Je näher Mann oder Frau an der weißen Schönheitsnorm ist, desto leichter wird diese Person es im Leben haben. So lautet eine traurige Gewissheit der Schwarzen Community. Das hat nicht ausschließlich mit der Hautfarbe zu tun, sondern es handelt sich auch um phänotypische Merkmale wie die Nasengröße und Nasenform, die Haartextur oder die Körperform. Je heller du als Schwarze Person bist, desto wahrscheinlicher fühlen sich weiße Menschen mit dir wohl. Und das bringt dir einen bevorzugteren Zugang zur weißen Mehrheitsgesellschaft, sei es bei einer Polizeikontrolle, im juristischen System, Aufstiegschancen beim Job oder, wie wir es in den letzten Wochen erlebten, wenn in Deutschland über Rassismus in den Medien debattiert wird.
Für dieses Phänomen gibt es einen Begriff: Colorism. Dieser wurde vermutlich erstmals 1982 von der Pulitzer-Preisträgerin Alice Walker geprägt. Walker definierte den Begriff damals als die »vorurteilsbehaftete oder bevorzugte Behandlung von Menschen gleicher Race allein aufgrund ihrer Hautfarbe«. Bei Colorism handelt es sich nicht um Rassismus, obwohl er daraus entstanden ist. Um das greifbarer zu machen, gibt es ein gutes Beispiel von Kimberly Jade Norwood von der Washington University. Rassismus ist, wenn ein Unternehmen sich weigert, Schwarze Menschen einzustellen. Colorism ist, wenn ein Betrieb die Einstellung von Schwarzen Menschen nicht ausschließt, aber zwei Kandidat*innen mit einer gleichen Qualifikation vor sich hat und sich letztlich für die Schwarze Person mit helleren Hautton entscheidet. Wobei Statistiken zeigen, dass das auch dann passiert, wenn die hellere Person einen schlechteren Abschluss hat.
Es handelt sich bei Colorism um eine Farbhierarchie, die nicht nur die Schwarzen Communities betrifft. Die Soziologin Margaret Hunter schreibt in ihrem Buch »Race, Gender and the Politics of Skin Tone«, dass »mexikanische Amerikaner*innen mit heller Haut mehr Geld verdienen, mehr Ausbildungsjahre absolvieren, in integrierteren Stadtvierteln leben und eine bessere psychische Gesundheit haben als darkskin mexikanische Amerikaner*innen« (darkskin heißt übersetzt so viel wie »mit dunklerer Haut«). Es ist also ein gesamtgesellschaftliches Problem. Walker stellte auch fest, dass Colorism bei Frauen noch massiver ist als bei Männer, da Frauen noch mehr unter Schönheitsaspekten betrachtet werden.
Es gibt nicht nur Unterschiede zwischen Schwarzen Menschen, sondern auch Meinungsverschiedenheiten
In Deutschland war das Thema Rassismus nach der Ermordung von George Floyd enorm präsent in den Medien. Die Expert*innen, mit denen gesprochen wurde, hatten überproportional eines gemeinsam: Sie waren lightskinned, hatten also hellere Haut. Wenn in Deutschland über Rassismus gesprochen wird, dann meist aus der Perspektive von Menschen, die einen weißen Elternteil haben oder zwei Schwarze Eltern und lightskinned sind. Ihre Erfahrungen werden dabei als allgemeingültig angesehen, dabei gibt es nicht nur Unterschiede zwischen Schwarzen Menschen, sondern auch Meinungsverschiedenheiten.
Das Tückische an Colorism ist, dass es einen großen Graben in die Schwarze Community reißt. Auch und besonders hier in Deutschland, wo das Thema in den sozialen Netzwerken gerade hochkochte durch einen Beitrag von Aaliyah Bah-Traoré, die seit Jahren Instagram nutzt, um auf Rassismus aufmerksam zu machen. Bah-Traoré beklagte, dass deutsche lightskinned Frauen ihre eigenen Privilegien nicht kritisch hinterfragten, damit unsolidarisch und egoistisch wären und die Arbeit von darksinned Frauen unsichtbar machten.
Ein Beispiel für diese übersehene Gruppe ist Nana Addison. Sie hat ohne finanzielle Hilfe die größte deutsche Messe für »Afro Lifestyle, Hair & Beauty« geschaffen, die »Curl Con«, um die Schwarze Community in der Bundesrepublik zu vernetzen. 700 Teilnehmer*innen kamen zusammen, das ist mehr als beeindruckend, das ist fast schon revolutionäre Pionierarbeit. Trotzdem wird über sie kaum bis überhaupt nicht in den Zeitungen oder im Fernsehen berichtet.
Wenn es zu wenig »Platz am weißen Tisch« gibt – ob in Redaktionen oder Führungsetagen – und dieser Menschen vorbehalten ist, die den weißen Normen am nächsten sind, verhärtet das rassistische Strukturen. Es führt auch zu Reibereien, Fingerzeigen und schmerzhaften Prozessen. Statt gemeinsam gegen das System Rassismus anzugehen, fetzen sich Menschen, die allesamt von Rassismus betroffen sind, untereinander.
Ich wurde kürzlich für einen Preis vorgeschlagen, für den, wie sich zeigte, aber nur lightskinned Frauen nominiert waren. Darum bin ich und sind andere von der Nominierung zurückgetreten. In der folgenden Debatte las ich auf einen Kommentar auf Instagram, der in etwa so lautete: »Ihr möchtet zu viel auf einmal! Freut euch doch, dass erst einmal einige Schwarze Menschen überhaupt dran kommen.«
Dieser Satz zeigt, wie internalisiert Rassismus in Deutschland ist – wie Menschen, die selbst betroffen sind, Rassismus selbst praktizieren. Ein Prozess, der fast schon an Kannibalisierung erinnert und am Ende nur eines unterstützt: Rassismus.
Glossar:
weiß: Wird kursiv geschrieben, denn weiß meint nicht lediglich den Hautton einer Person, sondern eine gesellschaftlich dominante Machtposition, die mit Privilegien verbunden ist.
Schwarz: Wird groß geschrieben, da es, ebenso wie weiß, nicht den Hautton einer Person meint, sondern eine Selbstbezeichnung ist, die die politische und gesellschaftliche Positionierung einer Person beschreibt. Das Schwarze Subjekt ist gesellschafts-politisch und strukturell immer untergeordnet. Schwarz umfasst alle Personen(-gruppen) afrikanischer Herkunft.
People of Color: Ist eine Selbstbezeichnung für unterschiedlichste Personen(-gruppen), die sich als nicht-weiß definieren. Diese können sehr heterogen sein und noch mal andere Selbstbezeichnungen verwenden, zum Beispiel:
Asian: Meint zumeist Personen mit ostasiatischem Erbe.
Desi: Ist eine Selbstbezeichnung von Personen mit südasiatischem Erbe.
Brown: Meint zumeist Personen mit südostasiatischem Erbe.
Latinx: Ist ein Sammelbegriff für Personen mit süd-/mittelamerikanischem Hintergrund. Die Endung x versucht, die Binarität (männlich/weiblich) der spanischen Sprache aufzubrechen.