Wie kommst du darauf, dass ich Hip-Hop höre?

Oft passiert es unserer afrodeutschen Autorin, dass Menschen aus ihrem Aussehen Rückschlüsse auf ihren Geschmack und ihre Persönlichkeit ziehen. Dem liegt eine typisch deutsche Variante des Rassismus zugrunde.

Ciani-Sophia Hoeder, 30, kommt aus Berlin und ist Gründerin von RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum.

Ein Kästchen. Ich sollte eines ankreuzen. Ganz einfach. Such es dir aus. Ich stand vor der Bewerbung für einen Masterstudiengang in London. In Großbritannien ist es bei offiziellen Dokumenten üblich, Menschen nach ihrer ethnischen Herkunft zu fragen. Auch die Universitäten haben Kästchen, die sie abhaken müssen, um zu beweisen, dass sie »divers« genug sind. Hier stand ich nun, vor diesem Dokument, welches von mir eine Antwort auf eine Frage verlangte, die so komplex ist, dass dies klitzekleine Kästchen ihr nicht gerecht werden konnte. Die Frage nach der Identität. Meine Mutter ist weiß, mein Vater Schwarz. Ich bin beides. Alles. Manchmal auch nichts.

Als Kind war mein Umfeld sich ganz sicher: Du bist nicht weiß! Das begann mit Lotte, die in der Grundschule entgeistert rief: »Du siehst ja gar nicht so aus wie deine Mutter!« Meine Mutter ist nämlich blond und weiß, ich habe dunkle Afrohaare und eine dunklere Haut. Lotte war nicht die letzte. Man würde meinen, dass diese unverblümte Direktheit mit den unschuldigen Kinderjahren enden würde, doch nein, auch weiterhin begegne ich alten und jungen Menschen, die von mir teilweise verwirrt, fast schon erbost erfahren möchten: »Warum siehst du nicht so aus wie deine Mutter?« Über viele Jahre bemühte ich mich, kostenlosen Biologieunterricht zu erteilen, von der Frage rezessiver und dominanter Gene bis hin zum eigentlichen Liebesakt. Es war verstörend und half nichts. Mein Umfeld zog eine klare Trennlinie: Du siehst nicht aus wie deine Mutter – also bist du auch nicht wie sie.

Nicht nur das Umfeld macht die Identitätsfrage für afrodeutsche Menschen so schwierig. Hinzu kommt noch die deutsche Obsession mit der Frage »Woher kommst Du« – einer Frage, die meiner Erfahrung nach in anderen Ländern viel seltener gestellt wird. Dahinter steckt die Annahme, dass deutsch automatisch weiß bedeutet. Wenn ich in London erzählt habe, dass ich aus Berlin komme, nickten alle und sagten »cool«. Abgehakt, es ging mit anderen Themen weiter. In Deutschland reicht das nicht. Da begnügt man sich kaum je mit der Antwort »Berlin«, denn in Wahrheit lautet die Frage: Warum bist du Schwarz? So direkt möchte das niemand fragen, man ist ja lediglich interessiert und nicht rassistisch, subtil fragt man es aber doch. Ein gutes Beispiel für den ganz alltäglichen Rassismus, dem Schwarze Menschen auch von scheinbar wohlmeinender Seite ausgesetzt sind.

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In Deutschland werde ich also als Schwarz wahrgenommen. Dem liegt das gesellschaftliche Konstrukt zugrunde, dass weiß die Norm und jede Nuance dunkler automatisch nicht-weiß ist. Denn keine*r hält seinen oder ihren Arm neben meinen. Diese Person würde dann schockiert feststellen, dass ich gar nicht besonders dunkel bin, sondern das es mein gesamtes Aussehen ist, dass mich Schwarz wirken lässt: die dunklen Haare, Augen, die Afrolocken - das Gesamtpaket eben. In den USA werden peniblere Trennlinien gezogen. Da bin ich nicht Schwarz, sondern »mixed«, in Südafrika »colored«. All das ist nicht besser oder ausgesprochen identitätsstiftend, allerdings gibt es mehr Kästchen.

