Hideki Yojo, der Leiter der Computerentwicklungsabteilung, stirbt durch einen epileptischen Anfall, den seine flackernde Schreibtischlampe ausgelöst hat. Der Wachmann Sam Gleig wird von der Fahrstuhlkabine erschlagen, die nach einer raketenhaften Beschleunigung abrupt abbremst. Die Ausgänge des Bürohochhauses verriegeln automatisch, die Telefonleitungen brechen zusammen, und die verbliebenen Menschen werden mit Stromschlägen traktiert, tiefgefrostet, zerquetscht, zerrissen oder ersäuft. Die brave Gebäudesteuerung des modernsten vollautomatischen Gebäudes hat sich gegen ihre Nutzer gekehrt und ihnen unappetitlich den Garaus gemacht. Der Sohn eines Mitarbeiters hatte das Massaker ausgelöst, indem er eine CD-ROM mit einem interaktiven Kampfspiel in den zentralen Superrechner steckte. Daraufhin spielte der lernfähige Computer gegen die Menschen, und nichts hielt ihn auf, bis das Gebäude schließlich in Schutt und Asche sank. Der Thriller, der dieses groteske Szenario entwirft, heißt Game over und erschien in den Neunzigerjahren. Bei aller Fiktion und Übertreibung nahm Autor Philip Kerr ein Gefühl vorweg, das Büroangestellte im realen Alltag heute zunehmend befällt: die Ohnmacht gegenüber der modernen Bürohaustechnik, die alles regeln und steuern will und sich häufig auf irritierende Weise verselbstständigt.
Wir fahren mit dem Auto ins Büro und scheitern an der Schranke zum Firmengelände, weil der Mitarbeiterausweis nicht eingelesen wird. Oder in der Tiefgarage bleibt es dunkel, weil Zeitschaltuhr und Bewegungsmelder miteinander hadern. Wenn wir dann in unserer Ungeduld gegen die selbsttätig rotierende Drehtür stoßen, blockiert sie sofort, und dass anschließend der Fahrstuhl nicht kommt, weil irgendwo etwas unter der Tür klemmt, wundert uns schon nicht mehr. An unserem Arbeitsplatz brennt dann morgens Licht, weil die Sonnenjalousien heruntergefahren sind, und die Klimaanlage sorgt für frische Temperaturen. Glücklich, wer Mitte Juli im Büro eine alte Strickjacke parat hat.
Dabei könnte doch alles so schön sein! Dass etwas automatisch geht, gehört zu den großen Menschheitsträumen. Es ist nicht nur die Bequemlichkeit, die so erstrebenswert erscheint, es ist auch die Illusion, anthropologische Konstanten zu überwinden: Etwas geht von selbst, göttlich! Natürlich wünschten wir uns als Kinder eine elektrische Eisenbahn und keine zum Aufziehen. Wir wollten steuern, drehen, Schalter kippen und zusehen, wie sich das Spielzeug durch unseren Willen wie von Geisterhand bewegt. Und dabei ist es geblieben. Das Prinzip »Toys for Boys« gilt auch an unserem Arbeitsplatz. Je mehr Komfort man genießen kann, umso moderner ist das Unternehmen, oder umso höher ist man in der Hierarchie aufgestiegen. Automatisch heißt, wir müssen uns nicht drum kümmern, wir sparen Kraft oder haben wenigstens die Hände frei. Mengen werden gezählt, Türen geöffnet, Temperatur wird geregelt, Licht eingeschaltet.
Von intelligenten Systemen sprechen wir jedoch erst, wenn etwas durch die Vernetzung widersprüchlicher oder unscharfer Angaben gesteuert wird, wenn die Haustechnik scheinbar mitdenkt und alles planvoll regelt. Ein Thermostatventil ist noch nicht intelligent, es reagiert nur auf heiß oder kalt. Können jedoch Uhrzeit, Wochentag, Wetterlage, Lüftungsbedarf, Wärmerückgewinnung, Energiepreise, Körpertemperatur und Biorhythmus anwesender Personen das System beeinflussen, so spricht man von einer intelligenten Steuerung. Und schaffte es der Rechner auch noch, seine Programme selbstständig umzuschreiben und neuen Situationen anzupassen, wären wir bei Philip Kerrs Fiktion angelangt: Neues Spiel! Der unaufhaltsame Klimawandel in unserem Büroalltag vollzieht sich auf zwei Ebenen: mit digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie, die unsere Arbeit erleichtern und vernetzen sollen, und mit technischer Gebäudeausstattung, um eine Balance zwischen Energieversorgung, Ökonomie und Wohlbefinden herzustellen. Beides wird in intelligenten Gebäudesystemen zusammengeführt.
