Ich fand Jupp Heynckes nicht cool, als er zum ersten Mal zu Bayern kam. Das lag nicht unbedingt an Jupp Heynckes. Willi Reimann, Arie Haan oder Otto Rehagel, Rolf Schafstall, Karlheinz Feldkamp, Wolf Werner, Reinhard Saftig – es war einfach nicht die Zeit, Bundesliga-Trainer cool zu finden.
Hermann Gerland war damals Chef-Trainer in Bochum, aber der war mir kein Begriff. Der Zuschauerschnitt im Olympiastadion lag unter 30.000, und ich kann mich nicht erinnern, dass das halbleere Stadion oder ich auch nur einmal den Namen Heynckes gerufen hätte. Ich weiß auch nicht, ob Heynckes damals die Mannschaft erreichte, den Spielern in Einzelgesprächen Selbstbewusstsein geben oder ihnen mit kleinen Hilfen (»Langsamer werden vor dem Flanken, Kingsley«) entscheidende Verbesserungen vermitteln konnte.
All das, wofür er heute zu Recht so gewürdigt wird, nachdem er, zusammen mit Peter Herrmann und dem von mir immer schon als uneingeschränkt cool eingeschätzten Hermann Gerland, einen verhunzten Saisonbeginn mit miesen Spielen in eine Meisterschaft, ein Pokalfinale und mindestens ein Champions-League Halbfinale verwandelt hat. (»90 Minuten in Bernabeu sind lang«, hat ein früherer Real-Spieler mal gesagt. Und »es ist erst vorbei, wenn die dicke Frau gesungen hat«, hat Babe Ruth gesagt. Mal sehen, wer Dienstagabend in Madrid nach dem Abpfiff singt.)
Ich empfand den frühen Jupp Heynckes, der Bayern von 1987 bis 1991 trainierte, eher als verspannt und steif, ohne dass ich es »verspannt« genannt hätte. Stattdessen nannte ich ihn wie viele andere »Osram«. Im Streit mit Christoph Daum und bei der inzwischen legendären Auseinandersetzung im Aktuellen Sportstudio hatte ich den Eindruck, dass Uli Hoeness seinen kleinen, unbeholfenen Streber-Bruder verteidigte, als er sich mit Daum diese verbale Pausenhofschlägerei lieferte.
Mich interessierten Augenthaler, Thon, Pflüger, Kögl und Aumann. Als Bayern gegen Köln am 25. Mai 1989 die Pausenhofschlägerei final für sich entschied, saß ich bei meiner Oma vor dem Radio und feierte nicht den Trainer für seine Taktik, sondern Roland Wohlfahrt für seine drei Tore.
Ich hatte auch keine Tränen in den Augen, als Heynckes 1991 entlassen wurde. Die Tränen kamen mir eher mit dem Fußball, den sein Nachfolger spielen ließ, aber das ist eine andere Geschichte. (Stichwort »Stallgeruch«, Stichwort »internationale Trainererfahrung«, Stichwort Sören Lerby.)
Ich habe Heynckes danach nicht mehr richtig beachtet, er war ja nicht mehr Bayern-Trainer. Nur an 1998 erinnere ich mich, als er mit Real Madrid die Champions League gewann – und mit Bodo Illgner. Für mich kaum zu verstehen, ich hatte ja Oliver Kahn. Er tat mir dann leid, Jupp Heynckes, weil Real ihn entließ, als Champions-League-Sieger. Ich hielt Real aber schon damals nicht für königlich, vielleicht aus Neid.
2009 dann fand ich Jupp Heynckes erstmals cool, als er Bayern nach einer weiteren mutigen Entscheidung mit Stallgeruch (Klinsmann) die Saison rettete. Aber nachdem ich Klinsmanns 0:4 in Barcelona gesehen hatte, das sich wie ein 0:40 anfühlte, hätte ich vielleicht auch Rolf Schafstall oder Reinhard Saftig cool gefunden, wer weiß.
2012 und 2013 waren ein Rausch, den ich durchaus mit Jupp Heynckes verband. Und Peter Herrmann. Und Hermann Gerland. Als ich beim »Finale Dahoam« in der Arena hockte, nach dem Ende des Elfmeterschießens, am Ende eines Spiels, das ich verdrängt habe, gab ich nicht Heynckes die Schuld, weil er Thomas Müller ausgewechselt hatte, zum Beispiel. Sondern dem Umstand, dass die Spieler Arjen Robben in der Verlängerung nicht schützten, als er vor dem Elfmeter von Chelsea-Spielern zugequatscht wurde. Oder der Weigerung mancher Feldspieler, zum Elfmeterschießen anzutreten.
2013 dann, in Wembley, war Heynckes der Coolste. Ok, der Zweitcoolste, nach Arjen Robben. Aber Heynckes war es, der Javi Martinez geholt hatte und im defensiven Mittelfeld spielen ließ. Und Martinez hatte irgendwann in der Mitte der ersten Halbzeit gegen Dortmund angefangen, das Finale zu gewinnen, weil er das Mittelfeld eroberte. Mit dem Triple abzutreten, das betrachtete ich als das Allercoolste.
Mit seinem geliebten Hund Cando am Niederrhein am Fischteich sitzen und den Müll rausbringen, während Real Madrid und der AS Monaco vergeblich anrufen, was gibt es denn Geschmeidigeres, bitte? Die Missstimmigkeiten rund um den Abschied vergaß ich schnell, ich wollte ja, dass Guardiola kam und fand Trainer, anders als 1987, nicht generell uncool. Guardiola schon gar nicht.
Fast forward, Herbst 2017. Dass der Ulrich noch mal seinen alten Freund fragt, dass der alte Freund noch mal kommt, um dem Ulrich einen Gefallen zu tun – das fand ich zunächst verstörend, aber dann noch cooler als das Karriereende nach dem Triple. Heynckes, so sah ich es, konnte doch nichts gewinnen. Mit der Mannschaft in dem Zustand würde man bestenfalls Zweiter hinter diesen unschlagbaren, offensivstarken Dortmundern werden. Im Pokal, wer weiß, eigene Gesetze. Und in der Champions League nach dem 0:3 bei Katar war mit kaum mehr als einem Ausscheiden im Viertelfinale zu rechnen. Maximal. Mit Glück. Es war also ein reiner Freundschaftsdienst. Mehr mit Ehrgefühl zu erklären als mit sportlichem Ehrgeiz oder Titelambitionen.
Heynckes aber, der Josef, hat alles richtig gemacht. Er spricht vielleicht mit jedem Interview, das ihm der letzten Pressekonferenz näherbringt, noch einen Tick selbstverliebter, aber das geht noch. Er holt vielleicht nicht noch mal das Triple, aber wer weiß (siehe oben, 90 Minuten, dicke Frau, Gesang).
Er hat mit seinen Co-Trainern die Mannschaft im Griff und sogar den Ulrich Hoeness, der am liebsten den Abschied noch mal rausgezögert hätte, bis 2019. Oder 2025. In jedem Fall wird Jupp Heynckes mit einem Finale gehen, Mitte oder Ende Mai.
Bevor am Mittwoch alle sagen, sie wussten immer schon, was für ein Fuchs er ist (oder dass einfach nicht mehr genug drin war in Mannschaft und Trainer): Ich werde am Dienstagabend im Stadion sein, in Madrid, bei dem Verein, der ihn 1998 rausgeworfen hat. Und seinen Namen rufen.