Ausgepresst?

„Wozu Zeitung?“, fragt das SZ-Magazin. „Wozu noch Zeitungen?“, fragt beinahe wortgleich ein Interview-Band der Kommunikationswissenschaftler Leif Kramp und Stephan Weichert. Für das SZ-Magazin analysieren sie acht Probleme des Printjournalismus und nennen Chancen in der Krise.

    Problem 1: Papier
    Weder aus praktischen Erwägungen noch aus ökologischer Perspektive scheint Papier als Vertriebsform der klassischen Print-Zeitung zukünftig sinnvoll. Das aufwändige Bedrucken und der Transport sind kostenintensiv und umweltschädlich. Und doch: Trotz Umsatzeinbrüchen und wachsender Rohstoffkosten ist Journalismus auch heute nicht ohne die Erlöse aus Anzeigenverkäufen der Druckausgaben und ihrem Vertrieb denkbar. Davon profitieren auch die Online-Ableger von Zeitungstiteln, die (bisher) größtenteils quersubventioniert werden.

    Angesichts der enormen technischen Möglichkeiten des Internets werden alternative Trägermedien immer attraktiver. Glaubt man Marktprognosen, ist das elektronische Lesegerät „Kindle“ des Internetversenders Amazon, das es jetzt auch als „Kindle Deluxe“ im DIN-A4-Format gibt, nur der Anfang einer rosigen Zukunft für handliche Multifunktionsgeräte, die Konsum, Kommunikation und Produktion kombinieren. Laut ernst zu nehmender Kalkulationen würde es sich sogar lohnen, dass Zeitungen wie die New York Times sämtlichen ihrer Abonnenten ein solches Lesegerät schenken würden, um dadurch die hohen Vertriebskosten zu sparen. Eine tatsächliche Alternative ist dies jedoch noch lange nicht: Obwohl Amazon mit immer neuen Erfolgsmeldungen zu den Absatzzahlen des „Kindle“ aufwartet, bleibt sowohl unsicher, ob und wie der Werbemarkt auf derlei Szenarien reagieren wird, als auch ob sich der Durchschnittsleser tatsächlich auf ein solches Laptop-Experiment mit seiner Zeitung einlassen würde. Ob diese also nun langfristig den großen Geldregen bringen, ist fraglich. Wahrscheinlich ist aber, dass die Finanzierung durch klassische Anzeigenwerbung auf mobilen Lesegeräten nur von kurzer Dauer sein wird.

    Problem 2: Zeitungsmarken
    Zeitungen besitzen selbst gegenüber den mächtigsten Internetmarken wie „Google“, „Twitter“ oder „Facebook“ einen entscheidenden Vorteil: Als älteste und über Jahrhunderte bewährte Informationsquelle genießen sie bei weiten Nutzerkreisen höchste Glaubwürdigkeit, insbesondere journalistische Leitmedien wie New York Times, der Spiegel oder die Süddeutsche Zeitung. Doch die wirtschaftlichen Sparzwänge drohen den starken Marken langfristig Schaden zuzufügen.

    Meistgelesen diese Woche:

    Blätter, die in Zukunft eine Chance haben wollen, brauchen das uneingeschränkte Vertrauen ihrer Lesergemeinde – auch und vor allem im Netz. Das Bedürfnis nach glaubwürdigen Nachrichten und Einordnungen des Weltgeschehens ist durch den Aufstieg des Internets als zentralem Kommunikations- und Informationsmedium nicht rückläufig, sondern – im Gegenteil – eher noch gestiegen.

    Hier können sich auch Lokalzeitungen gegen wirtschaftliche Unwägbarkeiten immunisieren, indem sie sich online als zentrales Scharnier für Informationen beweisen und den Nutzer an ihr Angebot binden. Dafür braucht es Investitionen in die Glaubwürdigkeit, nicht nur im übertragenen, sondern auch im monetären Sinn. In Zukunft geht es für Zeitungsmarken im Internet darum, die öffentliche Aufmerksamkeit über den gesamten Tag mit glaubwürdigen On- und Offline-Angeboten auf sich zu konzentrieren – sei es mit Text, Bild oder Audiovisionen.

    Problem 3: Finanzinvestoren
    Die Übernahmen alteingesessener Verlage in Familienbesitz durch globale Medienkonzerne und branchenfremde Private-Equity-Firmen haben in vielen Ländern Diskussionen darüber ausgelöst, ob die redaktionelle Unabhängigkeit und journalistische Qualität der Blätter durch derlei Besitzerwechsel gefährdet sind. Besonders deutlich wurde die Kritik von Medienpraktikern wie auch Medienwissenschaftlern in den USA zum Ausdruck gebracht: Auslöser waren die Verkäufe mehrerer Zeitungen an Unternehmer, denen ein zweifelhafter Ruf im Hinblick auf ihre Integrität und Erfahrung mit publizistischen Idealen vorauseilte.