18 Millionen Deutsche zählen zum sitzenden Heer der Büroarbeiter
Erfunden wurde dieser ganze Komfort, um mit einer Art barrierefreier Leistungssteigerung den Umsatz zu erhöhen und gleichzeitig Energie zu sparen. Deshalb werden Büros aufgerüstet, nicht weil die alternde Chefsekretärin mit ihren steifen Händen das Kippfenster nicht mehr aufbekommt. Zu dieser Strategie passt der Jargon des Militärischen. Pessimisten sind sogar davon überzeugt, »dass architektonische Evolution von kriegsbedingten Innovationsschüben nicht zu trennen ist«, so Stephan Trüby, ehemals Theorielehrer an der Architekturfakultät der HfG Karlsruhe. 18 Millionen Menschen zählen in Deutschland zum sitzenden Heer der Büroarbeiter. Die darf man nicht sich selbst überlassen.
Neue Kommunikationsmöglichkeiten via Internet gestatten die weltweite Kooperation räumlich getrennter Mitarbeiter am selben Projekt. Wo sie sich in ihren Business Club einloggen, wird zweitrangig. Der »informationelle Kapitalismus«, schreiben die Herausgeber des Bürobau-Atlas an der TU Darmstadt, funktioniert »unabhängig vom konkreten Subjekt«. Darum kann auch der Geschäftsführer einer Schraubenfabrik kurzerhand Verlagsleiter werden, er kennt die »betrieblichen Prozessketten«. Die Entwicklung zielt dahin, mit dem »Inspiration Office« die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit aufzulösen. Dagegen war Vatis Großraumbüro eine Legebatterie. Dem Juniorchef gefällt dieser neue Stil - jetzt muss er abends nicht mehr einsam in der Firma sitzen. Die alleinerziehende Abteilungsleiterin kann, wenn ihre kleine Tochter krank ist, zu Hause arbeiten. Nur der altlinke Betriebsrat klagt, das sei eine subtile Form von Ausbeutung, weil der Angestellte rund um die Uhr für die Leistungsbilanz der Firma verantwortlich gemacht werde, ohne am Gewinn beteiligt zu sein.
Die Unternehmensberater, die die neuen Wohlfühl-Strukturen in die Büroetagen bringen wollen, versprechen eine um fünf Prozent höhere Produktivität. So steht es in einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation, die bei den Consultants wie ein Wertpapier behandelt wird. Am Beispiel eines Verwaltungsgebäudes in Boston, geplant vom Stuttgarter Architekturbüro Behnisch, wurde nachgewiesen, dass über einen Zeitraum von zwanzig Jahren die Personalkosten 86 Prozent ausmachen, sämtliche Aufwendungen für das Gebäude vom Grundstückskauf über Errichtung, Ausstattung und Betrieb nur den marginalen Anteil von 14 Prozent.
Die Bezeichnungen der mitdenkenden Apparate gibt es erwartungsgemäß nur englisch, das macht ihre Funktion hinreichend ungenau: Für einen zeitgemäßen Workflow benötigt man die Ausstattung mit einer Roomware. Dabei handelt es sich um die Kombination von Bildschirmen mit Konferenztischen oder Bürowänden. Die berüchtigten Meetings haben dadurch eine neue Qualität erreicht. Statt auf ein Flipchart zu schreiben, wischt man jetzt über einen Touchscreen. Thorsten Henkel erklärt es im Bürobau-Atlas so: »Moderne Bürogebäude müssen Räume bieten, die den veränderten dynamischen Nutzungswechseln und erweiterten technologischen Möglichkeiten entsprechen.« Ein Rechner übernimmt die Ansteuerung des nächsten freien Druckers, die Einstellung der passenden Beleuchtung, der angenehmsten Klimatisierung, der Rufumleitung, die Reservierung von Büros oder die Alarmierung im Brandfall.
So weit ist es aber fast nirgends. Bereiten wir eine Präsentation vor, sind wir froh, wenn es draußen nicht zu windig ist, weil sonst die Jalousien automatisch hochfahren. Dann wird es zu hell für den Beamer, und die Sonne heizt unser Hightech-Kontor gnadenlos auf. Im besten Fall - entgegen der propagierten Ressourceneffizienz - kann kalte Luft eingefächelt werden. An solch kritischen Tagen schafft man sich hausfraulich Abhilfe, indem man Kartons an die Scheiben klebt. Nun muss sich nur noch der Beamer mit den Laptops der angereisten Kollegen vertragen. Bei so einer Installation entstehen für alle regelmäßig entspannende Pausen, weil Programme oder Stecker nicht zusammenpassen. »Kein Signal«, leuchtet es im improvisierten Halbdunkel von der Wand. Und auch der zu Hilfe gerufene IT-Manager weiß keinen Rat. Wenn jetzt der Praktikant beiläufig das Gerät aus- und wieder einschaltet und alles funktioniert, dann wirkt das wie eine vertrauensbildende Maßnahme zwischen Mensch und Technik.
