Ambition und Vorurteil

Billie Eilish lässt sich für die britische Vogue in Unterwäsche ablichten, die sehr beige ist. Den Farbton mit dröger Rentnerkluft zu assoziieren – das war einmal. Wie der Blick auf andere berühmte Beige-Trägerinnen zeigt, steht die Farbe für Ehrgeiz, Eleganz und den Wunsch nach Distinktion.

Foto: Screenshot Instagram/britishvogue

Jetzt, wo die Welt zwei Tage Zeit hatte, das mit der Corsage und den Strapsen und überhaupt dem erstmals richtig zur Schau gestellten Körper von Sängerin Billie Eilish zu verdauen, können wir uns ja langsam diesem anderen interessanten Detail auf den Vogue-Bildern widmen, die in Rekordzeit viral gingen. Genau betrachtet ist dort nämlich gar nicht so viel nackte Haut zu sehen, sondern vor allem: sehr viel Beige.

Strümpfe, Unterwäsche, Schuhe, Latex-Handschuhe, Mantel, Rock, Make-up, sogar die Tapeten im Hintergrund – alles changiert irgendwo zwischen Maggi-Rahmsauce und Werther's Original. Ein Farbspektrum, das jenseits vom gut sortierten Farrow-& Ball-Fachhandel gemeinhin unter »Beige« zusammengefasst wird und im Vergleich zu anderen Tönen traditionell nicht den besten Ruf genießt. In englischen Wörterbüchern taucht »drab«, deutsch »eintönig«, ganz offiziell als Synonym auf, hierzulande galt es lange als die inoffizielle Rentnermontur schlechthin. Ein Klischee, das aber eigentlich längst passé ist, weil die neue Generation der Silver Surfer eben weder farblich noch sonst wie vorhat, diskret von der Bildfläche zu verschwinden. Beige sind da höchstens noch die orthopädischen Einlagen in den neonfarbenen Sneakern.

Trotzdem, wenn eine 19-jährige Pop-Sensation, die bislang grellgrün-schwarze Haare hatte und betont weite, gern glitzernde oder logobedruckte Sachen trug, für die Promo zum neuen Album plötzlich auf Beige setzt, hat das etwas zu bedeuten. Und es dürfte mehr dahinter sein, als die Farbe zum ebenfalls neuen Platinblond passend gewählt zu haben.

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Wen die Bilder spontan an diese andere Pop-Sängerin erinnern, die 1990 mit puderfarbenem Korsett inklusive Spitzen-BH und Strapsen durch die Gegend turnte – die Inspiration für das Fotoshooting war angeblich eben nicht Madonna, sondern eher der Look von Pin-up-Ikone Betty Brosmer aus den Fünfzigern. Aber Madonna ist hier womöglich dennoch eine gute Referenz, zumindest der Titel ihrer dazugehörigen Tour damals: »Blond Ambition.«

Gut 30 Jahre später dürften wir es nämlich mit einer »Beige Ambition« zu tun haben. Und dabei geht es nicht mehr um das Streben nach Sex-Appeal, Provokation und letztlich Ruhm. Beige scheint in seinem Anspruch komplexer. Die Farbe gilt in der jüngeren Vergangenheit keineswegs mehr als dröge, sondern eher als todschick, luxuriös und betont zeitlos. Der britische Designer Kim Jones zeigte bei seiner ersten Kollektion für Fendi Ende Februar extrem viele dieser Schattierungen, um den »intellektuellen«, unabhängigen Frauen der italienischen Marke zu huldigen, wie er erklärte. Und auch wenn natürlich nie ein Designer öffentlich sagen würde, er wolle vor allem die unterbelichtete Klientel ansprechen, liegt hier womöglich ein Schlüssel.

Beige scheint für Frauen gemacht, die über den Dingen stehen. Die den Rest eh schon erreicht haben und nun nach Höherem streben. Grace Kelly war eine legendäre Beige-Trägerin, ebenso Catherine Deneuve, das russische Supermodel Irina Shayk und Meghan Markle lieben Beige, Angelina Jolie ließ sich Anfang des Jahres in ihrem Garten in L.A. von Kopf bis Fuß in beigefarbenen Sachen fotografieren, übrigens ebenfalls für die britische Ausgabe der Vogue. Very british ist die Farbe natürlich sowieso. Im Burberry-Laden auf der Londoner Regent Street finden sich in der Inneneinrichtung ganze 19 »Shades of Beige«. Wenn das nicht schon phonetisch viel gehaltvoller klingt als »50 Shades of Grey.«

Beige muss man sich also leisten können wollen. Entsprechend erzählt Eilish im dazugehörigen Interview davon, sich freizumachen von Konventionen, sich alles erlauben zu können und nichts entschuldigen zu müssen, schon gar nicht gegenüber Männern. Außerdem spricht Eilish ihr Erwachsenwerden an, was ebenfalls zur Farbwahl passt: Beige mag keine Farbe des hohen Alters mehr sein, aber mit Sicherheit auch keine der Jugend, sie hat viel mehr etwas sehr Weibliches, Warmes an sich. Statt der Neutralität, von der in der Farbtheorie immer die Rede ist, steckt in Beige womöglich auch ein sehr eleganter, feministischer Stinkefinger.

Was auch immer von Eilishs Subtext zum neuen Album da draußen ankommen sollte, der Absatz von cremefarbener Wäsche, Nude-Pumps und Burberry-Trenchcoats dürfte in den kommenden Wochen sprunghaft ansteigen. Nicht zu vergessen die passende Wandverkleidung: Hätte die britische First Lady Carrie Symonds, Frau von Boris Johnson, doch bloß nie diese goldenen Tapeten für die Wohnung in Downing Street Number 10 bestellt, über die sich die ganze Insel gerade aufregt. Total antiquierte Ambition. Beige wär’s gewesen!

Wird auch getragen von: Angelina Jolie, Irina Shayk, Hailey Bieber
Typischer Instagram-Kommentar: »Beige ist keine Farbe, Beige wird’s sowieso.«
Passender Song: »idontwannabeyouanymore« (Billie Eilish)