Vor Kurzem traf ich den liebenswürdigen Kollegen M. wieder. Ich kenne ihn aus jenen Zeiten, als der Journalismus meine Zukunft war. Damals teilte ich als Praktikant das Büro mit ihm.
M. ist älter als ich, schon im Ruhestand. Er erzählte, wie er nach der Mittleren Reife Gedichte und Dramen schrieb und sich dann bei der Zeitung seiner Heimatstadt als Journalist bewarb, ohne genau zu wissen, was das war: ein Journalist. Er absolvierte ein Bewerbungsgespräch, in dessen Verlauf er dem Chefredakteur aus seinem damaligen Hauptwerk vortrug, einem Theaterstück mit dem Titel Ben Hur. Der Chefredakteur sagte erstaunlicherweise, er gebe ihm die Stelle, »aber wenn Sie nicht parieren, schmeiße ich Sie nach einem halben Jahr wieder raus«. Nach sechs Monaten war aber dieser Chef entlassen und M. fand sich in einer Außenredaktion wieder, deren Leiter morgens mit dem Pferd zur Arbeit geritten kam und sich wie ein Cowboy anzog, seltsam, aber wahr. Der Reiter begann später eine zweite Karriere als Krankenpfleger, M. blieb 42 Jahre lang Lokalredakteur, was er nie geplant hatte. Ich wurde Sportreporter, was auch nie mein Ziel gewesen war. Warum gibt es das überhaupt: Zukunft? Damit unser Leben nicht so langweilig ist.
Ich habe erlebt, wie die Schreibmaschine vom PC ersetzt wurde. Ich war dabei, als man den Bleisatz zugunsten des Computersatzes abschaffte. Ich sah 1982 das erste Faxgerät in unserem Büro bei der Ski-WM in Schladming. Der altgediente Kollege W. nannte es »Pipifax«. Es war groß wie eine Kommode und funktionierte nicht. Ich benutzte, 1990 in der DDR, mein erstes Handy, es war kofferförmig und schwer wie ein Eimer Wasser. Daran diktierte ich meine auf Maschine getippten Berichte einem Stenografen, der sie seinerseits in die Maschine tippte und dem Redakteur gab, der sie dann einem Setzer weiterreichte, welcher sie erneut in eine Maschine tippte, worauf sie in der Zeitung erschienen.
Neulich las ich ein Buch von Nils Minkmar, Mit dem Kopf durch die Welt heißt es. Im Klappentext der Satz: »Wer 1530 gestorben und ein Jahrhundert später wieder auferstanden wäre, hätte die Welt problemlos wiedererkannt – an den wesentlichen Strukturen hätte sich nichts verändert. Heute würde man schon nach einem Jahrzehnt nichts mehr verstehen …«
Wem sagt er das?
Wenn man dem Stenografen diktierte: immer ein heikler Moment! Einen Schnellschreiber gab es, den besten von allen, der kommentierte das Diktat oft mit »Na ja, na jaaa …« oder »Meinen Sie wirklich?«. Eines Tages saß ich auf der Tribüne von Waldhof Mannheim, bei einem Spiel gegen 1860, Schreibmaschine auf den Knien, Telefon zwischen den Füßen. Ich saß mitten im Publikum, weil es keine Pressetribüne gab. Die Leute schauten mir über die Schulter, kommentierten das Gelesene, und beim Diktat musste ich wegen des Lärms während des Spiels so schreien, dass man meinen Text noch unten auf der Trainerbank hörte.
Mein alter Freund L. weilte in den Achtzigerjahren als Berichterstatter bei einer Radsport-WM in Chambéry/Frankreich. Die Favoriten hießen Kelly (ein Ire) und Baronchelli (ein Italiener). So diktierte L. es dem Stenografen. Am nächsten Tag stand in der Zeitung, Favorit sei »der italienische Baron Kelly«.
Übrigens habe ich noch die Rohrpost erlebt, bis heute ein technisches Rätsel: Wer trieb sie an, wer produzierte den Luftdruck zur Beförderung der Patronen? Die Leitartikler mit ihren Windmaschinen? Ich kannte einen, der behauptete, er habe Weißwürste mit der Rohrpost durchs Haus geschickt, doch hätten sie die enorme Beschleunigung nicht vertragen und seien als Brei angekommen. Die in der nächsten Patrone nachreisende Bierflasche habe die Pneumatik lahmgelegt. Einmal entdeckten wir ein totes Pfauenauge an der Station E2, legten es in eine Patrone und adressierten es: an die Station E2. Nach 24 Sekunden war die Patrone wieder da, doch ohne Pfauenauge.
Mag sein, dass die Zukunft des Journalismus im Unklaren liegt. Aber auch seine Vergangenheit hat noch ihre Rätsel.
Axel Hacke, 53, schreibt an dieser Stelle normalerweise die Kolumne »Das Beste aus aller Welt«.
Illustration: Christoph Niemann