten musste, kennt mittlerweile jeder. Ein Journalist postete im November deshalb ein Foto von ihr, auf dem sie von hinten mit einem gut geschnittenen dunkelblauen Jackett zu sehen war, über dem Arm einen ebenfalls dunklen Mantel. Caption: »Ich sag euch was: So ein Jackett und Mantel sehen für mich nicht nach jemandem aus, der nicht über die Runden kommt.« Ganz falscher Kommentar an die ganz falsche Adresse. AOC konterte via Twitter: »Würde ich mit einem Sack hier einlaufen, würden sie lachen und mich von hinten fotografieren. Wenn ich meine besten Sachen aus dem Sale tragen, lachen sie und fotografieren mich von hinten.«

Es ist die gleiche Logik wie bei Sawsan Cheblis Rolex: Dass Menschen, die aus einfachen Verhältnissen kommen und plötzlich Geld verdienen, ihre Identität verraten, wenn sie sich die gleichen Dinge leisten, auf die reiche Menschen quasi ein Geburtsrecht haben. AOC weiß, dass jede ihrer Bewegungen genau beobachtet wird. Sie vermisse ihre Jogginghose, stand im Time Magazine. Sie spielt das Spiel mit, aber sie sieht nicht ein, es nach den alten Regeln zu spielen. Sie sagt, was sie denkt, und sie trägt, was sie will. Wie übrigens auch die drei anderen Neulinge im sogenannten »Squad« und Michelle Obama, die mit ihrer Garderobe für fast so viele Furore sorgt wie mit ihrem Bestseller-Buch. Schwer vorstellbar, dass sie zu den Blümchenkleidern mit halben Ärmeln aus ihrer ersten FLOTUS-Periode (First Lady of the United States) zurückkehrt, falls sie doch noch in die Politik einsteigt.  

Das mögen Äußerlichkeiten sein, aber die könnten durchaus dazu beitragen, mehr junge Wähler für Politik zu interessieren – und dann eben auch wieder für Inhalte. TeenVogue jedenfalls, früher nicht unbedingt für sozialistische Themen bekannt, begleitet nicht nur AOCs »Beauty Routine«, sondern veröffentlicht neuerdings auch Texte wie »How I can critique capitalism — even on an iPhone«, »Who is Karl Marx — meet the anti-capitalist scholar« oder »Four big takeaways from Bernie’s speech on democratic socialism«.  

Was für manche befremdlich sein mag: AOC postet nicht nur darüber, dass man mit dem Geld für den Grenzwall kostenlose Früherziehung finanzieren könnte, sie postet tatsächlich auch den Modellnamen ihres roten Lippenstifts. Dass Ursula von der Leyen twittert, welches Haarspray sie benutzt? Undenkbar. Allerdings reagiert AOC auch auf Posts von Chrissy Teigen zu irgendwelchen Knoblauch-schälen-Videos. Wahrscheinlich muss man sich daran gewöhnen, dass bestimmte Leute Social Media so verinnerlicht haben, dass sie Stream-of-Consciousness-mäßig einfach alles rausgeballern. Und weil man das jetzt natürlich noch wissen will: Der Lippenstift stammt von der Marke Stila und heißt »beso«, spanisch für Kuss. Sicher auch eine Botschaft.  

Typischer Instagram-Kommentar: »AOC – Amazing Outstanding Congresswoman«   
Passender Song: »Let’s Get Loud« (Jennifer Lopez)  
Das sagt der PR-Mann von der CDU: »Gibt’s für AKK vielleicht einen Lippenstift, der ›peaceful‹ heißt?«