    Zum Teil bewahrheiteten sich die Befürchtungen: Die alteingesessene Tribune Company (Los Angeles Times, Chicago Tribune) musste nur wenige Monate, nachdem der Grundstücksinvestor Sam Zell sie übernommen hatte, Konkurs anmelden. Auch der britische Investor David Montgomery hat in Deutschland seine Spuren hinterlassen – zumindest hat dieser Fall gezeigt, dass solchen Spekulanten nicht über den Weg zu trauen ist.

    Das entscheidende Problem auf dem Zeitungsmarkt liegt offenbar in der Börsennotierung, die Zeitungen zu Marken macht und dabei journalistische Prinzipien vernachlässigt. Neue Investoren prinzipiell abzulehnen, wäre trotzdem falsch: Zeitungshäuser in Familienbesitz haben sich zwar als sicherer Hort journalistischer Traditionen und Ideale erwiesen, aber zumindest bisher kaum als Experimentierfeld zur Neuerfindung verlegerischer Geschäftsmodelle und Vertriebsformen.

    Problem 4: Mediennutzung
    Die verkauften Auflagen der gedruckten Presse sinken, die Nutzung des Internets nimmt rasant zu. Nachrichtenkommunikation in Echtzeit degradiert die gedruckte Zeitung zum ephemeren Begleitmedium mit Liebhaberqualitäten, gewissermaßen zum reinen Statussymbol für eine kleine Elite. Nie zuvor wurden Nutzerinteressen so schnell und multimedial (RSS, mobiles Internet) befriedigt wie im Internet.

    Doch gerade weil die Information so leicht zu bekommen ist, befürchten nicht wenige Experten einen Qualitätsverlust: Zusammenhänge werden im Netz vereinfacht, die Gültigkeit der Suchergebnisse ist weitgehend ungeprüft und von recht fragwürdigen Ranking-Verfahren abhängig. Am Ende verbleibt der Nutzer orientierungs- und letztlich ratlos. Es erscheint daher unabdinglich, dass sich Synergien zwischen Online- und Print-Editionen noch deutlicher ausbilden müssen, damit die Nutzer den ganzen Tag über vertrauenswürdige Nachrichten ihrer Zeitung abrufen können.

    Problem 5: Online-Konkurrenz
    Im Web 2.0 sieht sich der Qualitätsjournalismus einer wachsenden Zahl von konkurrierenden Informationsangeboten ausgesetzt. Vor allem Blogs haben die Nachrichtenvermittlung revolutioniert: Die einstmals verpönte Ich-Form, die Vermischung von Nachricht und Meinung und die wachsende Relevanz von Nutzern als Quellen, traf die Zeitungsindustrie völlig unvorbereitet. Zeitungen sind also in zweierlei Hinsicht betroffen: Sie verlieren einerseits ihre Autorität, andererseits ihre Leser.

    Auf lange Sicht müssen sich Zeitungshäuser und Journalisten auf eine veränderte Bedarfshaltung seitens des Publikums einstellen: Die Popularität sozialer Netzwerke wie „youtube“ und „Twitter“ weist darauf hin, dass das klassische Hierarchieverhältnis zwischen Journalist und Rezipient sich langsam zu einer Tauschbeziehung auf Augenhöhe wandeln wird. Dies hat zweifellos eine Verwässerung des journalistischen Profils zur Folge: Neue Berufsfelder wie das des Community-Redakteurs oder des Social-Network-Administrators entstehen. Für diese Hybridjobs fehlt allerdings ein verpflichtendes Regelwerk bewährter journalistischer Prinzipien und Ansprüche, da gerade Webseiten nach dem Prinzip Wikipedia die herkömmlichen journalistischen Filtermechanismen aushebeln.

    Problem 6: Geschäftsmodelle
    Das Geschäftsmodell der klassischen gedruckten Zeitung befindet sich in einer existenziellen Krise. Ein einzelner Schuldiger ist kaum zu bestimmen, vielmehr verursacht ein Konglomerat aus Markt- und Nutzungsentwicklungen den Leserrückgang, der durch einbrechende Anzeigenerlöse verschlimmert wird. Dennoch haben sich Zeitungsverlage bislang größtenteils auf die Werbefinanzierung als zentrales Standbein verlassen und noch keine alternativen Finanzierungsmodelle zum Erhalt des kostenintensiven Nachrichtenjournalismus gefunden.

