Y wie (X)Y-Chromosom

Männliches Schreiben und neue Medien: Gut, dass es im Netz keine Leitartikler und Großreporter mehr gibt.

Am nervigsten sind Chefredakteure nach dem Urlaub.

Dann waren sie endlich mal wieder im Kino, im Wellnesshotel, im Freizeitpark, unter ganz normalen Leuten. Und weil sie trotz aller administrativen Plackerei Vollblutjournalisten geblieben sind, bestellen sie gleich nach der Rückkehr zwölf Geschichten – über Filme, die alle anderen schon gesehen haben, über den Klangschalen-Humbug, den Eintrittskartennepp im Freizeitpark und darüber, wie wichtig Quality time mit Frau und Kindern ist. Die Redakteure rollen mit den Augen, aber es hilft nichts, die Geschichten müssen geschrieben, die Zeitläufe erkannt werden.

Außerhalb von Frauenzeitschriften (die von richtigen Journalisten selbstredend verachtet werden, obwohl die Texte nicht unbedingt schlechter sind und die Fakten meistens stimmen), ist Journalismus eine recht männliche Angelegenheit. Man merkt es an dem, was im Blatt, und noch mehr daran, wo es steht. Vorn und zum Abschluss öffentliches Interesse (Politik, Wirtschaft, Sport), dazwischen Konzessionen ans Geistige und ans bloß Private. Für Frauen gibt es Klatsch, Küche, Kinder, Figurberatung und ein wenig Beziehungshilfe. Man könnte das alles auch ernst nehmen, aber richtige Journalisten nehmen das Essen, ihre eigene Figur und Beziehungen nur in den Ferien ernst. Richtiger Journalismus ist zwar nur die vierte, aber er will eben doch eine Gewalt sein, kein Getändel. Deswegen muss hart drangeblieben und aufgedeckt, analysiert und gesagt werden, was Sache ist, es sagt einem ja sonst keiner. So und nicht anders meint es die Merkel, erklären die Leitartikler, aber dass das bei Weitem nicht reicht – so wenig wie der CO2-Handel oder Obamas Afghanistan-Strategie. Währenddessen reportieren die Reporter getreulich von den Durchstechereien in den Hinterzimmern der Macht, den Schwierigkeiten in der Autoindustrie und den ungemütlichen Arbeitsbedingungen in den Callcentern. In dieser Welt kommen Frauen eher selten vor. Auf den Vermischten-Seiten manchmal. Oder wenn in Paris die Frühjahrs-/Sommer-Fähnchen präsentiert werden.

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Doch so dringend will das alles keiner mehr lesen. Auch die Männer nicht, die sich früher beim Frühstück hinter der Zeitung verschanzten wie hinter einem Schutzwall. Lange schon wissen sie auch ohne Zeitungslektüre bestens Bescheid, nicht immer en détail, aber en gros. Es gibt keine Überraschungen mehr: Dass Radfahrer dopen und Manager auch nur mit
Wasser kochen, muss man sich nicht erst von Aufdeckern und Edelfedern sagen lassen.

Außerdem kann jeder Mann jetzt sein eigener Chefredakteur sein, selbst ins Internet hineinschreiben, wie die Welt wirklich ist. Man kann sogar Medienstratege werden, PageRanks, Technorati-Authorities und die Anzahl der Follower vergleichen, das gute alte Wer-hat-den-Längeren-Spiel spielen. Alles, was an den Medien 1.0 so genervt hat, ist längst 2.0 geworden: Noch mehr Jungs, die unaufhörlich etwas zu berichten,  verkünden, erklären, kommentieren, enthüllen, in die richtige Perspektive zu bringen haben, immer eine Spur zu laut, zu nachdrücklich, zu bescheidwisserisch. Als müssten sie in einem Plenarsaal sprechen, nicht zu einzelnen Menschen.

Aus all diesen Gründen geht es den richtigen Journalisten mies. Man braucht sie nicht mehr. Nicht die Leitartikler, nicht die Orientierungshelfer, nicht einmal die Kriegsreporter, in deren szenischen Einstiegen immer der Kies knirschte und die Schüsse peitschten. Früher waren sie Helden, jetzt sind sie nur noch Kostenfaktoren. Sie werden gefeuert von den Letzten in den Redaktionen, die wirkliche Männer geblieben sind, den Sanierern, die grausame, aber eben doch notwendige Triagen durchführen und als Einzige noch einen Plan haben.

Doch wie gern würde man Geschichten lesen, die nicht von öffentlichem, sondern nur von einem privaten Interesse sind, in dem man das eigene wiederfinden könnte. Über die Menschen, wie’s ihnen geht; das Leben, wie es jetzt ist; die Kinder, wenn sie nicht Quality time aussitzen müssen; die Frauen, wenn sie nicht Fähnchen tragen. Und wie schön wäre es, wenn diese Geschichten nicht so daherkämen, als müssten sie ihren Mann stehen. Geduldiger vielleicht, wärmer, wohlmeinender, leiser vielleicht, erzählender, nicht so bescheidwisserisch. Wie schön es wäre, wären Zeitungen ratloser als jetzt. Dann würde man sie glatt wieder zu Rate ziehen.

Peter Praschl, 49, ist Autor des »Süddeutsche Zeitung Magazins«, war davor Ressortleiter Kultur bei »Vanity Fair« und führt seit 1999 verschiedene Blogs.

Illustration: Christoph Niemann