W wie Weißraum

Das Internet bietet endlosen Raum. Den schönsten gibt es aber nur gedruckt.

»Wenn ein Mann eine leere Zigarettenschachtel aus dem Auto-fenster wirft, kostet ihn das zur Strafe 50 Dollar. Wenn aber ein Mann mit einer riesigen Werbetafel die Aussicht beschmutzt, dann wird er reich belohnt.« Der Satz stammt von Pat Brown, aus den Sechzigerjahren, als Brown Gouverneur in Kalifornien war und gegen die Werbeindustrie wetterte. Den Furor gegen Benettonbunte Plakate einmal beiseite gelassen: Browns Be-obachtung vom Umgang mit Raum ist interessant. Sie verknüpft den Raum einerseits mit der Forderung nach Leere –und andererseits beschreibt sie den ökonomischen Raum, der die Leere fürchten muss.

Der seit der Antike diskutierte Horror vacui, die Abscheu vor der Leere als Naturerscheinung, verbindet sich in der Gegenwart der Produktzyklen mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Nutzen. Raum wird daher angefüllt, wo immer er sich auftut: Kirchen, die leer stehen, werden zu Mietwohnungen und Konzertsälen umgebaut. Marktplätze werden mit Christkindlständen, Weinmessen und Mittelalterschauen eventisiert. Freie Bruchteile von Sekunden werden mit sinnentleerten Botschaften zugesmst. Wir halten die Leere scheinbar nicht aus. Alles muss Fülle sein. Der Freiraum als zivilisatorischer Überschuss und geistige Freiheit ist schon längst in Bedrängnis geraten. Das offenbart sich auch in der Zeitung, vor allem in jener, die vom Weißraum nichts wissen will. In der Typografie beschreibt der Weißraum den unbedruckten Teil einer Seite beziehungsweise den Freiraum zwischen und in den Buchstaben. Der Weißraum in Zeitungen und Zeitschriften ist indes so selten geworden wie eine nicht genutzte Eventfläche. Man hat Angst, etwas zu verpassen: vor allem den ökonomischen Nutzen. Im ersten Moment mag das einleuchten. Wo Buchstaben und Bilder sind, da ist auch Information, wo Information ist, da gibt es Autoren, Fotografen und Redakteure, dazu Werbeplatzverkäufer: Es ist ein Kreislauf, der eine immer rigorosere Raumbewirtschaftung mit sich bringt.

Weil der Weißraum in solchem Denken keinen Nutzen bringt, wurde er vernachlässigt. Das eifrige Layouten, das die Redaktionen seit den Achtzigerjahren im Kampf gegen schwindende Leserschichten entdeckt haben, hat daran nichts geändert: Die Leere in den Printmedien wurde beackert, um mit grafischen Ideen um Aufmerksamkeit zu buhlen. Dabei wäre das Gegenteil richtig: Erst eine bewusste Gestaltung, die uns Freiräume als Überschuss und Distinktion zugesteht, wird sich erfolgreich durchsetzen in einer wie nie zuvor sich wandelnden Ökonomie der Aufmerksamkeit.

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Es ist bekannt, dass Konsumentscheidungen zum überwiegenden Teil irrationaler Natur sind. In einer Zeit technischer und inhaltlicher Standards, die kaum mehr Unterschiede bieten, entscheidet sich der Erfolg eines Produktes auf dem Terrain der Ästhetik, wobei den erfolgreichsten Produkten unserer Zeit etwas gemeinsam ist: Sie bieten, wie zum Beispiel das iPhone, nicht mehr, sondern weniger gestalteten Raum. Sie fürchten nicht die Abwesenheit von etwas, das sie nicht benennen können. Denn sie wissen, dass sie davon profitieren. Die Zukunft der Printmedien wird nicht nur von ihren Inhalten, sondern auch von der Gestaltung der Inhalte abhängen. In diesem Zusammenhang ist der Weißraum keine Chiffre der Leere, sondern eine des Zugewinns.

Gerhard Matzig, 45, ist Redakteur und Architekturkritiker der »Süddeutschen Zeitung«.

Illustration: Christoph Niemann