Die Kaffeemaschine ist verkalkt, der Kaffee fließt tröpfelnd bis gar nicht, mehrfach am Tag wird darüber wortreich geflucht, und seit Wochen passiert: nichts. Denn sie steht in der Büro-Teeküche, dem letzten rechtsfreien Raum der Republik. Alles, was sonst die Welt halbwegs erträglich macht, ist hier null und nichtig: Gesellschaftsverträge, Erziehung, Kant’sche Imperative – jegliches soziale Regelwerk zerschellt angesichts der dreckigen Kaffeebecher auf der klebrigen Anrichte.
Nirgendwo ist die dünne Decke der Zivilisation so fadenscheinig wie hier: Schmuddelige Küchentücher hängen über modrigen Spülschwämmen, am Boden stehen Pfandflaschen mit verschimmelten Multivitaminsaftresten, im Kühlschrank verwesen undefinierbare Kantinenreste unter kondenswasserfeuchten Klarsichtfolien.
Warum ist das so? Warum verkommt praktisch jede Büroküche zum Saustall? »Weil es funktioniert«, sagt Michael Kastner, Leiter des Instituts für Arbeitssoziologie und Arbeitsmedizin in Herdecke. »Die Erfahrung lehrt, dass sich so ein Verhalten lohnt. Es findet sich nämlich immer ein Blöder, der sich irgendwann erbarmt und aufräumt.« In der Regel eine Blöde, meist aus den unteren Hierarchiestufen.
Das Problem ist so alt wie unlösbar. Hausmitteilungen verpuffen, genervte Aufrufe von Kollegen werden ignoriert. Die einschlägigen Zettel reichen von bissiger Höflichkeit (»Die Spülmaschine steht ostentativ offen, damit jeder sein benutztes Geschirr gleich einräumen kann, ohne erst mühsam die Lade öffnen zu müssen. Gern geschehen.«) bis ruppiger Deutlichkeit und nützen: gar nichts.
Selbst allgemein akzeptierte Gesetze wie »Wer die Kanne leer macht, setzt neuen Kaffee auf« werden ausgehebelt: Ein geübter Bürokaffeetrinker kennt genau den Druckpunkt einer Zwei-Liter-Pumpthermoskanne und zapft grad so viel, dass immer noch ein Pfützchen drinnen bleibt.
Warum wird ein leidlich kultivierter Mensch beim Betreten einer Gemeinschaftsküche sofort zum Egomanen? Warum gibt es ständig Zoff um die Beteiligung an der Kaffeekasse (»Aber Kollege B. trinkt doppelt so viel wie ich! Und außerdem nimmt er Zucker und ich nicht!«)? Werner Greve, Psychologieprofessor an der Universität Hildesheim: »Es ist das Problem der geteilten Verantwortung. Wenn man allein zu einem Unfall kommt, hilft man, wenn viele herumstehen, tut keiner was. Bei der Kaffeekasse ist es das Gleiche: Es sind einfach zu viele verantwortlich.« Für die Teeküche bedeutet das: geteilte Verantwortung = gemeinsame Unordnung. Verwahrlosung breitet sich rasend schnell durch das Broken-Window-Prinzip aus: Schon ein einziger Chaot kann eine ganze Abteilung infizieren – wenn der das so macht, darf ich das auch.
Was also tun? Michael Kastner rät je nach Härte der Lage zu freundlichen Sanktionen – jeder, der erwischt wird, zahlt in eine Gemeinschaftskasse, die irgendwann versoffen wird – oder knallharten Küchendiensten wie einst in der Jugendherberge. Und vor allem: zu klaren Anweisungen von oben. »Führungskräfte gehen zu selbstverständlich davon aus, dass alles läuft.« Wie sollten sie auch anders, schließlich betreten sie so gut wie nie die Teeküche: Zum Kaffeeholen gibt es schließlich die Sekretärin.