Ich will euer Mitleid nicht

Der gewaltsame Tod von George Floyd bestürzt die Welt. Doch wie nachhaltig ist diese Anteilnahme? In der ersten Folge ihrer neuen Kolumne erklärt Ciani-Sophia Hoeder, warum die Hoffnung auf Besserung sie allmählich müde macht.

Schwarze Frauen gedenken in Minneapolis dem getöteten George Floyd.

Foto: Reuters

Rassismus ist keine Neuigkeit. Er ist ein strukturelles Problem, das wir nicht mit dem Reposten eines schwarzen Bildes lösen. Und trotzdem hat sich in den vergangenen Tagen etwas verändert. Die Anteilnahme, die Berichterstattung und die Gespräche fühlen sich anders an. Ehrlicher und empathischer. Ja, es war irgendwie schon ein monumentales Gefühl, als ich durch meinen Instagram-Feed scrollte und sich eine schwarze Kachel an die nächste reihte, oder als ich in mein E-Mail-Postfach sah, das übersät von Nachfragen war. Hoffnung keimt auf. Aber mit der Hoffnung auch die Sorge: Wird es vorbei sein, sobald die Nachrichten sich auf etwas anderes fokussieren? Kommt nach dem #blackouttuesday einfach ein normaler Mittwoch? Irgendein Donnerstag? Irgendein Freitag? Rassismus existiert weiter. Was kommt nach dem Reposten und der ersten Welle der Berichterstattung?

In dieser neuen Kolumne möchte ich von Situationen aus meinem Leben berichten, Erfahrungen schildern, aber auch aufzeigen, was alles zu tun ist und wo wir beginnen müssen, um strukturellem Rassismus endlich entschlossen entgegenzutreten. Willkommen bei mir.

»Du weißt doch, wie er das meint!«, ist ein Satz, der mir zugeraunt wird, sobald irgendjemand einen Witz über Schwarze Menschen erzählt oder eine Phrase, etwas, das man doch schon immer so gesagt hat. Ich habe ihn auf dem Schulhof gehört, wenn ein Mitschüler meine Haare kommentiert hat, ich habe ihn im Seminarraum an der Uni von einer Kommilitonin gehört, nachdem mein Professor mich als »farbige Dame in der dritten Reihe« bezeichnet hatte. Von den Eltern meiner Freund*innen, von Lehrer*innen. Überall. Er wird immer dann genutzt, wenn wieder jemand versucht, zu verschleiern, dass es nicht nur einzelne Rassist*innen gibt. Sondern dass wir in einem rassistischen System leben. Denn das, was Ahmaud Arbery, Breonna Taylor und George Floyd tötete, waren nicht einzelne Menschen. Es waren Teile dieses rassistischen Systems. In dem man sowas eben immer schon so gesagt hat.

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Dieses System zeigt sich in der Frage: »Woher kommst du denn wirklich?«, in Sätzen wie: »Wir mögen es nicht, wenn es in unserem Hausflur nach Gewürzen riecht« oder dem Bedürfnis, die Straßenseite zu wechseln, wenn man eine Schwarze Person sieht. Es zeigt sich darin, dass ein*e junge*r schwarze*r Schüler*in bei gleichen Noten wie seine weißen Mitschüler*innen keine Gymnasialempfehlung erhält. Das alles nennt man Alltagsrassismus. Wenn man es nicht so nennt, bagatellisiert man die Diskriminierung. Dann normalisiert man Rassismus. Dass Schwarze Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe getötet werden, ist der traurige Endpunkt dieses Systems.

»In a racist society, it is not enough to be non-racist, we must be antiracist«, erklärte Angela Davis. In einer rassistischen Gesellschaft reicht es nicht, kein Rassist zu sein - wir müssen Antirassisten sein. Ich kann Rassist*innen nicht abbringen von ihrer Ideologie, dass sie aufgrund ihrer weißen Hautfarbe anderen Menschen überlegen seien. Das ist ein Wahn. Und dieser Wahn wird unterstützt und verstärkt von denen, die wegsehen. Schweigen ist Zustimmung. In Deutschland haben wir mit der AfD eine bekennend rassistische Partei im Bundestag – trotz Holocaust. Gewalt gegenüber Schwarzen Menschen ist kein USA-Problem. Rassismus sitzt im Bundestag oder auf dem Fest mit dem Onkel, der das »nicht so gemeint« hat.