Meine Identität wird an meiner Hautfarbe und meinen Afrolocken festgemacht. So wollte ich einst Tagesschausprecherin werden, doch mein Professor war sich sicher: Du passt zu MTV

In den Achtzigerjahren entstand die erste Initiative für Schwarze Menschen in Deutschland, kurz ISD. Sie widmet(e) sich den großen Fragen, wie Identität, Alltagsrassismen, radikalerem Rassismus - allem. Ein Resultat dieser Arbeit war der Begriff »afrodeutsch«, der dabei helfen soll, die Dualität in den Biografien, in den Familiengeschichten und in den eigenen Identitäten zu resümieren. Obwohl es diesen Begriff nun seit Jahrzehnten gibt, hat er sich meiner Erfahrung nach noch nicht wirklich weit verbreitet. Denn weiterhin werde ich gefragt: Wie nennt man denn nun Farbige? Nicht farbig. Wie nennt man Dunkelhäutige? Naja, wie findest du es, wenn ich dich hellhäutig nennen würde? Es sind kuriose Diskurse, bei denen ich mir manchmal wie eine Pressesprecherin für Schwarzen Identitäten vorkomme. Dieses Thema soll ich bitte umfassend und auf der Stelle erläutern – obwohl es komplex und teilweise auch sehr individuell ist, wie ich aus meiner eigenenen, lange Reise zu meinen Identitäten weiß.

Während ich vor dem britischen Dokument stand und überlegte, bei welchem Kästchen ich nun das Kreuz machen sollte, erkannte ich, dass meine Lehrer*innen, Professor*innen sowie Arbeitgeber*innen stets eine klare Vorstellung davon gehabt hatten, wer ich bin – lediglich aufgrund meines Aussehens. Denn meine Identität wird an meiner Hautfarbe und meinen Afrolocken festgemacht. So wollte ich einst Tagesschausprecherin werden, doch mein Professor war sich sicher: Du passt zu MTV. Wenn ich meiner Arbeitskollegin gegenüber erwähnte, dass ich mal wieder Lust hätte, tanzen zu gehen, sagte sie: »Hach, ich hätte auch mal wieder Lust HipHop zuhören.« Woraufhin ich mich zu ihr umdrehte und fragte: »Wie kommst du darauf, dass ich HipHop höre?«

Von Schwarzen Menschen und von Afrodeutschen existiert lediglich ein stereotypes Bild. Wenn man davon abweicht, also beispielsweise lieber Indie als Hip-Hop hört, ist man »nicht typisch Schwarz« oder »so weiß«. Wie vielschichtig Persönlichkeiten sind, wird mit diesem Kastendenken zunichte gemacht. Meine Ethnizität determiniert nicht meine Identität. Das Kästchen verlangt allerdings danach. Die Frage »Woher kommst du?« verlangt danach. Kästchen sind ordentlich, klar, strukturiert. Die Realität ist es nicht.

Wenn ich frei von meiner Sozialisierung und meinen alltags-rassistischen Erfahrungen wäre, wenn es keine sexistischen und rassistischen Darstellungen von Schwarzen Frauen in den Medien gäbe – tja, dann würde mir die Identitätsfrage wohl weitaus leichter fallen. Dann wäre mir klar, welches Kästchen ich ankreuzen muss. Aber weil das nicht die Welt ist, in der wir leben, habe ich am Ende alle angekreuzt.

Glossar:

weiß: Wird kursiv geschrieben, denn weiß meint nicht lediglich den Hautton einer Person, sondern eine gesellschaftlich dominante Machtposition, die mit Privilegien verbunden ist.

Schwarz
: Wird groß geschrieben, da es, ebenso wie weiß, nicht den Hautton einer Person meint, sondern eine Selbstbezeichnung ist, die die politische und gesellschaftliche Positionierung einer Person beschreibt. Das Schwarze Subjekt ist gesellschafts-politisch und strukturell immer untergeordnet. Schwarz umfasst alle Personen(-gruppen) afrikanischer Herkunft.

People of Color
: Ist eine Selbstbezeichnung für unterschiedlichste Personen(-gruppen), die sich als nicht-weiß definieren. Diese können sehr heterogen sein und noch mal andere Selbstbezeichnungen verwenden, zum Beispiel:

Asian: Meint zumeist Personen mit ostasiatischem Erbe.
Desi: Ist eine Selbstbezeichnung von Personen mit südasiatischem Erbe.
Brown: Meint zumeist Personen mit südostasiatischem Erbe.
Latinx: Ist ein Sammelbegriff für Personen mit süd-/mittelamerikanischem Hintergrund. Die Endung x versucht, die Binarität (männlich/weiblich) der spanischen Sprache aufzubrechen.