Im Ernst, wir reden hier über die heimlichen Herrscher. Die Männer, die uns diskret regieren. Die wahren Chefs jedes Büros. Ist doch so: Die Systemadministratoren wissen alles über uns. Sie stellen unsere Computer auf, sie erlauben uns, Mails zu empfangen, sie legen fest, wie wir durch unsere elektronischen Fenster in die Welt hinausschauen, sie können von außen in unsere Computer steigen und dort alles Mögliche einstellen. Ob Bankenimperium oder Verlag, Versicherung oder Autohersteller: Die Systemadministratoren sind die Einzigen, die den neuronalen Kern jedes Unternehmens kennen und tatsächlich verstehen, was da passiert. Die dunkle Seite der Macht.
Systemadministratoren geben nicht gern Interviews, vielleicht, weil sie fürchten, man wolle irgendwelche Passwörter von ihnen wissen. Der Administrator Hermann Wohler*, der bei einem sehr großen Münchner Unternehmen arbeitet, erklärt: »Im Grunde basiert alles auf Vertrauen. Würde ich eine Mail des Geschäftsführers heimlich mitlesen, und er bekäme das raus, wäre ich meinen Job los. Gleichzeitig weiß der Geschäftsführer aber, dass ich das theoretisch jederzeit machen könnte. Ihm ist also klar, dass er vor mir letztlich wenige Geheimnisse hat. Und dass ich, wenn ich wollte, innerhalb kürzester Zeit jede Menge brisantes Material beisammen hätte.«
Über so was wie eine Steuersünder-CD können Systemadministratoren nur lachen. Nur ein paar Namen? Nur ein paar Konten? Wenn sie wollen, können sie ganze Firmen kopieren und weitergeben. Schon vor Jahren, in der Folge des 11. September, untersuchte die Wirtschaftswoche, wie terrorgefährdet die deutsche Wirtschaft ist. Ein Unternehmensberater sagte damals: »Die Gefahr, dass sich technisch hervorragend ausgebildete Terroristen als Systemadministratoren anstellen lassen und Zugang zu sensiblen Netzwerken verschaffen, ist mindestens so groß wie die, dass sie in ein Flugzeugcockpit gelangen.«
Doch man ahnt, es genügt schon viel weniger kriminelle Energie. Letztes Jahr zum Beispiel machte ein Unternehmen Schlagzeilen, in dem es Streit gegeben hatte. Ein Systemadministrator, der den Betrieb verließ, speiste zum Abschied alle Viren in das Firmennetz ein, die er auftreiben konnte. Schaden: 120 000 Euro.
Der Systemadministrator eines großen Zeitschriftenverlags erzählt: »Die neuen Apple-Computer haben oben drin so eine kleine Kamera – ich werde oft gefragt, ob wir damit alle am Arbeitsplatz beobachten. Viele kleben das Objektiv vorsichtshalber mit einem Post-It zu.«
Es gibt natürlich längst eigene Internetforen, in denen die genervten Nerds über inkompetente Kollegen lästern. Das klingt dann so: »Die ruft bei mir an und versteht null. Frag ich sie: Was sehen Sie denn auf Ihrem Bildschirm? Sagt sie: Einen kleinen Teddy, den mir mein Freund geschenkt hat.« Oder: »Der Versager kommt nicht ins Internet. Ich frag: Benutzen Sie das richtige Passwort? Darauf er: Ja klar, ich hab doch vorhin bei meinem Kollegen zugeschaut. Diese fünf Sterne …«
Kein Wunder, dass fast alle Systemadministratoren diesen müden Blick durchs Büro tragen, der sagt: Bitte langweilt mich nicht. Die »Admins«, wie sie sich selbst nennen, sind die Einzigen, die sich in einer Firma weder von Rang noch Namen noch Gehältern im Geringsten beeindrucken lassen. Denn sie wissen. Und sie wissen, dass die anderen nicht wissen. Und wenn sie überhaupt mal mit dem gemeinen Volk reden, dann in einer Sprache, die keiner versteht: »Klar, dass nix läuft, der RAID-Server ist abgeschmiert.« – »Die Config-Dateien sind im Nirwana gelandet.« Aha.
Wie soll man da miteinander arbeiten? Es gibt eine Studie über das Verhältnis von Arbeitnehmern und IT-Fachkräften, die besagt, dass deutschen Unternehmen »durch Missverständnisse und Reibungsverluste« Schäden von mehr als zwanzig Milliarden Euro im Jahr entstehen. Es hilft nichts, wir müssen uns mit den Computermenschen gut stellen. Seit einigen Jahren gibt es in den USA sogar einen jährlichen »System Administrator Appreciation Day«, einen Tag, an dem man den Technikern für ihre Arbeit danken soll. Sollte man den auch hier einführen?
Vermutlich können wir uns dabei gar nicht tief genug verneigen. Denn in einer Welt, die komplett abhängig ist vom Computer, sind wir komplett abhängig von denen, die sich mit den Computern auskennen.
Die Autoren des Blogs Riesenmaschine prophezeiten vor einiger Zeit den Beginn der »Systemadministrokratie«. Dabei sind die Systemadministratoren längst die Fürsten des Informationszeitalters. Da heißt es wachsam bleiben – auch beim Verfassen dieses Texts: Wahrscheinlich liest unser Computerfachmann seit der ersten Zeile mit. Äh, sag mal, Kollege Friedrichs, bei dir im 8. Stock alles gut? Brauchst du irgendwas? Kalte Getränke? Was zu essen? Ein erfrischendes Fußbad? Du sagst bitte einfach Bescheid, wenn ich was für dich tun kann, ja?
*Name von der Redaktion geändert.