»Endlich weiß ich, wofür Brokkoli zu gebrauchen ist!«, kommentierte eine begeisterte Nutzerin auf Tiktok. Allerdings hatte sie dort nicht das neueste Rezept für Broccoli-Sardellen-Farfalle oder einen gesunden grünen Smoothie entdeckt, sondern ein Video zum Trendthema »#broccolifreckles«. Brokkoli-Sprossen? Grüne Punkte? Gesprenkeltes Gemüse?
Tatsächlich geht es dabei um einen Trick für falsche, aber möglichst natürlich aussehende Sommersprossen, bei dem der Bronzer nicht mit einem Pinsel oder Make-up-Schwamm aufgetragen wird, sondern – broccolifreckles eben – mit einem Brokkoliröschen. Klingt erst mal bizarr, leuchtet aber sofort ein, wenn man aus der eigenen beschränkten Beauty-Routine kurz ausbricht und das Phänomen rein zweckmäßig betrachtet: Die Textur dieses natürlichen Applikators ist ja tatsächlich prädestiniert für einen breitflächigen Zerstäubereffekt. Deshalb sehen die Ergebnisse – jedenfalls auf TikTok – auch deutlich besser aus als die zu Pippi-Langstrumpf-Zeiten mit braunem Kajal aufgemalten Pünktchen.
Anders als bei vielen anderen Kosmetik-Trends, bei denen sinnlose Produkte schnell im Müll landen, ist der Brokkoli über den Vorwurf der Meeresverschmutzung durch Plastik erhaben (zumindest solange er nicht eingeschweißt wurde). Und nicht einmal Lebensmittel werden hier verschwendet, denn wenn man will, kann man das Bräunungspuder hinterher sogar abwaschen und den Brokkoli weiterverarbeiten. Wegen deutlicher Druckstellen vielleicht besser im Mixer als im Steamer – aber Rezepte für grüne Smoothies gibt es ja genug im Netz.
65 verschiedene Brokkoli-Beauty-Videos sind mittlerweile auf Tiktok zu finden, die laut People Magazine über drei Millionen Mal angeklickt wurden. Trotzdem ist nicht davon auszugehen, dass jetzt plötzlich drei Millionen Menschen weltweit mit unnatürlich natürlichen Sommersprossen auf der Nase durch die Gegend laufen. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben sich die meisten Leute das, wie so vieles auf Social Media, eher unter dem Belustigungsaspekt »Sachen gibt’s…/Leute gibt’s…« angeschaut und nicht gleich nachgemacht. Genau deshalb gibt es ja so viele solcher Videos: Je bizarrer, desto größer die Aufmerksamkeit. Jede Wette, dass in den Badezimmern dieser Welt bereits fieberhaft Experimente mit Roter Bete als Rouge laufen – Sellerie jedenfalls wurde von findigen Influencerinnen längst zum Lockenwickler umfunktioniert.
Manche scheinbar absurden Trends werden allerdings tatsächlich nachgemacht. Die Komikerin Celeste Barber veralberte auf ihrem Instagram-Account kürzlich den viralen »Blush Trend«, bei dem roter Lippenstift um Augen und Stirn aufgetragen und dann mit Concealer »verblendet« wird. Bei Barber blieb erwartungsgemäß nur tiefrote Kriegsbemalung übrig – die meisten Zwölfjährigen sind dagegen durch Youtube-Tutorials längst halbe Visagisten und kriegen solche Sachen tatsächlich hin. Ebenfalls große Einschalt- und Nachmachquoten erreichten die Trends »Cold Girl Beauty« (rote Wangen und rote Nase als wäre man gerade aus der Kälte gekommen), »Crying Girl« (fast dasselbe) oder »Mewing« (Zunge in einer bestimmten Position am Gaumen halten für mehr Kieferkontur und weniger Doppelkinn).
Wer jetzt denkt: Wer heute schön sein will, tut ganz schön bescheuerte Dinge – tatsächlich stellen vor allem Frauen schon ziemlich lange absurde Sachen an, um einen bestimmten Schönheitsstandard zu erreichen. Weil Queen Elizabeth I. für ihre royale, fast geisterhaft geschminkte weiße Haut bekannt war, ließen sich angeblich Scharen von Frauen Blut abzapfen oder Blutegel auflegen, um die gleiche Noblesse tragen zu können. Zur viktorianischen Zeit soll der »Tuberkulose-Look« mit roten Lippen und ebenfalls sehr blasser Haut (und ultradünner Taille) derart angesagt gewesen sein, dass manche Frauen sich freiwillig ansteckten. Seltsam eigentlich, dass immer nur von »Fashion Victims« statt von »Beauty Victims« die Rede ist.
Vielleicht kommt ja demnächst mal der Social-Media-Trend auf, in dem lauter Dinge gezeigt werden (Doktorarbeit schreiben, Weltreise machen, Wohnung renovieren...), die man in der Zeit geschafft hat, die man sonst mit Beauty-Tutorials oder lustigen Videos von sich beim Schminken verbracht hat.
Typischer Instagram-Kommentar: »Bio-Brokkoli? Oder normaler?«
Das sagt die Kosmetikerin: »Das kommt mir nicht in den Salon!«
Das sagt der Boyfriend: »Du riechst heute irgendwie anders«