Ich bin kein Ding, für das man mal kurzzeitig Mitgefühl hat. Ich bin ein Mensch

Ich bin müde von der Aussicht auf Veränderung, die dann doch wieder nicht kommt. Und es hilft nicht, mit dem Finger auf die USA zu zeigen. Polizeigewalt ist auch in Deutschland rassistisch. Die mutmaßlichen Mörder von Oury Jalloh, der 2005 in einer Zelle in Dessau verbrannte, laufen noch immer frei herum. Aktivist*innen und Organisationen wie »Each One Teach One«, der Initiative »Schwarze Menschen in Deutschland« und »Black Lives Matters Berlin« ist es zu verdanken, dass der Fall überhaupt noch in der Öffentlichkeit ist. Auch Ahmed Amad erlitt im September 2018 in Kleve in einer Gefängniszelle schwere Brandverletzungen. Dort saß er fälschlicherweise, da die Polizei ihn mit einem Mann aus Mali verwechselt hatte. Netzwerke und Aktivist*innen starteten aus diesem Grund den Hashtag #beiunsauch, um auf die Polizeigewalt in Deutschland aufmerksam zu machen. Der Verein »Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland« weist seit Jahren auf Racial Profiling hin, welches in Deutschland rechtswidrig ist, aber zum Alltag der Polizeiarbeit gehört.

»Allein in dieser Gesellschaft zu existieren, ist schon Aktivismus«, sagte meine RosaMag-Kollegin Jena Samura, womit wir bereits in den ewigen Kreislauf des Rassismus tappen. Eine Schwarze Person stirbt. Empörung. Dann die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Es wird diskutiert. Wie bei Maischberger. Wo ursprünglich ausschließlich weiße Personen als Gesprächspartner geplant waren, nach einem Shitstorm wurde in letzter Sekunde noch die Professorin Priscilla Layne eingeladen – und wieder wird das Problem nicht an der Wurzel angepackt. Ich bin müde von der Hoffnung.

»Racism isn’t getting worse, it’s getting filmed«, hat der Schauspieler Will Smith gesagt: Der Rasissmus wird nicht schlimmer, er wird nur jetzt eben gefilmt. Wie lange kann man dabei noch wegschauen? Inwiefern hilft es, eine Talkrunde zu veranstalten, in der eine zugeschaltete schwarze Professorin ein paar Fragen beantwortet? Inwiefern hilft es, ein schwarzes Bild auf Instagram zu posten? Eine verführerische Bestätigung, eine Handlung von zirka zwei Minuten. Aber Rassismus wird man nicht mit einem Wisch auf dem Smartphone los. Es ist ein Marathonlauf. Meine Befürchtung ist, dass all das, was wir in den vergangenen Tagen erlebten, ausreicht, damit die weiße Mehrheitsgesellschaft von sich denken kann: So rassistisch sind wir doch gar nicht! Das tut uns doch alles furchtbar leid! Aber ich will euer Mitleid nicht. Das bringt mir nichts, wenn in einer Woche schon das nächste Thema auf der Mitleids-Agenda steht: Rettet den Regenwald! Ich bin keine Nachricht, die mal kurzzeitig Mitgefühl auslöst. Ich bin ein Mensch. Und ich will so leben dürfen, wie ich möchte, und nicht aufgrund meines Aussehens unterdrückt werden. Dauerhaft.

In seinem ersten Kommentar über George Floyds Tod sagte der ehemalige Präsident Barack Obama, die Protestwelle sei »anders als alles, was ich in meinem Leben gesehen habe«, und betitelt die Bewegungen als ein »Erwachen«. Ich würde jetzt echt gerne erwachen. Und ich wünsche mir, dass alle Menschen erwachen. Nicht nur die, die Rassismus jeden Tag am eigenen Leib erleben.

Denn Rassismus ist eine gesellschaftliche Dauerkrise. Er beeinflusst viele Schwarze Menschen und People of Color in ihren Wohn-, Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten, in ihren persönlichen Beziehungen, bei der Polizeikontrolle. Nein, stopp, viel zu kompliziert ausgedrückt. Er tötet sie. Hoffnung macht müde. Und Rassismus tötet.

Glossar:

weiß: Wird kursiv geschrieben, denn weiß meint nicht lediglich den Hautton einer Person, sondern eine gesellschaftlich dominante Machtposition, die mit Privilegien verbunden ist.

Schwarz
: Wird groß geschrieben, da es, ebenso wie weiß, nicht den Hautton einer Person meint, sondern eine Selbstbezeichnung ist, die die politische und gesellschaftliche Positionierung einer Person beschreibt. Das Schwarze Subjekt ist gesellschafts-politisch und strukturell immer untergeordnet. Schwarz umfasst alle Personen(-gruppen) afrikanischer Herkunft.

People of Color
: Ist eine Selbstbezeichnung für unterschiedlichste Personen(-gruppen), die sich als nicht-weiß definieren. Diese können sehr heterogen sein und noch mal andere Selbstbezeichnungen verwenden, zum Beispiel:

Asian: Meint zumeist Personen mit ostasiatischem Erbe.
Desi: Ist eine Selbstbezeichnung von Personen mit südasiatischem Erbe.
Brown: Meint zumeist Personen mit südostasiatischem Erbe.
Latinx: Ist ein Sammelbegriff für Personen mit süd-/mittelamerikanischem Hintergrund. Die Endung x versucht, die Binarität (männlich/weiblich) der spanischen Sprache aufzubrechen.