Wo anfangen? Dieses Wiesn-Wimmelbild trägt fast schon Ali-Mitgutsche Züge, da weiß man gar nicht, wo man zuerst hingucken soll. Auf Boris’ Indian-Summer-Teint? Das Handgelenk-Tattoo seiner Frau Lilly? Beginnen wir, weil es Verona Pooth sicher so gewollt hätte, bei ihr.
Die Bluse wie auch das Dirndl hat die Designerin, wie sie bei bunte.de firmiert, selbst entworfen. »Französische Seidenspitze – hochgeschlossen, aber trotzdem mit Holz vor der Hüttn«, nennt Pooth ihre Kreation, mit der sie sich von den inflationären Dirndl-Trends ein bisschen absetzen möchte. Das ist das eigentliche Dilemma dieser Tage, dass zwar alle einheitlich in Tracht zur Wiesn erscheinen wollen, dann aber natürlich doch nicht aussehen mögen wie all die anderen. Vom amerikanischen Designer-Entwurf bis zu künstlerisch-modernen Interpretationen ist mittlerweile alles vertreten. Kein Wunder, dass die ästhetisch sensiblen Italiener sich immer sofort besinnungslos betrinken müssen, wenn sie auf die Wiesn kommen.
Pooth also greift mit ihrem Entwurf den aktuellen Lingerie-Look in der Mode auf, plus sogar noch den Trend zum viktorianischen Stehkragen. Und weil das zwar alles total durchsichtig, gleichzeitig aber irgendwie hochgeschlossen ist, setzt man das Mieder davor guten Gewissens extra tief an. Rausfallen kann ja mit dem Fliegengitter davor nichts! Das ist wirklich messerscharf kombiniert. Das Ergebnis könnte sogar zur Einführung einer ganz neuen Trachten-Kategorie reichen: Dessous-Dirndl. Da zeigt sich, dass Frau Pooth Anfang der Nullerjahre einmal mit der Marke »Veronas Dreams« als Wäsche-Unternehmerin aktiv war. Gelernt ist gelernt.
Wer genau hinsieht, entdeckt sogar noch ein drittes topaktuelles Styling: »Boxer Braids«, wie sie seit Kim Kardashian gerade überall zu sehen sind. Zwei oben vom Haaransatz an geflochtene Bauernzöpfe. Hat es je einen besseren Anlass gegeben, diesen Trendlook in Deutschland zu etablieren als bei jenem Flechtfrisuren-Contest, zu dem die Wiesn vor ein paar Jahren mutiert ist?
Für Frau Pooth sowieso: Sie und Kim Kardashian sind nicht nur zwei Schwestern im Geiste – je länger wir auf dieses Bild starren, desto weniger lassen sich die äußerlichen Ähnlichkeiten ignorieren. Nicht zu vergessen: Auch Verona, damals noch Feldbusch, war einmal mit einem großen Popstar verheiratet!
Ebenfalls interessant in diesem barocken Gesamtkunstwerk: die Gestik der weiblichen Akteure. Wenn ein Fotograf sagt, »schaut’s mal her«, kann man heute offensichtlich nicht mehr einfach nur herschauen. Stillleben kriegen keine Likes. In Zeiten von Snapchat und Instagram sind wir so daran gewöhnt, dass noch irgendwas zusätzlich im Bild oder zum Bild passiert, jede Nachricht mit einem lachenden/weinenden/Zunge rausstreckenden Smiley versehen wird – da dürfen jetzt die alten Handgesten wieder rausgekramt werden. Das Victoryzeichen, der Luftkuss – prähistorische, fleischgewordene Emojis quasi.
Boris Becker hat solche Faxen natürlich nicht nötig. Er ist der »Sugardaddy« in diesem Kreis, wie es jemand bei Instagram treffend kommentierte, und für einen solchen genügt es, einfach souverän-schläfrig in die Kamera zu schauen. Emojis überflüssig. Die Maßkrüge sind sowieso schon mit im Bild.
Wird getragen von: Verona Pooth und anderen Spitzenkräften im Boulevard
Typischer Instagram-Kommentar: »Keeping up with the Veronashians«
Das sagt die Wiesn-Bedienung: Tischdeckchen nächstes Mal bitte zu Hause lassen
Foto: Gettyimages / Gisela Schober