Ob es in Italien in naher Zukunft doch noch Neuwahlen geben wird, bleibt unklar. Innenminister Matteo Salvini ist aber trotzdem schon mal in den direkten Nah-, äh, Wahlkampf gezogen. Wahlkampf hat beim Chef der rechten Lega aber wenig mit Podiumsdiskussionen und dem Besuch beim lokalen Geflügelzuchtverein zu tun, sondern gestaltet sich in etwa so wie bei anderen ein ausgedehnter Urlaubstag am Strand.
Zusammen mit seinen Anti-Migrations- und Anti-Europa-Parolen zog er am vergangenen Wochenende durch italienische Strandorte und ließ sich, wie hier auf Sizilien, immer wieder beim Shake-Hands mit Anhängern fotografieren – in Flip-Flops, Badehose und mit freiem Oberkörper.
Gelinde ausgedrückt ist das nicht unbedingt ein Outfit mit größtmöglichem Seriositätsversprechen für jemanden, der sich damit gerade um das höchste politische Amt des Landes bewirbt. Und doch haben sich auch vor Salvini schon verschiedene andere Staatsmänner ganz bewusst mit nackter Brust der Öffentlichkeit präsentiert – allen voran Wladimir Putin. Vom russischen Präsidenten gibt es Oben-ohne-Bilder beim Angeln, beim Reiten, mit einem Gewehr im Arm oder auch beim Bad im eiskalten Seligersee zur Feier des Dreikönigsfestes. Die Botschaft: Ich bin stark, ich bin eiskalt und mein Körper ist es auch. Auch Karl der Große soll mit seinen Verbündeten um die Wette gekrault haben. Arnold Schwarzenegger oder Vitali Klitschko hat ein gestählter Oberkörper möglicherweise sogar den Weg in die politische Karriere geebnet. Die bloßen Brüste dieser Männer stehen als eher primitives Zeichen für Stärke, Wille, Überlegenheit und Selbstdisziplin – Werte, die Salvini bei seinem Touri-Auftritt mit Pläuzchen eher weniger zu vermitteln weiß.
Das Image, dem der Innenminister hier nacheifert, ist eher das vom Familienvater um die Ecke, eingefangen am Samstagvormittag, irgendwo zwischen Autosaugen und Würstchengrillen: Dieser Mann lässt sich gern die Sonne auf den Bauch scheinen, muss sich gelegentlich halbherzig für die Streiche seines Sohnes entschuldigen (dieser hatte sich kürzlich von einem Polizeibeamten auf dessen Jet-Ski zu einer Spritztour ausfahren lassen) und zeigt sich mit Holzkreuz um den Hals betont gottesgläubig (für die »unanständige politische Ausbeutung« katholischer Symbole wurde er bereits von einem italienischen Bischof gerügt). Das Internet hat der »Dad Bod« längst geknackt, jetzt wird sich zeigen, ob sich mit ihm auch nicht einmal feststehende Wahlen gewinnen lassen.
Dass Salvini als volkstümlicher Rüpel in Italien gerade so gut anzukommen scheint (in Umfragen erzielt er Zustimmungswerte von rund 38 Prozent), ist ein Trauerspiel, passt aber zur zunehmend nationalistischen Stimmung im Land. Salvini inszeniert sich als einfachen Mann des Volkes mit ausgeprägtem Sinn für italienische Nationalsymbole (Dolce Vita, Essen, Kirche). Nur für eines dieser Elemente fehlt ihm offenbar die Liebe: den feinen Zwirn.
Wird getragen von: Putin, Dauer-Campern, Autoputzern, Matthias Schweighöfer und Florian David Fitz in »100 Dinge«, Fitnessprolls, Julian Draxler auf der russischen Vogue
Wird getragen mit: Bermudas, Flip-Flops, Goldkettchen, Grillzange, leichtem Sonnenbrand
Trageanlass: Ice Bucket Challenge, Schwimmbad, Junggesellenabschied
Dieser Song passt dazu: »Urlaub in Italien« von Erobique