Es gibt also durchaus gesellige Momente in einem intelligenten Büro, man darf nicht davon ausgehen, dass sich die Angestellten mit all den Neuerungen schlecht fühlen. Sie freuen sich, wenn ihr Arbeitgeber sie regelmäßig mit der neuesten Generation der hübschen Apple-Computer ausstattet. Und auch die Tätigkeit ähnelt großenteils der Beschäftigung in ihrer Freizeit. Es ist das gleiche Gerät, mit dem sie Mahnungen verschicken, Umsatzerwartungen korrigieren, Dienstreisen buchen oder Arzttermine vereinbaren, bei Ebay steigern, Musik herunterladen und Pornovideos ansehen. Wer will da noch unterscheiden, wo die Arbeit beginnt? Eine gewisse Unübersichtlichkeit gehört zum System. Kaum ein Mitarbeiter kann dem Sauseschritt der Entwicklung folgen oder sich regelmäßig schulen lassen. Nur ein Bruchteil der Geräteintelligenz wird tatsächlich genutzt. Die nötigen Tastenbefehle und Kniffe bringt man sich nebenher bei. Jeder weiß etwas anderes, und irgendwie fummeln sich alle durch. Es lohnt auch gar nicht, die 132-seitige Bedienungsanleitung der neuen Telefonanlage halbwegs zu studieren, weil vorher bereits eine neue angeschafft wird, »die noch mehr kann«. Ein Update ist ein unausweichliches Schicksal, das uns regelmäßig wie eine Grippewelle lahmlegt.
Aber können wir die verdammte Technik auch wieder loswerden? Ja, durch neue Technik. Zu den geläufigen Klagen der Generation Office gehört es mittlerweile, über die eingegangene E-Mail-Flut zu stöhnen. Es braucht gar kein Virus, schon 3000 Mails nach dem Skiurlaub würden uns lahmlegen. Um sich dagegen zu schützen und der ständigen Unterbrechung durch E-Mails oder Anrufe Herr zu werden, wird an einer »Notification platform« gearbeitet. Damit können Nachrichten bewertet, Absender gewichtet, Fragen erkannt, thematisch verwandte Aufgaben gebündelt, in den Terminkalender des Empfängers gespäht, sein Aufenthalt geortet und sogar der Rhythmus seiner Arbeitspausen, in denen Informationen zugelassen sind, gespeichert werden. Ob solche Lösungen jedoch bis in die gewöhnlichen Büroetagen vordringen und die ersehnte Entspannung bringen? Den positiven Bilanzen der Berater und Hersteller, die das alles anstoßen, will man nicht richtig trauen. Eine gewisse Skepsis sei »schon deshalb angebracht, weil dem Markt der Büroarchitektur generell eine Tendenz zur Favorisierung von Innovation innewohnt, die nicht immer durch die Empirie gedeckt ist«, warnt der Arbeitspsychologe Riklef Rambow. Vielleicht sind die Firmen gut beraten, die dem Fortschritt ein paar Jahre hinterherhinken?
Gestaffelte Glasscheiben, Schiebeläden, Photovoltaikelemente
Gläserne Hightech-Fassaden werden gebaut, weil sie präzise, modern und fortschrittlich wirken, weil die Vorstellung, dass sie Demokratie und Offenheit abbildeten, nicht auszurotten ist und weil sich die Planung verselbstständigt hat. Sie werden von Fachingenieuren entwickelt, die wollen nichts riskieren und gehen damit natürlich nicht zum Schlosser, sondern lassen eine routinierte Firma die komplizierte bauphysikalische Konstruktion zusammensetzen. In der Regel führen diese technischen Standards zu Bürobauten, die für Laien aussehen, als seien die immer gleichen Fassadenraster nur in anderen Dimensionen zu einem Gehäuse gefaltet worden, gleich ob in Melbourne, Helsinki oder Lüdenscheid. Also Regionen mit völlig unterschiedlichem Klima. Daneben gibt es aber Beispiele, die sich aus dem Einerlei abheben, bei denen die intelligente Technik die Architektur sichtbar geprägt hat.
