Wer in einen Aufzug steigt, will befördert werden, meist einfach nur schweigend vom Erdgeschoss ins Büro. Dabei kann man im Fahrstuhl doch so viel mehr erreichen als nur sein Zielstockwerk – zumindest laut einer Bürolegende, die an amerikanischen Business Schools kursiert. Man muss nur den richtigen Aufzug erwischen. Und gut vorbereitet sein.
Die Legende geht so: Kurz bevor die Tür zugeht, steigt der Chef mit in den Aufzug und fragt: »Na, woran arbeiten Sie?« Bis er wieder aussteigt, hat man Zeit, ihn für ein Projekt zu begeistern, für das man dringend mehr Geld braucht. Oder für ein neues Produkt, das die Firma unbedingt produzieren sollte. Am Ende dieser Geschichte öffnet sich die Fahrstuhltür, und heraus kommen ein beeindruckter Chef und ein frisch beförderter Angestellter.
An den Universitäten Harvard oder Berkeley wird seit Jahren unterrichtet, wie ein erfolgreicher »Elevator Pitch«, also der perfekte Selbstempfehlungs-Monolog im Lift, aufgebaut sein muss. Man lernt dort, eine komplizierte Idee radikal zu reduzieren. Dreißig Sekunden müssen reichen – länger dauert eine Fahrstuhlfahrt selten. Da muss man sehr schnell sehr überzeugende Sachen sagen: Für den Einstieg empfehlen die Lehrbücher kühne Sätze wie diesen: »Ich habe eine Idee für ein Produkt, das niemand braucht, aber trotzdem jeder kaufen wird.« Lieber erst mal dick auftragen. Man hat ja nur dreißig Sekunden.
Und weil selbst neue Betonmischtechniken zumindest für die Dauer einer Aufzugfahrt interessant klingen können, gibt es sogar Wettbewerbe für die besten Fahrstuhltexter. Sie sind ein ziemliches Spektakel zwischen ironischer Selbstüberschätzung und tatsächlicher Suche nach Investoren: An der Hochschule MIT in Boston sind jedes Jahr 5000 Dollar für den besten Elevator Pitch zu gewinnen, im Publikum sitzen Geldgeber und Personalchefs. An der Wake Forest University in North Carolina findet der Wettbewerb in einem echten Fahrstuhl statt, eine Kamera filmt, eine Auswahl der besten Präsentationen landet bei YouTube.
Der Sprachlehrer James Parsons veranstaltet seit zehn Jahren eine »Elevator Pitch Night« in Leipzig. Und seine Kurse zu dem Thema sind oft ausgebucht, obwohl Parsons seinen Schülern sagt, dass er von einer tatsächlich erfolgreichen Selbstvermarktung im Fahrstuhl noch nie gehört habe. Aber wer seine Idee zumindest theoretisch im Fahrstuhl präsentieren könnte, der hat auch bei Konferenzen auf die »Und was machen Sie so?«-Frage eine gute Antwort.
Merle Fuchs, Organisatorin eines Elevator-Pitch-Abends in Thüringen, hat bei diesem Wettbewerb einen besonders eindrucksvollen Lift-Monolog gehört: Der Kandidat hatte während der ganzen Fahrstuhlfahrt mit einem fiktiven Kunden telefoniert – und ihn dabei so charmant von seiner Idee überzeugt, dass jeder Chef ihn sofort zum Mittagessen eingeladen hätte.
Die Angestellten im New York der Achtzigerjahre, die den Elevator Pitch erfunden haben sollen, zeigten weniger Einfallsreichtum: Sie waren so frustriert darüber, nie einen Termin beim Chef zu bekommen, dass sie stundenlang vor den Aufzügen lauerten. Nur um dann – scheinbar zufällig – mit dem Vorgesetzten in den Lift zu steigen und dort ihren einstudierten Verkaufsmonolog vorzutragen.
In den meisten Bürogebäuden großer Firmen wird man die wirklich wichtigen Leute allerdings nie im Fahrstuhl treffen. Es gibt dort einen eigenen Aufzug für die Chefetage. Normale Angestellte haben keinen Zutritt.