    Die kostenpflichtige Vermarktung von Inhalten über Digitalabonnements oder teure Archivzugänge durch sogenannte Micropayments ist gescheitert, wird aber immer wieder gerne – mehr verzweifelt als ernsthaft – in die Diskussion gebracht. Angesichts der im Internet grassierenden Kostenlos-Mentalität scheint die klassische Werbefinanzierung zurzeit als einzig effizientes Modell. Zudem werden die Verlage in Zukunft ohne Zusatzgeschäfte kaum auskommen können. Doch gibt es auch andere Ansätze: Zeitungshäuser könnten ihre Lesergemeinde stärker in die Pflicht nehmen und ihnen – ähnlich des genossenschaftlichen Modells der alternativen Tageszeitung taz – finanzielle Beteiligungen am Zeitungsbetrieb anbieten.

    Das wäre weniger risikoreich als das Prinzip „Rent-a-Journalist“, das Portale wie „spot.us“ bereits nutzen: Internetnutzer buchen „ihren“ Journalisten, damit er für sie Recherchen anstellt und berichtet. Bei allen wirtschaftlichen Unwägbarkeiten darf jedoch niemals die journalistische Unabhängigkeit und Überparteilichkeit unter die Räder kommen – auch dann nicht, wenn sich Blätter in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage gesundschrumpfen müssen, um überlebensfähig zu bleiben.

    Problem 7: Medienpolitik
    Als mögliches Finanzierungsmodell zur Rettung der Zeitung werden verstärkt auch medienpolitische Lösungen diskutiert, etwa Qualitätsblätter durch staatliche Beihilfen direkt oder indirekt zu subventionieren. Dabei wird in Europa bereits seit Jahrzehnten eine staatliche Presseförderung betrieben: 27 EU-Staaten, die Schweiz, Norwegen und Island haben den Mehrwertsteuersatz auf Zeitungen reduziert.

    Diese indirekte Förderung wird in zwölf der dreißig Staaten von direkten Beihilfen, beispielsweise im Falle einer wirtschaftlichen Krisensituation von Zeitungsbetrieben, ergänzt. Eine Vorreiterrolle in der Entwicklung eines elaborierten Systems zur Pressesubvention und seiner Umsetzung in die Praxis nimmt Österreich ein, dass seit Jahren umfangreiche Förderangebote bietet, um die Vielfalt der Presse zu gewährleisten. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ist kürzlich mit einer offensiven Subventionspolitik für die Presse ebenfalls aufgefallen.

    Andererseits bieten sich Stiftungsmodelle als ebenso zukunftssichernde Alternative an: Erfolgreiche Beispiele sind die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Besitz der FAZIT-Stiftung sowie der Guardian in den Händen des Scott Trust: Beide Stiftungen haben sich zur Sicherung der journalistischen Integrität ihrer Zeitungsunternehmungen verpflichtet. Die Gründungsverfahren sind allerdings äußerst kompliziert und das Geld für Stiftungsmodelle in Deutschland knapp.

    Problem 8: Qualitätsjournalismus
    Damit hochwertiger, der Meinungsfreiheit verpflichteter Journalismus weiterhin Bestand hat, fördern einige gemeinnützige Organisationen wie „Pro Publica“ und das „Center for Investigative Reporting“ in den USA den Recherchejournalismus – weil Redaktionseinheiten, die sich mit der Aufdeckung von Missständen beschäftigen, oftmals zuerst wegrationalisiert wurden. Die Unterstützung zeitintensiver und somit teurer Aufklärungsarbeit ist daher zunehmend auf Drittmittel oder gemeinnützige Redaktionsbüros angewiesen, die von Spenden- und Stiftungsgeldern finanziert werden und ihre Qualitätsarbeit kostenfrei anbieten können.

    Die Infrastruktur solcher Initiativen entstand in den vergangenen drei Jahrzehnten insbesondere in den USA. Sie wird ergänzt durch Einrichtungen, die sich der Journalistenfortbildung widmen, Berufsnetzwerke aufbauen und Ressourcen vorhalten. Obwohl auch in Europa, zumal in Deutschland, jedes Jahr großzügig dotierte Medien- und Journalistenpreise vergeben werden, existieren bislang kaum derartige gemeinnützige Initiativen.

    Dr. Stephan Weichert ist Professor für Journalistik und regionaler Studiengangleiter an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg. Leif Kramp ist dort wissenschaftlicher Referent und freier Printjournalist. Beide erforschen am Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik die Zukunft des Qualitätsjournalismus.
    Sie haben mit Hans-Jürgen Jakobs, dem Chefredakteur von sueddeutsche.de das Buch „Wozu noch Zeitungen? Wie das Internet die Presse revolutioniert“, herausgegeben.