Beim Unilever Verwaltungsgebäude in der Hamburger HafenCity zum Beispiel wurde statt der klassischen Doppelfassade eine selbstreinigende Folienhaut über das Gebäude gespannt. Diese Lowtech-Lösung, die ein riesiges Atrium mit Stegen, Brücken, Rampen und Loggien für Mitarbeiter und das publikumsfreundliche Eventmarketing umschließt, gehört zur »Unilever-Vitality-Mission«, wie es Harry Brouwer, der Chef von Unilever Deutschland, verkündet. Als Lehrgerüst für die Ingenieurstudenten dient dagegen das Oskar von Miller-Forum in München. Sein Architekt, Thomas Herzog, hat dem Haus ein technoides Äußeres gegeben, jede Fassade samt dem Dach übernimmt andere Funktionen, um die feindlichen Angriffe aus Lärm und Witterung zu parieren. Gestaffelte Glasscheiben, Schiebeläden, Photovoltaikelemente, Paneele mit Vakuumdämmung und Fluchtroste erwecken den Eindruck, als ließe sich das Haus partienweise wegklappen. Noch dekorativer schimmert die neue Thyssen-Hauptverwaltung in Essen. Hier sind die Ganzglasfassaden ringsum mit einem Spalier aus Edelstahl-Lamellen ausgestattet. Die motorisch beweglichen 380 000 Silbergräten sind an 1,6 Millionen Befestigungsstellen montiert. Da will man sich den Unterhalt der Konstruktion gar nicht ausmalen. Das Gebäude erhielt dennoch ein Gold-Zertifikat für seine Nachhaltigkeit. Schlichter geht es zu bei einem neuen Gebäude für eine UN-Organisation in Genf von Baumschlager Eberle. Hier können die Mitarbeiter bedruckte Glasscheiben vor ihre Fenster schieben, also von jedem Arbeitsplatz zum veränderlichen Wechselspiel der Bauskulptur beitragen. Was ist nun richtig? Kann man Verwaltungsgebäude mit ein paar Hundert Arbeitsplätzen bauen, deren Fassaden im Experimentierstadium stecken?
Aber das Thema scheint die Planer zu fesseln, als gelte es, mit so etwas Einfachem wie der Außenwand eines Hauses der NASA Konkurrenz zu machen. Der Architekt Elmar Schossig hatte schon vor zehn Jahren an einer »Integral-Fassade« gearbeitet, die »wie eine Autotür« aufgebaut sein sollte: Heizung, Lüftung, Kühlung, (Solar-)Energiegewinnung, Wärmeschutz, Tageslichtversorgung, Medien - das alles soll so ein schlaues Fassaden-Decken-Modul den Büroarbeitern individuell zur Verfügung stellen. Es wird dezentral gesteuert, jeder darf an seinem Platz ein bisschen verstellen, verschieben, schalten und walten. Damit es wieder wie früher wird, als man noch Fenster auf- und zumachen konnte. Wir antiquierte Menschen möchten nämlich in diesen eleganten, sensibel geregelten Schneewittchensärgen einfach nicht eingesperrt sein. Denn: »Werden Fassaden hermetisch abgedichtet ausgebildet, hat dies zur Folge, dass die objektiven Behaglichkeitsparameter zwar erfüllt, viele subjektive Aspekte zur Behaglichkeit jedoch vernachlässigt werden«, heißt es im Fachbuch Clima-Design, das Prof. Gerhard Hausladen und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bauklimatik und Haustechnik der TU München verfasst haben.
Ob die von intelligenten Systemen geregelte »Gebäudeperformance« wirklich zu gesteigertem Wohlbefinden und weniger Krankheitstagen durch bessere Tageslicht- und Raumluftqualität führt, bleibt dahingestellt. Nachprüfen lässt es sich nie. Über viele neue Glastürme wurde berichtet, dass die Mitarbeiter dort im Sommer bei tropischen Temperaturen arbeiteten. In einem Züricher Bürohaus führte der 80 Grad Celsius heiße Aufwind im Fassadenzwischenraum zu Innentemperaturen von 53 Grad. Da Betreiber, Planer und Hersteller bei solchen Glasmonstren regelmäßig streitbefangen sind und vor allem die Mieter nichts von den wahren Nebenkosten erfahren dürfen, werden nach der glamourösen Veröffentlichung zur Einweihung keine Auskünfte mehr gegeben. Werner Eicke-Hennig vom Darmstädter Institut für Wohnen und Umwelt zitiert zum Abschluss seiner ernüchternden Expertise über die Energieeffizienz von Glasfassaden den englischen Architekturkritiker Martin Pawley. Der meint, »die Nutzer müssen hart daran arbeiten, in den Räumen erträgliche Bedingungen aufrechtzuerhalten - ähnlich wie die Besatzung einer Rennyacht bei Sturm auf hoher See«. Nur hat die Besatzung der Yacht, sosehr sie auch den tückischen Elementen ausgeliefert sein mag, gegenüber dem modernen Büroangestellten einen entscheidenden Vorteil: Sie kann wenigstens Schwimmwesten anlegen.
Illustrationen: Arne Bellstorf