Ziemlich durchschaubar

Mehr Transparenz wagen, dachten sich offensichtlich die Designer der Label  Lanvin, Saint Laurent und Fendi

Großes Thema letzte Woche von Vogue.com bis Facebook: Ist es »okay«, auf dem Laufsteg nackte Brüste zu zeigen? Und wenn ja, kann man die durchsichtigen Kleider und Blusen auch »IRL«, in real life tragen?

Fragen, die zwar nicht ganz neu, aber hochaktuell sind. Bei den gerade zu Ende gegangenen Schauen für nächstes Frühjahr waren bei Lanvin und Saint Laurent in Paris und bei Fendi in Mailand deutlich Brüste zu erkennen. Sie schimmerten unter transparenten Pussy-Bow-Kleidern, Organza-Blusen und dünn gestreuten Swarovski-Kristallen hervor oder waren, wie bei Saint Laurent, auf einer Seite lediglich mit einem Glitter-Herzchen abgeklebt. Passend dazu waren Kim Kardashian und ihre Schwester Kendall Jenner in den letzten Wochen sichtlich ohne BH unterwegs: Motto #freethenipple.

Kann man alles machen. Aber das Ganze ist natürlich vor allem eines: ziemlich durchschaubar. Wetter geht immer, nackte Haut auch. Irgendwer wird schon drüber reden. Der Effekt ist so alt, dass man augenblicklich in Tiefschlaf verfallen müsste. Stattdessen wurden die Busenblitzer wieder durch so ziemlich jeden Instagram-Account gejagt, der etwas auf sich hält, und in sämtlichen Zeitungen abgedruckt. Mag der Playboy jetzt auf züchtig machen – da draußen jedenfalls ist unterm Shirt die Hölle los.

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Aber gibt es da nicht vielleicht doch noch eine, wo auch immer, verborgene Botschaft? Klar gibt es die. Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit! Zumindest beim neuen Saint-Laurent-Designer Anthony Vaccarello könnte man jedenfalls argumentieren: Er pflegt hier lediglich Traditionen. Denn Yves Saint Laurent war bekanntlich einer der Gründungsväter dieser ganzen »Transparency-International«-Bewegung. Er zeigte durchsichtige Organza-Blusen ohne BH drunter bereits Ende der Sechziger - als Statement zur überfälligen Gleichberechtigung. Warum sollten sich nur die Frauen immer einschnüren müssen? Warum sollten sie nicht auch Smoking tragen können? Knapp fünfzig Jahre ist das jetzt her und man sieht: Wir sind jede Menge Hashtags, aber kaum einen Schritt weiter gekommen. Macht diese Mode jetzt Subjekt? Oder Objekt? Prädikat wertvoll?

Hoffentlich nimmt sich bald irgendein Doktorand des Themas an und klopft all den historischen Nippes einmal auf seinen Beitrag zum Feminismus ab: Janet Jacksons Busenblitzer beim Superbowl, Kate Moss' und ihre blanken Knabenbrüste, Lil Kim's Video-Music-Award-Auftritt 1999 mit, huch!, einem Glitter-Nipple! Wie bei Saint Laurent! Wir wagen schon mal die steile These, dass es nicht allen Aktivistinnen dabei um Freiheit und Gleichberechtigung des Beauvoirschen »anderen Geschlechts« ging.

Bleibt noch die ganz reale Frage zu klären: Kann man diesen Look auch in echt tragen? Wenn man wie die Jenners und Kardashians einen Instagram-Feed zu füttern hat: klar. Alle anderen werden in rund sechs Monaten einmal in den Lanvin-, Saint Laurent-, Fendi- und Gucci-Boutiquen vorbeischauen und nach den aufsehenerregenden Laufstegkleidern Ausschau halten – zum Teil vergeblich. Es handelt sich nämlich in den meisten Fällen um reine »Showpieces«. In der Ladenversion wird bei transparenten Entwürfen meist ein zusätzlicher Layer oder ein halbwegs züchtiges Top eingenäht. Wem das zu unfeministisch ist, dem steht natürlich vollkommen frei, diese Störer wieder zu entfernen.

Wird getragen von: Kendall Jenner, Kim Kardashian und anderen Vorzeige-Feministinnen
Typischer Instagram-Kommentar: Ich sehe was, was du nicht siehst
So könnte die Dissertation zum Thema heißen: #freethenipple – Provokation unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung?

Foto: AP, AFP, Gettyimages